Author: Gastautor

Lasse von Dingens – Warum ich den Abgabetermin verpasst habe

Ja, ja.

500 Worte. Werde ich ja wohl noch beieinander kriegen.

Aufschieberitis war es nicht.

Unwille auch nicht.

Und nein, drücken wollte ich mich auch nicht.

Ich habs vergessen.

Mehrfach.

Keine Zettel geschrieben.

Keinen Termin im Kalender eingetragen.

Ein Problem mit dem „Aus den Augen – aus dem Sinn.“

Für Autisten gibt es dazu den schönen Begriff „Monotropismustheorie“. Sie beschreibt, wie Autisten ihre Aufmerksamkeit auf die sie umgebenden Dinge verteilen.

Die Monotropismustheorie geht grundsätzlich davon aus, dass jedem Menschen eine bestimmte, individuell variierende Menge an Aufmerksamkeit zur Verfugung steht. Diese Aufmerksamkeitsmenge wird intuitiv auf verschiedene Dinge verteilt.

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Charlotte – Irgendwie schmerzlich schön

Bis zu meinem 8. Lebensjahr glaubte ich der Mond und die Sonne seien eins. Quasi ein Himmelskörper mit gespaltener Persönlichkeit. Am Tage fordernd, aber motivierend und am Abend allein unter diesen Sternen, unverstanden, aber zuversichtlich.

Natürlich waren in meiner Vorstellung der Mond und die Sonne schon zwei vollkommen verschiedene Dinge. Jedoch teilten sie sich den Platz. Auch die Tatsache, dass der Mond im Laufe des Monats immer kleiner wurde, lies mich nicht an meiner Vermutung zweifeln.

Ich weiß nicht, warum ich solange glaubte, der Mond und die Sonne seien ein und die selben astronomische Elemente, da ich mir sicher bin darüber aufgeklärt wurden zu sein. Vermutlich hatte ich mir diese naive Vorstellung in meinem Kopf sorgfältig zusammen gebastelt und konnte mich von ihr einfach nicht trennen.

Immerhin steckten hinter solchen Fantasien unheimlich viel Detail. Man durchdachte und baute und wünschte und gewöhnte sich so an diese Idee, dass einem die Realität immer ziemlich hart traf.

Ich fragte meine Mutter mit fünf Jahren, ob ich Blindenschrift erlernen könne, da ich die Raufasertapete so gerne einmal verstehen würde, denn Raufasertapeten seien doch übergroße Bücher in Blindenschrift.

Das ist ein Ausschnitt meiner Wahrnehmung in Kindertagen.

Nach wie vor gleichen meine Sinne keinem Nicht-Autisten, aber das finde ich gut. Mein Autismus gibt mir die Möglichkeit auf ungewöhnliche Details zu achten, was mich zu einer guten Fotografin macht und mich von Zeit zu Zeit nette Texte schreiben lässt. Und ich einige Menschen immer wieder mit Detailwissen beeindrucken kann und von selbigen heute auch nicht mehr als schräg und sonderbar sondern, als besonders eingestuft werde. Dazu sei gesagt, Ausnahmen bestätigen die Regel. Mensch ist nicht gleich Mensch. So wie Autist nicht gleich Autist ist.

Hallo, mein Name ist Charlotte, bin 22 Jahren alt und seit fast einem Jahr diagnostizierte Asperger- Autistin. Ich mag es, ich zu sein. Aber es bedeutet auch starke Nerven zu haben und nicht darauf zu hoffen, von allen Menschen irgendwann verstanden zu werden.

Vielleicht, wenn ich groß bin, führe ich ein „normales“ Leben. So mit Haus am See und weniger Chaos. Vielleicht. Aber bis dahin, mach ich all das durch, was fast jeder junge Mensch durchmacht. Denn so anders bin ich nicht.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

Charlotte ist 22 Jahre alt und wurde ungefähr ein Jahr vor der Veröffentlichung dieses Beitrags diagnostiziert.

Maskenwald – Mein Autismus

Autismus ist für mich die Summe meiner neurologischen Auffälligkeiten. Ein Sammelsurium von Neigungen, die nur auffallen, weil sie nicht der überwältigenden Mehrheit entsprechen.

Früher bedeutete das vor allem Rückzug und Gefahrenvermeidung. Imitation und Anpassung. Die Diagnose „Asperger-Syndrom“ erhielt ich erst, nachdem ich von der Uni geschmissen wurde. Zuvor fehlte mir ein Oberbegriff. In meiner Selbstwahrnehmung war ich einfach nur anders. Das bedeutete von Anderen auf Dinge aufmerksam gemacht zu werden, die mir selbst nie aufgefallen wären.

In der Grundschule fragten mich meine Mitschüler einmal während einer Theaterprobe, warum ich immer so schaukelte. Ich konnte ihnen die Frage nicht beantworten. Genauso wenig, wie meine Mitschüler nicht beantworten konnten, warum sie nicht schaukelten. Aber diese Frage stellte ich ihnen nicht. Niemand hinterfragt das Gewöhnliche.

Heute weiß ich, es war eine typisch autistische Stereotypie. Eine kontrollierbare Form von Stressabbau. Die unterschwellige Botschaft meiner Mitschüler verstand ich allerdings schon damals: „Bitte bewege nur Körperteile, die auch wir bewegen. Drehe Däumchen, kratze dich am Hals, aber unterlasse diese Schaukelei oder wir zeigen mit dem Finger auf dich“. Später sollte es dann ein „… oder wir machen dein Leben zur Hölle!“ werden.

Doch ein flacher Affekt lässt sich nicht stundenlang überspielen. Meine Interessen vernachlässige ich auch nicht um jeden Preis. Leider drangen mich meine Eltern zu ihrer Vorstellung eines perfekten Bürgers.

Er spricht komisch? Der Logopäde soll ihn reparieren. Er läuft komisch? Der Orthopäde soll ihn reparieren. Er verhält sich komisch? Der Schulpsychologe soll ihn… Nein, sollte er nicht.

Meine Mitschüler erkannten, dass ich Dinge machte, ohne sie zu hinterfragen, um nicht ausgegrenzt zu werden. Ich ging von einer guten Gesinnung in jedem Menschen aus und meine Gutgläubigkeit wurde gnadenlos ausgenutzt. Ein schizoid-paranoides Verhalten folgte.

Heute haben sich die sozialen Probleme verringert. Erwachsene sind weit weniger grausam. Ich komme ohne psychiatrische Medikation aus. Nicht zuletzt dank eines pro-autistischen Internets.

So kann ich häufiger meine Stärken auszuspielen. Mir springen beispielsweise in Online-Artikeln Buchstabendreher sofort ins Auge. Über die schlampige Arbeit der Redakteure rege ich mich dann so sehr auf, dass für den eigentlichen Inhalt keine Konzentration mehr bleibt und ich einen wahrscheinlich miesen Artikel verpasse, über den ich mich sonst noch mehr aufgeregt hätte.

Ernst beiseite, durch die Folgen des Zusammenpralls meines kleinen autistischen X-Wings mit den großen neurotypischen Sternenzerstörern verlor ich meinen Studienplatz, bin erwerbslos und auf Hilfe angewiesen. Die in meiner Schulzeit ausgelösten Reaktionen und Schutzmechanismen tun ihr Übriges.

Allerdings ist mein Autismus selbst weder eine zermürbende Krankheit, die medikamentös behandelt oder vernichtet werden müsste, noch eine überlegene Superkraft vom Planeten Melmac, mit der mein Verdauungsfortschritt durch die Tonlage eines Rülpsers ersichtlich wäre. Nein, meine autistischen Interessen, Routinen, Wahrnehmungen und Zwänge basieren auf Dingen, die jeder Mensch besitzt. Bei mir variiert lediglich die Art oder Intensität dieser Dinge. Wie eine große Spachtel, die vor meiner Geburt über das frische Bild meines Bauplans kratzte und Teile davon in eine bestimmte Richtung verzerrte.

Das Resultat ist keine binäre Welt mit krassen Schwarz-Weiß-Gegensätzen, sondern ein weites Feld mit viel grau. Manchmal heller, manchmal dunkler. Leider neigen viele Menschen dazu ein dunkelgrau als schwarz zu sehen, während ihr eigenes hellgrau ihnen weiß erscheint.

Das ist ein Problem, denn ich werde als inhomogenes Teilchen wahrgenommen. Als ein kleiner Öltropfen, der in einem sauberen Meer nichts zu suchen hat. Und ich kann die Anderen nicht so ignorieren, wie sie es könnten. In einer NT-Welt bin ich von eNTen umzingelt und abhängig. Die Mehrheit scheut den Aufwand mir eine kommunikative Extrawurst zu braten. Oder würdest du als Gewitterblitz deine wertvolle Zeit mit artistischen Pirouetten am Himmel vergeuden, wenn es keinen deutlichen Mehrwert für dich hätte?


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus“.

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Maskenwald twittert und betreibt ganz frisch einen Blog.

Menschwerdung – Das Konzept von Normalität ist nur eine Kollektivneurose

Als ich meiner Mutter erklärte, dass ich Autismus habe und was das ist, da fragte sie ganz schockiert:

Meine Güte, Kind, wie willst Du nur damit leben?!

Sehr gute Frage. Ich hab noch eine: „Wie habe ich es denn bis hierhin geschafft?“ Ich habe einfach immer weitergemacht. Irgendwie, auch wenn ich längst kaum noch Kraft hatte. Auch wenn die Menschen mich am laufenden Band immer wieder falsch verstanden. Auch wenn ich immer wieder selbst nicht begriff, wieso ich die einfachsten Dinge andauernd nicht auf die Reihe bekam. Ich schreibe in der Vergangenheitsform, denn es hat sich etwas grundlegendes verändert. Ich habe herausgefunden, dass ich Autistin bin. Ohne diese so essentielle Information wäre ich auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung verschwunden. Ich wäre untergegangen, hätte mich selbst endgültig aufgegeben.

So hilfreich das Wissen um Autismus ist, ist es doch manchmal frustrierend, dass ich die Frage meiner Mutter noch nicht klar beantworten kann. Und dann frage ich mich selbst: Meine Güte, wie will ich damit weiterleben? Wie viele Jahre muss ich MICH noch ertragen? „Ein ganzes Leben mit Autismus“ wäre ein netter Buchtitel, aber ist nicht unbedingt immer eine angenehme Realität. Wie ich damit in Zukunft leben will? Ich werde es besser machen als mein Leben zuvor lief. Natürlich bleiben Schwierigkeiten. Es gibt immer noch Missverständnisse, ich verstehe nicht alles, ich bin schnell überfordert, ich habe ständig Reizüberflutungen und brauche Stereotypien.

Aber: Ich verstehe jetzt, was mit mir ist. Ich stelle mich darauf ein. Ich kann den Menschen erklären, warum ich so bin, und wieso ich so handle wie ich es tue. Und gemeinsam lassen sich Lösungen finden, wenn wir alle aufeinander zugehen. Und manchmal ist es hilfreich, einen Autisten zu haben, der blanke Freude an einer Aufgabe hat, die für die Kollegen rasend langweilig ist.

Ich versuche, das Beste aus meinem Leben zu machen, so gut ich eben kann. Und irgendwann werde ich zurückschauen und froh darüber sein, dass ich aus meinem Leben mehr gemacht habe, als ich es mir hätte träumen lassen. Weil ich nachgedacht habe darüber, wer ich bin, vor allem warum ich so bin wie ich bin, und wohin ich gehen möchte. Weil ich mich entschieden habe, vorwärts zu gehen, auch wenn ich manches erst nach der vierten Erklärung verstanden habe, auch wenn ich ständig irgendwelche Gegenstände geraderücken muss, und Muskelkrämpfe im Gesicht habe von der vielen Mimik, die ich im Alltag benutzen muss. Auch wenn ich für manches dreimal so lange brauche wie „normale“ Leute.

Und ich bin mir sicher: Das Konzept von Normalität ist nur eine Kollektivneurose. Jeder hat Stärken und Schwächen. Jeder hat Abneigungen und Vorlieben. Jeder hat Dinge, die er gut kann, und solche, die er nicht kann. Zufällig gibt es für manches eben Überbegriffe, die bestimmte Eigenschaften zusammenfassen. Wir alle haben unseren Platz in dieser Welt. Wir müssen nur herausfinden, wie wir das erreichen, was wir erreichen wollen. Ob man Autist ist oder nicht, ist diesbezüglich nebensächlich. Wir sind alle Menschen. Und es sind die festgefahrenen Vorurteile in unseren Köpfen, die wir durchbrechen müssen.


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Menschwerdung bloggt und twittert als @Menschwerdung.

Roman Held – Was es für mich bedeutet, Autist zu sein

Eine Sache vorweg: Mal angenommen man trifft jemanden aus dem Internet, man fand sich schriftlich interessant und hat beschlossen, sich mal zu treffen. Schließlich ist es soweit und man steht am verabredeten Ort und wartet auf den Besuch. Mir geht dann nur eine Frage durch den Kopf und dort ist sie bereits seit der ersten Erwähnung eines Treffens und obgleich eigentlich keine große Sache, ich bin deshalb nervös und kann mich kaum konzentrieren und meine Hände schwitzen, denn:
Gebe ich zur Begrüßung nur die Hand, bleibe ich auf Distanz und sage Hallo und winke vielleicht, wird es ein Handschlag oder muss ich gar umarmen?

Kommt Dir das bekannt vor? Ja? Fein. Dann lass uns doch jetzt gleich und hier eine Sache absprechen, für den Fall, dass wir uns einmal schriftlich gut verstehen und beschließen sollten, uns zu treffen:
Händeschütteln genügt.

Also Hallo, mein Name ist Roman Held, ich bin 28 Jahre alt und seit etwas über einem Jahr diagnostizierter Autist. Und das bedeutet für mich vor Allem, irgendwie besonders zu sein. So wie in „Mein Sohn ist nicht verrückt, er ist besonders!“ oder in „Dass gerade Du eine so gute Note geschrieben hast, Roman, überrascht mich besonders.“ oder in „Und Du bekommst besonders aufs Maul, Du gottverdammter Freak!“. Besonders eben.
Bei meiner Konstruktion hatten ein paar schelmische Gene die witzige Idee, mal etwas Neues auszuprobieren und statt der Standard-Wahrnehmung die experimentelle Tochter des Unendlichen Unwahrscheinlichkeitsantriebs aus Douglas Adams Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ einzubauen, die so genannte Umständliche Unwahrscheinlichkeitswahrnehmung, ein unerschöpfliches Füllhorn an skurrilen Ideen, bizarren Einfällen und abstrakten Gedanken. Kurz gesagt: Ich bin kreativ durch Autismus. Das ist eine Stärke.
Andererseits hingegen bin ich zum Beispiel außerstande, 11 Monate alte Emails von Menschen, die mir wegen meines Blogs geschrieben haben, zu beantworten. Die warten immer noch in meinem Posteingang. Aus irgendeinem umständlichen Unwahrscheinlichkeitsgrund kann ich da einfach nicht ran. Als wären sie unerreichbar hinter Glas. Oder die drei verzweifelten Studienfachwechsel vor der letztendlichen Exmatrikulation, seit der ich ohne nennenswerte Aussicht auf Verbesserung meiner beruflichen Situation auf HartzIV angewiesen bin, die sind auch keine Stärken. Die Unfähigkeit, Kontakte zu anderen Menschen langfristig aufrechtzuerhalten. Die Schwierigkeit, mich durch fremde Umgebungen voller fremder, lauter, bunter Menschen zu bewegen. Die Angst, Smalltalk halten zu müssen oder die Panik, mit auf mich bezogenen Gefühlen Anderer konfrontiert zu werden. All diese Momente in der Interaktion mit anderen Menschen, die mir oft Probleme bereiten. Die sind keine Stärken.

Es ist dennoch eine Gabe, die Welt durch den autistischen Filter betrachten zu können, ebenso wie es oft eine Last ist, dass ich ihn nicht ablegen kann. Doch das ist so eine Selbsthilfegruppen-Aussage, nicht wahr?
Reden wir Klartext: Es ist hart. Und oft bin ich es leid. Und ich weiß nicht weiter und ich bin verzweifelt und ich stoße viel zu oft beim Versuch, einen Anschein von Normalität als Maske zu tragen, an die Grenze meiner Kräfte.
Dennoch, in meiner Wahrnehmung als Autist stecken für mich viel Schönheit und Trost, anders als alles, was ich unter und in meinen Mitmenschen finden kann. Ich nehme die Welt permanent als Sinnesflut an Interpretationen wahr. Mein Kopf malt unaufhörlich mit assoziativen Stiften über die Realität um mich herum und verwandelt sie in etwas Ungewöhnliches. Und das ist eine Fähigkeit, die ich sehr gern besitze und die ich nicht missen möchte.

Was mir fehlt ist ein Beruf, in dem ich sie nutzen kann.


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Roman Held lebt in Essen, er bloggt auf Alternativen und ist bei Twitter als @hoch21 bekannt.

Annette – auf eine ganz andere Art normal

Hallo, ich heiße Annette und ich bin Autistin.

Zugegebenermaßen sage ich diesen Satz eher selten. Die meisten Leute wissen nichts von meinem Autismus; mein Freund ist da die große Ausnahme, doch bei ihm fühle ich mich einfach ganz normal, vermutlich so wie andere Leute auch bei ihrem Partner.

Im Umgang mit unserem Kind komme ich mir öfter wie ein Versager vor, weil der Kleine einfach so unglaublich viel Aufmerksamkeit braucht. Das ist normal, das weiß ich auch – aber trotzdem fällt es mir schwer, dann ruhig zu bleiben und nicht los zu schreien.

Ich weiß nicht, in wie weit es normal ist für Autisten, in einer Partnerschaft zu leben. Ich kenne kaum andere Autisten, ich kenne überhaupt wenige Leute hier. Vor zwei Jahren bin ich hierher gezogen und außer meinen direkten Nachbarn im Haus kenne ich nur die Hunde des Stadtteils und ihre Halter – vom Sehen. Andere Leute würden das vermutlich als ziemlich einsam empfinden, aber für mich ist das vollkommen in Ordnung so.

Ich habe keine eigenen Freunde; die meisten Freunde meiner besseren Hälfte finden mich seltsam und die wenigsten können wohl verstehen, was er an mir findet. Mit zwei/drei Leuten komme ich aber gut zurecht und das reicht mir dann auch.

Wenn ich die Möglichkeit habe, jemandem eine E-Mail zu schreiben anstatt ihn anzurufen oder zu besuchen, werde ich die E-Mail schreiben. Persönlich mit jemandem reden ist aber immer noch besser als zum Telefonhörer zu greifen.

Manche Telefonate schiebe ich, wenn möglich, tagelang auf oder versuche, meinen Freund dazu zu bringen, für mich da anzurufen.

Trotz allem wird auch meine Abneigung gegen das Telefon langsam besser, was vermutlich vor allem daran liegt, dass ich mich dazu zwinge, Dinge gleich zu lösen – und nicht immer nur auf schriftlichem Weg.

Das Studium (ich habe Informatik studiert) war durchaus auch eine Herausforderung für mich. Auf der einen Seite war mein Fach wie gemacht für mich und meine Interessen, auf der anderen Seite gab es da aber auch die ‚Softskills‘, die man auch braucht, um den Abschluss zu schaffen. In einer Gruppe zusammenarbeiten, Themen diskutieren, Vorträge halten – das war definitiv nicht meine Welt. Geschafft habe ich es, aber einfach war der Teil des Studiums sicherlich nicht!

Gestern hatte ich ein Gespräch mit meinem Vorgesetzten um das letzte halbe Jahr zu beurteilen und er meinte, dass mich meine Kollegen als kommunikativ wahrnehmen würden – eine große Überraschung für mich!

Alles in allem lebe ich also ein recht normales Leben. Ich habe meine kleine Familie, Katze und Hund. Ich gehe jeden Tag arbeiten und werde da als Teil des Teams akzeptiert.

Ich gelte als schüchtern und ruhig und als typisches Beispiel für die These, dass alle Computer-Menschen Kellerkinder und irgendwie merkwürdig sind. Aber damit kann ich gut leben.

Autismus bedeutet für mich, dass ich einfach auf eine ganz andere Art normal bin. Für mich stimmt es nicht, dass Menschen mit Autismus nicht mit der Welt klar kommen – wir kommen nur manchmal etwas anders klar als andere.


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Annette ist auf Twitter zu finden.

Sabine Kiefner – Was Autismus für mich bedeutet

Ich – eine Autistin? Niemals.
Abwehr – das war vor zwei Jahren meine unmittelbare Reaktion auf den ersten in einem Gespräch geäußerten Verdacht.

Doch der Gedanke setzt sich in meinem Kopf fest.
Gibt dieses Wort „Autismus“ meinem Anderssein nach 47 Jahren endlich einen Namen?
Ist es das, wonach ich seit meiner Kindheit bisher vergeblich gesucht habe?
Ein einziges Wort, als Erklärung dafür, dass ich zu keinem Zeitpunkt in meinem bisherigen Leben verrückt, sondern lediglich autistisch gewesen bin?
Je intensiver ich mich mit meiner Vergangenheit auseinandersetze, desto dringender wird der Wunsch danach, endlich Gewissheit zu haben.
Nach zahlreichen Tests und ausgefüllten Fragebögen zähle ich am Ende die Stunden bis zu meinem Diagnosetermin.
Ich zähle gerne. Zählen macht das Warten erträglicher, weil es die Zeit eingrenzt.

„Sie haben das Asperger-Syndrom.“
Immer und immer wieder spreche ich diesen Satz leise vor mich hin.
Ich bin so erleichtert, dass ich meine Hände kaum stillhalten kann.
Endlich weiß ich, wer ich bin.
Ich werde mich nicht mehr verstecken, nicht mehr jeden Morgen in die Rolle eines Menschen schlüpfen müssen, der ich nie war, nur um nicht aufzufallen.
Ich darf endlich Ich sein.
Mein Innensein wird diesen Kokon endlich verlassen können, der mich immer vor dem Außen beschützt hat. Ich werde frei sein, mich nie mehr selbst verleugnen müssen.

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Meriadoc – Autismus ist keine große Sache, glaub ich.

Autismus ist keine große Sache, glaub ich.
Ich weiß es aber nicht genau, weil ich nicht weiß, wie es sich anfühlt, nicht autistisch zu sein.
Ich lebe als Autist, und Leben, das ist eine große Sache.

Ganz selten stoße ich auf ein Sprichwort, das ich noch nicht kenne. Im Lesen von Gesichtsausdrücken bin ich total gut. Weil solche Dinge für mich nicht zum Hintergrundrauschen werden, sondern meiner bewussten Aufmerksamkeit bedürfen, bin ich manchmal schneller und präziser im Auswerten sozialer Interaktion als meine Freunde. Sie schätzen an mir, dass ich oft auf Aspekte hinweise, die sie selbst übersehen hätten. In Beziehungen die mir wichtig sind, gehe ich besonders sorgfältig mit emotionalen Inhalten um.
Mein Langzeitgedächtnis ist sehr gut. Ich kann auf ein großes Repertoire von erprobten Standardsituationen zurückgreifen, und so die meisten zwischenmenschlichen Begegnungen angemessen absolvieren.
Allerdings bin ich perfektionistisch und leicht zu verunsichern. Fehlt mir ein vertrautes Handlungsmuster, oder das gewählte scheint schlecht zu funktionieren, werde ich hektisch und angespannt, was mich zu einem anstrengenden Zeitgenossen werden lassen kann. Eine Irritation die andere schnell wieder abschütteln, verfolgt mich noch lange. Ich wirke dann sicher nachtragend oder ablehnend. In einer solchen Lage gelingt es mir nur schwer, zu einem ruhigen und konstruktiven Verhalten zurück zu finden, und die Situation zu meiner Zufriedenheit zu bestehen.

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