Annette – auf eine ganz andere Art normal

Hallo, ich heiße Annette und ich bin Autistin.

Zugegebenermaßen sage ich diesen Satz eher selten. Die meisten Leute wissen nichts von meinem Autismus; mein Freund ist da die große Ausnahme, doch bei ihm fühle ich mich einfach ganz normal, vermutlich so wie andere Leute auch bei ihrem Partner.

Im Umgang mit unserem Kind komme ich mir öfter wie ein Versager vor, weil der Kleine einfach so unglaublich viel Aufmerksamkeit braucht. Das ist normal, das weiß ich auch – aber trotzdem fällt es mir schwer, dann ruhig zu bleiben und nicht los zu schreien.

Ich weiß nicht, in wie weit es normal ist für Autisten, in einer Partnerschaft zu leben. Ich kenne kaum andere Autisten, ich kenne überhaupt wenige Leute hier. Vor zwei Jahren bin ich hierher gezogen und außer meinen direkten Nachbarn im Haus kenne ich nur die Hunde des Stadtteils und ihre Halter – vom Sehen. Andere Leute würden das vermutlich als ziemlich einsam empfinden, aber für mich ist das vollkommen in Ordnung so.

Ich habe keine eigenen Freunde; die meisten Freunde meiner besseren Hälfte finden mich seltsam und die wenigsten können wohl verstehen, was er an mir findet. Mit zwei/drei Leuten komme ich aber gut zurecht und das reicht mir dann auch.

Wenn ich die Möglichkeit habe, jemandem eine E-Mail zu schreiben anstatt ihn anzurufen oder zu besuchen, werde ich die E-Mail schreiben. Persönlich mit jemandem reden ist aber immer noch besser als zum Telefonhörer zu greifen.

Manche Telefonate schiebe ich, wenn möglich, tagelang auf oder versuche, meinen Freund dazu zu bringen, für mich da anzurufen.

Trotz allem wird auch meine Abneigung gegen das Telefon langsam besser, was vermutlich vor allem daran liegt, dass ich mich dazu zwinge, Dinge gleich zu lösen – und nicht immer nur auf schriftlichem Weg.

Das Studium (ich habe Informatik studiert) war durchaus auch eine Herausforderung für mich. Auf der einen Seite war mein Fach wie gemacht für mich und meine Interessen, auf der anderen Seite gab es da aber auch die ‚Softskills‘, die man auch braucht, um den Abschluss zu schaffen. In einer Gruppe zusammenarbeiten, Themen diskutieren, Vorträge halten – das war definitiv nicht meine Welt. Geschafft habe ich es, aber einfach war der Teil des Studiums sicherlich nicht!

Gestern hatte ich ein Gespräch mit meinem Vorgesetzten um das letzte halbe Jahr zu beurteilen und er meinte, dass mich meine Kollegen als kommunikativ wahrnehmen würden – eine große Überraschung für mich!

Alles in allem lebe ich also ein recht normales Leben. Ich habe meine kleine Familie, Katze und Hund. Ich gehe jeden Tag arbeiten und werde da als Teil des Teams akzeptiert.

Ich gelte als schüchtern und ruhig und als typisches Beispiel für die These, dass alle Computer-Menschen Kellerkinder und irgendwie merkwürdig sind. Aber damit kann ich gut leben.

Autismus bedeutet für mich, dass ich einfach auf eine ganz andere Art normal bin. Für mich stimmt es nicht, dass Menschen mit Autismus nicht mit der Welt klar kommen – wir kommen nur manchmal etwas anders klar als andere.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

Annette ist auf Twitter zu finden.