Bevor ich zum Thema Autismus komme, ein kleiner Exkurs zur Barrierefreiheit grundsätzlich:
Es gibt so gewisse Floskeln, die hört man wann immer es um gewisse Themen geht immer wieder. Beim Thema Behinderung und Barrierefreiheit ist das dieser Satz “Behindert ist man nicht, behindert wird man”. Er suggeriert, manchmal sogar gewollt, das Bild einer bösen rücksichtslosen Gesellschaft die einzig und allein an den Problemen von behinderten Menschen Schuld ist. Sicherlich leugne ich kaum, das es dort draußen zu viele Menschen gibt, die andere Menschen behindern, aber dazu brauchen diese anderen Menschen keine Behinderung. Die Gesellschaft kann nichts dafür, dass ein Rollstuhlfahrer kein Snowboard mehr fahren kann, sie hat die Berge nicht gebaut, genauso wenig, wie die Gesellschaft etwas dafür kann, wenn ein Blinder keine Passagierjets mehr fliegen sollte. Genau so wenig, wie die Gesellschaft daran Schuld ist, wenn ich durch ungünstige Lichtverhältnisse in eine Reizüberflutung rutsche und deshalb nicht ohne weiteres raus kann. Meines Wissens, war die Sonne eher da als die Gesellschaft. Die vordergründige Frage, wenn es um Barrierefreiheit geht, sollte nicht sein wer da den anderen irgendwie behindert. Sondern viel mehr, wie baue ich die Behinderungen die es gibt ab.
Wirkliche Barrierefreiheit ist eine Illusion, ein wünschenswertes Ziel, welches wir aber nie erreichen werden, eben einfach weil es eben nicht immer die Gesellschaft ist, die einen behindert, sondern eben doch die Behinderung.
Nun zum Autismus. Barrierefreiheit bei Autismus ist keine Frage die sich einfach stellt. Vor einiger Zeit hatte ich über den Blog eine Anfrage eines Studenten, was man denn wohl beim Bau eines für Autisten barrierefreien Baumhauses beachten müsste. Es war keine Frage die ich mal eben beantworten konnte.
Man findet im Netz eine Reihe von Tipps, wie man am besten mit Autisten umgeht. Meistens endet es damit, dass ich mir vorstelle jemand könnte so mit mir umgehen und ich Bluthochdruck bekomme. Das Problem beim Autismus ist, dass es ein Spektrum ist. Kein Autist hat exakt die gleichen Probleme. Das heißt, von der Möglichkeit, ein Allheilmittel zu finden, mit dem man allen Autisten hilft weniger Nachteile zu haben, sollte man sich von vorne herein verabschieden.
Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von Problemen, die viele Autisten haben. Punkte an denen es sich durchaus lohnen würde anzusetzen. Ich werde versuchen die Probleme zu schildern, die ich aus eigener Erfahrung kenne, oder die mir im Gespräch mit anderen Autisten öfter mal geschildert wurden. Diese Schilderung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Grob gesagt sind es zwei Dinge, die im Alltag bei Autisten für Schwierigkeiten sorgen, da sind zum einen die Probleme im Umgang mit anderen Menschen und die Probleme mit der Reizverarbeitung. Im folgenden möchte ich an einem fiktiven Tag und einem fiktiven Autisten einige der Probleme aufzählen, die so auftreten können. Wie Lösungen dafür aussehen können, lässt sich nicht allgemein sagen. Ideen sind immer willkommen.
Ein schrilles Klingeln hallte durch den Raum. Daniel ertastete fluchend das Handy und schob es unter das Kopfkissen. Er tastete den Nachttisch auf der Suche nach der Sonnenbrille ab und setzt sie auf. Danach öffnete er die Augen. Daniel mochte den Sommer nicht. An einigen Tagen hatte das Licht so eine unangenehme Farbe, dass er ohne Sonnenbrille binnen kürzester Zeit zu nichts mehr zu gebrauchen war. Der nette Nebeneffekt der Sonnenbrille war, dass er von niemandem wegen des fehlenden Augenkontakts angepampt würde.
Daniel betrachtete seine ToDo-Liste für heute. Arzttermin machen prangte es ihm dort entgegen. Er mochte keine Arztbesuche, sie endeten nur wieder damit, dass er, durch die Situation gestresst, nur die Hälfte von dem verstand, was der Arzt ihm sagte. Davor noch das Wartezimmer, auf engem Raum mit einem Haufen Leute, die auf der Suche nach Smalltalk waren. So in etwa stellte er sich die Hölle vor.
Daniel summte den Refrain “Auf in den Kampf Torero” und griff zum Telefon. Telefonieren ist auch so eine ziemlich unangenehme Sache für Daniel. Er weiß nie genau wann er dran ist mit reden, oder wie genau das gegenüber etwas meinte da Tonlagen noch nie seine Stärke waren. So etwas klärte Daniel viel lieber per E-Mail.
Auf dem Weg ins Büro noch schnell beim Amt vorbei einen neuen Perso beantragen. Das nette an der Biometrie ist ja, das sich jetzt niemand mehr beschweren kann, dass es mit dem lächeln nicht klappt. Er stand im heruntergekommenen Flur. Über ihm surrten ein paar flackende Leuchtstoffröhren. Hinter ihm schrie ein Baby. Hinter einer offenen Tür schrie eine Frau ihren Sachbearbeiter an. Sich zu konzentrieren konnte er dann wohl schon mal vergessen. Daniel atmete tief durch und ging zum Schalter um herauszufinden wo er hin musste. Die Frau hinterm Schalter erklärte ihm in welchen Gebäudeteil er musste und wie er dorthin kam. Die Worte hörte er zwar aber irgendwo hinter ihrem Parfum und den surrenden Leuchtstoffröhren ging ihr Sinn verloren. Um ihm den Weg aufzuschreiben hatte sie keine Zeit, hinter ihm standen bereits 5 weitere Leute, die auch eine Frage hatten. Da müsse sich Daniel gedulden, bis sie die abgefertigt hätte.
Eine Stunde später saß Daniel auf einem Flur. Inzwischen brütete er über den Formularen. Warum er das ausfüllen musste war ihm im Beratungszimmer erklärt worden, aber da das Beratungszimmer in Wirklichkeit 5 Zimmer waren, die von etwas Pappe getrennt wurden musste er sich so darauf konzentrieren zu hören was der Mann sagte, das er kaum etwas in Erinnerung behielt.
Eine weitere Stunde, zwei Nachfragen und den Spruch er solle doch nicht solche Fragen stellen, solche Formulare seien doch wirklich selbsterklärend, stand Daniel auf dem Bahnhof. Es war halb 2 und er war jetzt schon geschafft. Der Rest des Tages versprach entspannter zu werden. Damit die Hintergrundgeräusche ihn nicht noch mehr schafften drehte Daniel die Musik lauter. Auf der Tafel stand das sein Zug nun kommen sollte. Was Daniel nicht mitbekam war, dass der Zug hinter ihm auf dem anderem Gleis grad einfuhr und die Fahrgäste darüber grade per Lautsprecherdurchsage informiert wurden. Er nahm dann den nächsten.
An dieser Stelle verlassen wir Daniel. In diesem Beispiel fanden sich einige Probleme, die wohl viele Autisten kennen. Selbst viele Nicht-Autisten dürften sie kennen. Der Unterschied liegt wohl hauptsächlich darin, wie sehr Problem sie sind. Oftmals höre ich von Menschen, die sich mit Autismus auseinander setzen “Ja aber die Sachen stören mich doch auch und ich bin normal”. Viele haben Probleme sich zu konzentrieren wenn viele Hintergrundgeräusche im Raum sind, aber die wenigsten bekommen dann nichts mehr von den Erklärungen mit, wenn es nicht gerade an der Lautstärke scheitert. Einige der Lösungsansätze für Autistische Menschen würden sicherlich auch zu einem angenehmeren Lebensklima der nichtautistischen Menschen beitragen.
Einige dieser Probleme sind lösbar, andere nicht. Aber selbst wenn Lösungen gefunden werden, wird es immer noch Menschen geben denen auch dadurch nicht geholfen wäre. Spätestens beim autistischen Analphabeten würde ein Arzt, der E-Mails anbietet, nicht mehr weiterhelfen. Aus diesem Grund gibt es keine allheilende Patentrezepte sondern es braucht zusätzlich zu allen Gesetzen für Barrierefreiheit immer tolerante Menschen, die bereit sind, sich auf die Probleme ihres Gegenübers einzulassen.
Dieser gute Wille darf aber nicht alles sein, auf das man sich verlässt, dazu schrieb ennomane etwas, was ich in diesem Kontext den Lesern ans Herz legen möchte.