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Barrierefreiheit, Barrieren und Autismus

Bevor ich zum Thema Autismus komme, ein kleiner Exkurs zur Barrierefreiheit grundsätzlich:

Es gibt so gewisse Floskeln, die hört man wann immer es um gewisse Themen geht immer wieder. Beim Thema Behinderung und Barrierefreiheit ist das dieser Satz “Behindert ist man nicht, behindert wird man”. Er suggeriert, manchmal sogar gewollt, das Bild einer bösen rücksichtslosen Gesellschaft die einzig und allein an den Problemen von behinderten Menschen Schuld ist. Sicherlich leugne ich kaum, das es dort draußen zu viele Menschen gibt, die andere Menschen behindern, aber dazu brauchen diese anderen Menschen keine Behinderung. Die Gesellschaft kann nichts dafür, dass ein Rollstuhlfahrer kein Snowboard mehr fahren kann, sie hat die Berge nicht gebaut, genauso wenig, wie die Gesellschaft etwas dafür kann, wenn ein Blinder keine Passagierjets mehr fliegen sollte. Genau so wenig, wie die Gesellschaft daran Schuld ist, wenn ich durch ungünstige Lichtverhältnisse in eine Reizüberflutung rutsche und deshalb nicht ohne weiteres raus kann. Meines Wissens, war die Sonne eher da als die Gesellschaft. Die vordergründige Frage, wenn es um Barrierefreiheit geht, sollte nicht sein wer da den anderen irgendwie behindert. Sondern viel mehr, wie baue ich die Behinderungen die es gibt ab.
Wirkliche Barrierefreiheit ist eine Illusion, ein wünschenswertes Ziel, welches wir aber nie erreichen werden, eben einfach weil es eben nicht immer die Gesellschaft ist, die einen behindert, sondern eben doch die Behinderung.

Nun zum Autismus. Barrierefreiheit bei Autismus ist keine Frage die sich einfach stellt. Vor einiger Zeit hatte ich über den Blog eine Anfrage eines Studenten, was man denn wohl beim Bau eines für Autisten barrierefreien Baumhauses beachten müsste. Es war keine Frage die ich mal eben beantworten konnte.

Man findet im Netz eine Reihe von Tipps, wie man am besten mit Autisten umgeht. Meistens endet es damit, dass ich mir vorstelle jemand könnte so mit mir umgehen und ich Bluthochdruck bekomme. Das Problem beim Autismus ist, dass es ein Spektrum ist. Kein Autist hat exakt die gleichen Probleme. Das heißt, von der Möglichkeit, ein Allheilmittel zu finden, mit dem man allen Autisten hilft weniger Nachteile zu haben, sollte man sich von vorne herein verabschieden.

Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von Problemen, die viele Autisten haben. Punkte an denen es sich durchaus lohnen würde anzusetzen. Ich werde versuchen die Probleme zu schildern, die ich aus eigener Erfahrung kenne, oder die mir im Gespräch mit anderen Autisten öfter mal geschildert wurden. Diese Schilderung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Grob gesagt sind es zwei Dinge, die im Alltag bei Autisten für Schwierigkeiten sorgen, da sind zum einen die Probleme im Umgang mit anderen Menschen und die Probleme mit der Reizverarbeitung. Im folgenden möchte ich an einem fiktiven Tag und einem fiktiven Autisten einige der Probleme aufzählen, die so auftreten können. Wie Lösungen dafür aussehen können, lässt sich nicht allgemein sagen. Ideen sind immer willkommen.

Ein schrilles Klingeln hallte durch den Raum. Daniel ertastete fluchend das Handy und schob es unter das Kopfkissen. Er tastete den Nachttisch auf der Suche nach der Sonnenbrille ab und setzt sie auf. Danach öffnete er die Augen. Daniel mochte den Sommer nicht. An einigen Tagen hatte das Licht so eine unangenehme Farbe, dass er ohne Sonnenbrille binnen kürzester Zeit zu nichts mehr zu gebrauchen war. Der nette Nebeneffekt der Sonnenbrille war, dass er von niemandem wegen des fehlenden Augenkontakts angepampt würde.
Daniel betrachtete seine ToDo-Liste für heute. Arzttermin machen prangte es ihm dort entgegen. Er mochte keine Arztbesuche, sie endeten nur wieder damit, dass er, durch die Situation gestresst, nur die Hälfte von dem verstand, was der Arzt ihm sagte. Davor noch das Wartezimmer, auf engem Raum mit einem Haufen Leute, die auf der Suche nach Smalltalk waren. So in etwa stellte er sich die Hölle vor.
Daniel summte den Refrain “Auf in den Kampf Torero” und griff zum Telefon. Telefonieren ist auch so eine ziemlich unangenehme Sache für Daniel. Er weiß nie genau wann er dran ist mit reden, oder wie genau das gegenüber etwas meinte da Tonlagen noch nie seine Stärke waren. So etwas klärte Daniel viel lieber per E-Mail.

Auf dem Weg ins Büro noch schnell beim Amt vorbei einen neuen Perso beantragen. Das nette an der Biometrie ist ja, das sich jetzt niemand mehr beschweren kann, dass es mit dem lächeln nicht klappt. Er stand im heruntergekommenen Flur. Über ihm surrten ein paar flackende Leuchtstoffröhren. Hinter ihm schrie ein Baby.  Hinter einer offenen Tür schrie eine Frau ihren Sachbearbeiter an. Sich zu konzentrieren konnte er dann wohl schon mal vergessen. Daniel atmete tief durch und ging zum Schalter um herauszufinden wo er hin musste. Die Frau hinterm Schalter erklärte ihm in welchen Gebäudeteil er musste und wie er dorthin kam. Die Worte hörte er zwar aber irgendwo hinter ihrem Parfum und den surrenden Leuchtstoffröhren ging ihr Sinn verloren. Um ihm den Weg aufzuschreiben hatte sie keine Zeit, hinter ihm standen bereits 5 weitere Leute, die auch eine Frage hatten. Da müsse sich Daniel gedulden, bis sie die abgefertigt hätte.
Eine Stunde später saß Daniel auf einem Flur. Inzwischen brütete er über den Formularen. Warum er das ausfüllen musste war ihm im Beratungszimmer erklärt worden, aber da das Beratungszimmer in Wirklichkeit 5 Zimmer waren, die von etwas Pappe getrennt wurden musste er sich so darauf konzentrieren zu hören was der Mann sagte, das er kaum etwas in Erinnerung behielt.
Eine weitere Stunde, zwei Nachfragen und den Spruch er solle doch nicht solche Fragen stellen, solche Formulare seien doch wirklich selbsterklärend, stand Daniel auf dem Bahnhof. Es war halb 2 und er war jetzt schon geschafft. Der Rest des Tages versprach entspannter zu werden. Damit die Hintergrundgeräusche ihn nicht noch mehr schafften drehte Daniel die Musik lauter. Auf der Tafel stand das sein Zug nun kommen sollte. Was Daniel nicht mitbekam war, dass der Zug hinter ihm auf dem anderem Gleis grad einfuhr und die Fahrgäste darüber grade per Lautsprecherdurchsage informiert wurden. Er nahm dann den nächsten.

An dieser Stelle verlassen wir Daniel. In diesem Beispiel fanden sich einige Probleme, die wohl viele Autisten kennen. Selbst viele Nicht-Autisten dürften sie kennen. Der Unterschied liegt wohl hauptsächlich darin, wie sehr Problem sie sind. Oftmals höre ich von Menschen, die sich mit Autismus auseinander setzen “Ja aber die Sachen stören mich doch auch und ich bin normal”. Viele haben Probleme sich zu konzentrieren wenn viele Hintergrundgeräusche im Raum sind, aber die wenigsten bekommen dann nichts mehr von den Erklärungen mit, wenn es nicht gerade an der Lautstärke scheitert. Einige der Lösungsansätze für Autistische Menschen würden sicherlich auch zu einem angenehmeren Lebensklima der nichtautistischen Menschen beitragen.

Einige dieser Probleme sind lösbar, andere nicht. Aber selbst wenn Lösungen gefunden werden, wird es immer noch Menschen geben denen auch dadurch nicht geholfen wäre. Spätestens beim autistischen Analphabeten würde ein Arzt, der E-Mails anbietet, nicht mehr weiterhelfen. Aus diesem Grund gibt es keine allheilende Patentrezepte sondern es braucht zusätzlich zu allen Gesetzen für Barrierefreiheit immer tolerante Menschen, die bereit sind, sich auf die Probleme ihres Gegenübers einzulassen.
Dieser gute Wille darf aber nicht alles sein, auf das man sich verlässt, dazu schrieb ennomane etwas, was ich in diesem Kontext den Lesern ans Herz legen möchte.

Zu Inselbegabungen

Um Autismus ranken sich viele Mythen. So viele, dass ich manchmal den Eindruck habe, ich könnte genauso gut über das Bernsteinzimmer bloggen. Einige Mythen halten sich da hartnäckiger als andere. Einige Mythen kennt so gut wie jeder. Einer der wohl am weitesten verbreiteten als auch harnäckigsten Mythen ist wohl, dass Autisten inselbegabt und Genies seien. Ich antwortete mal auf die Frage, was denn meine Inselbegabung sei: "Ich schaffe es, bei solchen Fragen nicht auszurasten." Ich denke, ich brauche die Verwirrung, für die ich mit dieser Antwort sorgte, nicht näher auszuführen.

Dass dieser Mythos sich so hartnäckig hält, ist im Grunde nicht verwunderlich. Querdenkender hatte in einem anderen Blogpost mal herumgerechnet wie viele Savants es denn so im Verhältnis zu Autisten gibt. Lediglich 0.00021%* aller Autisten sind, bei der sehr vorsichtiger Rechnung von Querdenkender, Savants.

NIchtsdestotrotz ist das Erste, das man hört, wenn wieder irgendwer mit viel Aufwand über eine Stadt geflogen wurde, die er dann malen muss, er ist Autist. Je nach Qualität der Produktion werden dann noch ein paar Filmausschnitte aus Rain Man gezeigt. Dann folgen ein paar allgemeine Infos von Genies, die nicht in der Lage sind, eigenständig zu leben, aber das Telefonbuch von Unteroberwupperfürth von 1976 auswendig aufsagen können, weil sie es letzten Mittwoch mal eben unter der Dusche lasen.
Ich mache es Menschen nicht zum Vorwurf, dass sie da beim Wort Autismus direkt an diese coolen Berühmtheiten denken. Bloß hat das hier Beschriebene nicht zwingend etwas mit Autismus zu tun. Es gibt nur wenige Menschen mit dieser Form des Savant-Syndroms. Autisten gibt es ein paar mehr. Rein rechnerisch befinden sich wahrscheinlich in meiner Geburtsstadt mehr Autisten als Savants auf der Welt leben.
Die Menschen, die diesem Irrglauben aufgesessen sind, treffe ich in letzter Zeit zunehmend weniger.

Das Asperger-Syndrom hat so seine eigene Art, für die Frage zu sorgen, welche Inselbegabung man denn habe. Es gibt sogenannte Spezialinteressen. Diese sind typisch für Asperger. Doch Vorsicht, nur weil etwas typisch ist, heißt das noch lange nicht, dass man kein Autist ist, wenn man es nicht hat. Man bekommt das Spezialinteresse keineswegs mit der Diagnose zugewiesen. Sollten Sie also jemals auf die Idee kommen, jemandem zu erklären, er sei kein Autist, wenn er kein Spezialinteresse habe, und als Spezialinteresse gehe auch nur sowas wie Mathe oder was mit Computern, so treten Sie sich bitte selbst vors Schienbein. (Oder fragen sie mich, ich helfe Ihnen da wirklich gerne.)

Es ist wichtig, zwischen Inselbegabung und Spezialinteresse zu unterscheiden. Allein der Unterschied zwischen Begabung und Interesse ist da sehr zielführend. Begabungen sind gegeben, Interessen können sich entwickeln, auf diese Interessen können wir Einfluss nehmen. Aber nur weil jemand Interesse am Klavierspielen hat, heißt das noch lange nicht, dass dieser jemand auch die Begabung hat. Genau wie umgekehrt jemand noch so begabt am Klavier sein kann, aber einfach kein Interesse daran hat.
Dazu kommt, dass bei Savants oftmals noch eine geistige Beeinträchtigung vorliegt und diese außergewöhnlichen Leistungen nur in diesem eng eingeschränkten Bereich vorliegen.
Bei Spezialinteressen ist das ein wenig anders, hier ist die Beschränkung rein durch das Interesse vorgegeben. Autisten können sich mit ihrem Spezialinteresse ohne weiteres stundenlang intensiv beschäftigen, und das über Tage, Wochen und Monate. Dadurch kommt oftmals ein beeindruckender und immenser Wissensschatz zusammen, den sich viele Nicht-Autisten nur schwer in vergleichbarer Weise aneignen könnten.

Vielleicht ist es durchaus verständlich, dass Menschen die gerade ungefragt einen dreistündigen Vortrag über die Fortpflanzungsart der nepalesischen TseTse-Fliege gehört haben, das sei eine Inselbegabung. Doch mit größerer Wahrscheinlichkeit ist es einfach nur das Ergebnis langer, ausdauernder und intensiver Beschäftigung mit diesem Thema.

Ich habe übrigens kein Spezialinteresse, auch wenn ich als Kind eines hatte. Aber es ist genau so möglich, dass ich in der nächsten Woche etwas über ein abgefahrenes Protokoll zur Fernsteuerung von Kaffeemaschinen lese und mich auf Anhieb darin verliebe. Spezialinteressen müssen nicht immer was Fixes sein. Sie können über die Jahre verschwinden, wechseln oder neu entstehen.

*Rechenfehler vorbehalten

Materialsammlung: Autismus in den Medien

Viele, die sich ein wenig mit Autismus auskennen, werden das Problem kennen. Wann immer ein Medium Autismus aufgreift, ob Print, Internet oder Bewegtbild, stehen die Chancen gut, dass der Beitrag in einer Mischung aus Halb- und Unwahrheiten und Vorurteilen endet. Einigen Beispielen hierfür widmete ich mich ja bereits exemplarisch in der Vergangenheit hier im Blog.

Da dieses Problem aber alles andere als ein Einzelfall ist, plane ich mich diesem Thema mit einem größeren Blogartikel zu widmen, hierfür brauche ich eure Hilfe:

Schreibt mir, was euch an Artikeln und Beiträgen zum Autismus stört, was könnte man besser machen?
Schickt mir Beispiele für Beiträge, die ihr besonders daneben findet oder von deren Sorte ihr euch mehr wünscht.
Wie stellt ihr euch den idealen Bericht über Autismus vor?

Organisatorisches:
Ich behalte mir vor, einzelne Zitate aus euren Hinweisen zu veröffentlichen, solltet ihr das nicht wünschen, teilt mir dies bitte explizit mit.
Die Veröffentlichung ganzer Hinweise ist nicht vorgesehen, ihr braucht also keine Pulitzer-würdigen Texte einreichen.

Hinweise könnt ihr per Kommentar oder per Email an die altbekannte Adresse an mich schicken.

Leserbrief: Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist

Vor einiger Zeit hatte die Welt in ihrem Online-Angebot einen Artikel veröffentlicht, der sich mit der steigenden Anzahl der Autismusdiagnosen befasste. In diesem Artikel wurden einige fragwürdige Aussagen getätigt. Aus diesem Grund freue ich mich, dass mir von einer Fachkraft, eine Kopie eines Leserbriefes als Reaktion auf diesen Artikel zur Verfügung gestellt wurde und ich diesen hier veröffentlichen darf.

Betrifft:
„Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist“ von Allen Frances, veröffentlicht in der Online-Ausgabe der „Welt“ am 24.07.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
als langjährig in der Beratung und therapeutischen Unterstützung von Menschen mit Störungen des Autismus-Spektrums und anderen Behinderungen tätiger komme ich nicht umhin, mich zu Ihrem Artikel zu äußern.

Die Zunahme an gestellten Diagnosen aus dem autistischen Spektrum (frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus) in den vergangenen 15 Jahren ist sicherlich ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Autismus insgesamt deutlich mehr ins Interesse der Medien und somit auch der öffentlichen Wahrnehmung getreten ist. Nun aber von einer „Modediagnose“ auszugehen, die unreflektiert und nahezu hürdenlos an Menschen vergeben werde, welche darüber Zugang zu umfangreicher Unterstützung aus öffentlicher Hand erhielten, halte ich für äußerst bedenklich und zu kurz gegriffen.

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Liebe Eltern

Natürlich nicht alle Eltern, sondern die, die sich von diesem Tweet eventuell angesprochen fühlen könnten.

https://twitter.com/#!/qdeester/status/18725378418

Das Problem mit Eltern, die das ganze Leben ihrer Kinder ins Netz stellen, ist in keinem Fall neu. Aber im Umfeld von Kindern mit Behindeurngen scheint das Veröffentlichungsbedürfnis unangenehm hoch zu sein.
Bitte versteht mich jetzt nicht falsch, ich freue mich über jeden, der Autismus in die Öffentlichkeit trägt. Darum geht es mir bei dem was ich hier ansprechen möchte auch garnicht, sondern mir geht es darum, wie Eltern mit den persönlichen Daten ihrer Kinder umgehen.
Wer ein wenig im Netz unterwegs ist, wird früher oder später auf autistische Kinder mit eigenen Twitterhashtags stoßen.
Auf Eltern, die jedes Detail aus dem Leben ihrer Kinder twittern.
Auf Eltern, die aus jeder erdenklichen Situation im Leben ihrer Kinder Bilder schießen, um sie ins Netz zu stellen.
Auf Eltern, die Videos ihrer Kinder ins Netz stellen.

Das sind diese Momente, in denen ich mir vorstelle, wie das wohl für das Kind in diesem Fall mal später sein wird. Irgendwann liest du im Netz Dinge, von denen du dir nicht sicher wärst, dass du sie irgendwem von dir aus erzählt hättest, und dann kann die ganze Welt sie lesen. Zusammen mit Bildern und Videos, auf denen du sehr gut zu erkennen bist. Diese Vorstellung ist wohl kaum für irgendwen angenehm.
Dass nur man selbst auf diese ganzen Dinge im Netz stößt ist noch der Idealfall. Viel schlimmer stelle ich mir ja Situationen vor, wenn ich in eine neue Gruppe komme und dort kennt man mich und all die Details meines Lebens, die doch eigentlich keinen von den anderen etwas angehen.
Hätte ich diese Erfahrung gemacht, ich würde wohl nicht mehr mit meiner Mutter reden.

Das Problem ist auch keinesfalls gelöst, wenn ihr eure Kinder fragt, ob es sie stört, dass ihr dem internet etwas sagt. Ich hoffe mal, ich muss keinem Elternteil erklären, dass es ein wenig zu komplex ist, die kompletten möglichen Folgen dieser Entscheidung einzuschätzen.

Worauf ich hinaus will ist, dass ich nichts schlechtes darin sehe, zu bloggen und zu twittern was euch beschäftigt. Natürlich sind das auch eure Kinder. Twittert und bloggt über eure Kinder, aber beweist die Kompetenz, die ihr euch mal von euren Kindern wünscht wenn es darum geht, was ihr ins Netz stellt und was nicht.
Überlegt euch drei Mal ob es jetzt wirklich ein Bild sein muss, auf dem euer Kind zu erkennen und zu identifizieren ist. Nicht nur euren Kindern zuliebe.

Von der richtigen Kritik, oder wie bringe ich die Leute dazu mir zuzuhören

Wer sich ein bisschen mit Autismus auseinandersetzt und ansonsten auch regelmäßig sich mal aktuelle Zeitungsartikel zu Gemüte führt wird feststellen, dass das Adjektiv “autistisch” immer mal wieder gerne verwendet wird, um politische Gegner oder ihre Positionen herabzusetzen, so wirft man Merkel gerne mal “politischen Autismus” vor. So etwas ist nicht nett und auch mir als Autist wird da jedes mal anders bei, wenn ich feststelle, dass meine Diagnose scheinbar zur Beleidigung verkommt. Das ganze ist aber alles andere als ein neues Phänomenen mit vielerlei Krankheiten, Behinderungen und Beeinträchtigungen. So ist zum Beispiel “Spasti” schon lange in den Sprachgebrauch vieler Menschen übergegangen, wenn man jemanden beleidigen möchte.

Doch darauf möchte ich an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen. Es gibt noch andere Situationen, in denen der Begriff Autismus verwendet wird. Um die Charaktereigenschaften eines Menschen zu umschreiben, der besonders in sich gekehrt ist. Auch dies kommt häufiger vor, es ist aber ein himmelweiter Unterschied zu dem oben beschriebenen.
Man sollte differenzieren, ob man den Begriff des Autismus so einsetzt, um das gegenüber zu diskreditieren, oder ob man den Begriff des Autismus benutzt, um einen Zustand zu beschreiben. Während im ersten Fall keine besondere Phantasie vonnöten sein sollte um dahinter zu kommen, dass man grad einer Menge Autisten vor den Kopf gestoßen hat, nicht unbedingt aber wenn man den Begriff verwendet hat um einen Zustand der Introvertiertheit zu  beschreiben.

Die Frage die sich in solchen Situationen stellt, ist wie gehe ich damit um. Eine Möglichkeit, die immer wieder gerne favorisiert wird, ist “immer druff” und erst mal davon ausgehen, dass das Ganze in voller Absicht geschah. Ich kann sicherlich verstehen, dass man nach einigen Jahren keinen Bock mehr hat und auch die Nerven vor lauter Falschverwendung des Wortes an diesem Punkt relativ dünn sind. Von daher habe ich durchaus Verständnis dafür, dass, wenn der Begriff Autismus benutzt wird um einen Gegner herabzusetzen, man da schon einmal ein wenig aus der Fassung gerät. Auch mir geht das so.
Das sehe ich allerdings nicht so, wenn Autismus als wertfreie Eigenschaft verwendet wird. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass man viel mehr erreicht, wenn man versucht das Gegenüber aufzuklären und ihm erklärt, warum das jetzt grade irgendwie nicht ganz so toll war das Wort zu verwenden. Auf diese Weise haben sich bei mir schon einige Diskussionen und auf jeden Fall eine Menge Verständnis ergeben. In den meisten Fällen steckt dahinter einfach nur Unwissenheit, die man beseitigen kann, wenn das Gegenüber bereit ist einem zuzuhören, was es wesentlich häufiger ist, wenn man ihm vorher keine böse Absicht unterstellt hat.
Sollte das Gegenüber dann das Ganze doch absichtlich und in vollem Wissen getan haben, so kann man immer noch wütend werden.
Für mich ist dies auch eine Sache von gegenseitiger Toleranz, wenn ich von anderen erwarte, dass sie über meine Fehler und Macken hinwegsehen, oder einfach erklären was schief ging, so muss ich auch zeitgleich von mir selbst Nachsicht für die Fehler der anderen erwarten und erklären statt verurteilen.
Autismus ist längst nicht so bekannt wie es sollte, dessen muss man sich bewusst sein, wenn man mit anderen redet. Immer. Das wird man auch nicht ändern, wenn man die Leute durch eine aggressive Haltung davon abschreckt sich mit Autismus zu beschäftigen.

Von Missverständnissen

Falschverstehen kann man lernen.

Doch langsam. Nonverbale Kommunikation ist eine ewige Baustelle. Es ist neben den Reizüberflutungen der Punkt, an dem einem (beziehungsweise mir zumindest) der Autismus immer wieder bewusst wird. Man kommt nicht drum herum. Eine Zahl, mit der man Menschen immer wieder erstaunen kann, sind die 80% der Kommunikation, die nicht verbal stattfinden. (Sagt zumindest Wikipedia, die Zahlen schwanken je nachdem wo man liest, auf jeden Fall ist es der weitaus größere Teil.) Es gibt ganze Wissenschaften, die sich mit der Kommunikation beschäftigen. Die meisten Schüler werden im Rahmen ihres Deutschunterrichts mit Modellen von Watzlawick und Schulz von Thun gequält. Auch ich hatte in den diversen Jahren meiner Schuldbildung gleich mehrfach das Vergnügen, mich damit zu beschäftigen und Klausuren beziehungsweise Klassenarbeiten darüber schreiben zu dürfen.
Als ich mich das erste mal mit diesen komischen Modellen auseinandersetzte, war ich sehr skeptisch. “Das ist doch Schwachsinn, niemand würde soviel Mist in eine Nachricht hineininterpretieren. Warum sollten die Leute so um den heißen Brei herumreden?” Ich glaub, es hat in der Klassenarbeit damals für eine knappe 3 gereicht.

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