Tag Archives: Modediagnose

Ein paar Worte zu Modediagnosen

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In den letzten Jahren war eine wachsende Anzahl an Diagnosen innerhalb des autistischen Spektrums zu beobachten. Diesen Fakt kann man auf verschiedene Arten betrachten.

Eine Möglichkeit ist, in hoffnungslose Panik zu verfallen und eine Autismus-Epidemie heraufzubeschwören und das Ganze zur nationalen Krise im Gesundheitssystem zu stilisieren. Diese Betrachtungsweise empfiehlt sich besonders, wenn man in den USA beheimatet ist und dringend Geld sammeln muss, um Autismus bekämpfen zu können.

Eine etwas weniger panische Möglichkeit, die überall aus dem Nichts hervorspringenden Autisten zu erklären, ist es, das Ganze zu einer Modediagnose zu machen. Das sind ja ohnehin alles keine richtigen Autisten sondern nur diese weichgespülten. Da man das ja auch immer im Fernsehen sieht, ist Autismus ja gerade besonders cool. Jeder will doch Autist sein.

Vor kurzem über einem Jahr durfte ich hier einen Leserbrief veröffentlichen, der den von den Medien propagierten Mythos der Modediagnose demontierte. In den letzten Monaten stieß ich im Austausch mit anderen Autisten zunehmend häufiger in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auf diesen Begriff.

So scheint es zum Beispiel so, dass irgendwo in Deutschland Diagnostiker sitzen, die Patienten erst einmal mit dem pauschalen Verdacht begrüßen, sie wollen nur Autisten sein, weil das grade “In” sei.
Ich erlebe Autisten, die zu ihrer Diagnose sagen, dass sie gestellt wurde, bevor Autismus modern war.
Gestern hörte ich zum zweiten Mal davon, dass die Reaktion des Umfelds auf die Diagnose ein “Ach, das wollen doch jetzt alle sein.” war.

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Leserbrief: Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist

Vor einiger Zeit hatte die Welt in ihrem Online-Angebot einen Artikel veröffentlicht, der sich mit der steigenden Anzahl der Autismusdiagnosen befasste. In diesem Artikel wurden einige fragwürdige Aussagen getätigt. Aus diesem Grund freue ich mich, dass mir von einer Fachkraft, eine Kopie eines Leserbriefes als Reaktion auf diesen Artikel zur Verfügung gestellt wurde und ich diesen hier veröffentlichen darf.

Betrifft:
„Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist“ von Allen Frances, veröffentlicht in der Online-Ausgabe der „Welt“ am 24.07.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
als langjährig in der Beratung und therapeutischen Unterstützung von Menschen mit Störungen des Autismus-Spektrums und anderen Behinderungen tätiger komme ich nicht umhin, mich zu Ihrem Artikel zu äußern.

Die Zunahme an gestellten Diagnosen aus dem autistischen Spektrum (frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus) in den vergangenen 15 Jahren ist sicherlich ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Autismus insgesamt deutlich mehr ins Interesse der Medien und somit auch der öffentlichen Wahrnehmung getreten ist. Nun aber von einer „Modediagnose“ auszugehen, die unreflektiert und nahezu hürdenlos an Menschen vergeben werde, welche darüber Zugang zu umfangreicher Unterstützung aus öffentlicher Hand erhielten, halte ich für äußerst bedenklich und zu kurz gegriffen.

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