Leserbrief: Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist

Vor einiger Zeit hatte die Welt in ihrem Online-Angebot einen Artikel veröffentlicht, der sich mit der steigenden Anzahl der Autismusdiagnosen befasste. In diesem Artikel wurden einige fragwürdige Aussagen getätigt. Aus diesem Grund freue ich mich, dass mir von einer Fachkraft, eine Kopie eines Leserbriefes als Reaktion auf diesen Artikel zur Verfügung gestellt wurde und ich diesen hier veröffentlichen darf.

Betrifft:
„Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist“ von Allen Frances, veröffentlicht in der Online-Ausgabe der „Welt“ am 24.07.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
als langjährig in der Beratung und therapeutischen Unterstützung von Menschen mit Störungen des Autismus-Spektrums und anderen Behinderungen tätiger komme ich nicht umhin, mich zu Ihrem Artikel zu äußern.

Die Zunahme an gestellten Diagnosen aus dem autistischen Spektrum (frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus) in den vergangenen 15 Jahren ist sicherlich ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Autismus insgesamt deutlich mehr ins Interesse der Medien und somit auch der öffentlichen Wahrnehmung getreten ist. Nun aber von einer „Modediagnose“ auszugehen, die unreflektiert und nahezu hürdenlos an Menschen vergeben werde, welche darüber Zugang zu umfangreicher Unterstützung aus öffentlicher Hand erhielten, halte ich für äußerst bedenklich und zu kurz gegriffen.

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Mein Autismus–Ein (Zwischen-)Fazit

Die Reihe “Mein Autismus” umfasst inzwischen 10 Beiträge. Das Feedback, welches ich zwischenzeitlich zu dieser Reihe hatte, war wirklich enorm und hat mich selbst überrascht. Dennoch möchte ich die Reihe an dieser Stelle erst einmal beenden. Ich möchte verhindern, dass “Mein Autismus” langsam ausschleicht und in die Bedeutungslosigkeit abrutscht.
Das muss aber nicht für immer sein. Es steht jedem, der für diese Reihe einen Beitrag beisteuern möchte, frei, diesen unter der bekannten Mailadresse an mich senden. Wenn ausreichend Beiträge zusammen kommen werde ich einen zweiten Block von Beiträgen veröffentlichen.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die an dieser Reihe in welcher Form auch immer mitgewirkt haben, insbesondere aber bei den Autoren die sich der Herausforderung angenommen haben. Diejenigen die es getan haben, werden gemerkt haben, das es wesentlich schwerer ist als es scheint zu einem solchen Thema, in einem relativ kurzen Text, etwas zu schreiben.

Alle Beiträge von „Mein Autismus“ könnt ihr hier nachlesen.

Charlotte – Irgendwie schmerzlich schön

Bis zu meinem 8. Lebensjahr glaubte ich der Mond und die Sonne seien eins. Quasi ein Himmelskörper mit gespaltener Persönlichkeit. Am Tage fordernd, aber motivierend und am Abend allein unter diesen Sternen, unverstanden, aber zuversichtlich.

Natürlich waren in meiner Vorstellung der Mond und die Sonne schon zwei vollkommen verschiedene Dinge. Jedoch teilten sie sich den Platz. Auch die Tatsache, dass der Mond im Laufe des Monats immer kleiner wurde, lies mich nicht an meiner Vermutung zweifeln.

Ich weiß nicht, warum ich solange glaubte, der Mond und die Sonne seien ein und die selben astronomische Elemente, da ich mir sicher bin darüber aufgeklärt wurden zu sein. Vermutlich hatte ich mir diese naive Vorstellung in meinem Kopf sorgfältig zusammen gebastelt und konnte mich von ihr einfach nicht trennen.

Immerhin steckten hinter solchen Fantasien unheimlich viel Detail. Man durchdachte und baute und wünschte und gewöhnte sich so an diese Idee, dass einem die Realität immer ziemlich hart traf.

Ich fragte meine Mutter mit fünf Jahren, ob ich Blindenschrift erlernen könne, da ich die Raufasertapete so gerne einmal verstehen würde, denn Raufasertapeten seien doch übergroße Bücher in Blindenschrift.

Das ist ein Ausschnitt meiner Wahrnehmung in Kindertagen.

Nach wie vor gleichen meine Sinne keinem Nicht-Autisten, aber das finde ich gut. Mein Autismus gibt mir die Möglichkeit auf ungewöhnliche Details zu achten, was mich zu einer guten Fotografin macht und mich von Zeit zu Zeit nette Texte schreiben lässt. Und ich einige Menschen immer wieder mit Detailwissen beeindrucken kann und von selbigen heute auch nicht mehr als schräg und sonderbar sondern, als besonders eingestuft werde. Dazu sei gesagt, Ausnahmen bestätigen die Regel. Mensch ist nicht gleich Mensch. So wie Autist nicht gleich Autist ist.

Hallo, mein Name ist Charlotte, bin 22 Jahren alt und seit fast einem Jahr diagnostizierte Asperger- Autistin. Ich mag es, ich zu sein. Aber es bedeutet auch starke Nerven zu haben und nicht darauf zu hoffen, von allen Menschen irgendwann verstanden zu werden.

Vielleicht, wenn ich groß bin, führe ich ein „normales“ Leben. So mit Haus am See und weniger Chaos. Vielleicht. Aber bis dahin, mach ich all das durch, was fast jeder junge Mensch durchmacht. Denn so anders bin ich nicht.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

Charlotte ist 22 Jahre alt und wurde ungefähr ein Jahr vor der Veröffentlichung dieses Beitrags diagnostiziert.

Maskenwald – Mein Autismus

Autismus ist für mich die Summe meiner neurologischen Auffälligkeiten. Ein Sammelsurium von Neigungen, die nur auffallen, weil sie nicht der überwältigenden Mehrheit entsprechen.

Früher bedeutete das vor allem Rückzug und Gefahrenvermeidung. Imitation und Anpassung. Die Diagnose „Asperger-Syndrom“ erhielt ich erst, nachdem ich von der Uni geschmissen wurde. Zuvor fehlte mir ein Oberbegriff. In meiner Selbstwahrnehmung war ich einfach nur anders. Das bedeutete von Anderen auf Dinge aufmerksam gemacht zu werden, die mir selbst nie aufgefallen wären.

In der Grundschule fragten mich meine Mitschüler einmal während einer Theaterprobe, warum ich immer so schaukelte. Ich konnte ihnen die Frage nicht beantworten. Genauso wenig, wie meine Mitschüler nicht beantworten konnten, warum sie nicht schaukelten. Aber diese Frage stellte ich ihnen nicht. Niemand hinterfragt das Gewöhnliche.

Heute weiß ich, es war eine typisch autistische Stereotypie. Eine kontrollierbare Form von Stressabbau. Die unterschwellige Botschaft meiner Mitschüler verstand ich allerdings schon damals: „Bitte bewege nur Körperteile, die auch wir bewegen. Drehe Däumchen, kratze dich am Hals, aber unterlasse diese Schaukelei oder wir zeigen mit dem Finger auf dich“. Später sollte es dann ein „… oder wir machen dein Leben zur Hölle!“ werden.

Doch ein flacher Affekt lässt sich nicht stundenlang überspielen. Meine Interessen vernachlässige ich auch nicht um jeden Preis. Leider drangen mich meine Eltern zu ihrer Vorstellung eines perfekten Bürgers.

Er spricht komisch? Der Logopäde soll ihn reparieren. Er läuft komisch? Der Orthopäde soll ihn reparieren. Er verhält sich komisch? Der Schulpsychologe soll ihn… Nein, sollte er nicht.

Meine Mitschüler erkannten, dass ich Dinge machte, ohne sie zu hinterfragen, um nicht ausgegrenzt zu werden. Ich ging von einer guten Gesinnung in jedem Menschen aus und meine Gutgläubigkeit wurde gnadenlos ausgenutzt. Ein schizoid-paranoides Verhalten folgte.

Heute haben sich die sozialen Probleme verringert. Erwachsene sind weit weniger grausam. Ich komme ohne psychiatrische Medikation aus. Nicht zuletzt dank eines pro-autistischen Internets.

So kann ich häufiger meine Stärken auszuspielen. Mir springen beispielsweise in Online-Artikeln Buchstabendreher sofort ins Auge. Über die schlampige Arbeit der Redakteure rege ich mich dann so sehr auf, dass für den eigentlichen Inhalt keine Konzentration mehr bleibt und ich einen wahrscheinlich miesen Artikel verpasse, über den ich mich sonst noch mehr aufgeregt hätte.

Ernst beiseite, durch die Folgen des Zusammenpralls meines kleinen autistischen X-Wings mit den großen neurotypischen Sternenzerstörern verlor ich meinen Studienplatz, bin erwerbslos und auf Hilfe angewiesen. Die in meiner Schulzeit ausgelösten Reaktionen und Schutzmechanismen tun ihr Übriges.

Allerdings ist mein Autismus selbst weder eine zermürbende Krankheit, die medikamentös behandelt oder vernichtet werden müsste, noch eine überlegene Superkraft vom Planeten Melmac, mit der mein Verdauungsfortschritt durch die Tonlage eines Rülpsers ersichtlich wäre. Nein, meine autistischen Interessen, Routinen, Wahrnehmungen und Zwänge basieren auf Dingen, die jeder Mensch besitzt. Bei mir variiert lediglich die Art oder Intensität dieser Dinge. Wie eine große Spachtel, die vor meiner Geburt über das frische Bild meines Bauplans kratzte und Teile davon in eine bestimmte Richtung verzerrte.

Das Resultat ist keine binäre Welt mit krassen Schwarz-Weiß-Gegensätzen, sondern ein weites Feld mit viel grau. Manchmal heller, manchmal dunkler. Leider neigen viele Menschen dazu ein dunkelgrau als schwarz zu sehen, während ihr eigenes hellgrau ihnen weiß erscheint.

Das ist ein Problem, denn ich werde als inhomogenes Teilchen wahrgenommen. Als ein kleiner Öltropfen, der in einem sauberen Meer nichts zu suchen hat. Und ich kann die Anderen nicht so ignorieren, wie sie es könnten. In einer NT-Welt bin ich von eNTen umzingelt und abhängig. Die Mehrheit scheut den Aufwand mir eine kommunikative Extrawurst zu braten. Oder würdest du als Gewitterblitz deine wertvolle Zeit mit artistischen Pirouetten am Himmel vergeuden, wenn es keinen deutlichen Mehrwert für dich hätte?


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

Maskenwald twittert und betreibt ganz frisch einen Blog.

dasfotobus – Sieh es so wie ich es seh

Ich prokrastiniere nun schon geraume Zeit, diesen Text zu schreiben, obwohl er mir durchaus wichtig ist.
Was ist Autismus für mich? Was ist „mein“ Autismus?
Ich weiß nun seit fast 1 1/2 Jahren, dass ich Asperger-Autist bin. Viele Fragen haben sich seitdem geklärt, viele neue Fragen kommen hinzu. Noch weiß ich wohl selbst längst nicht alles über mich und „meinen“ Autismus.

Ich bin spätdiagnostiziert. Auf einen Eigenverdacht hin. Sieht man meinen Autismus? Können Laien ihn sehen? Bekannte, Freunde, Familie, Menschen auf der Straße?
Ja und nein. Wer sich mit Autismus auskennt und länger Kontakt mit mir hat, wird ein paar autistische Verhaltenweisen bemerken. Wer sich nicht auskennt, sieht ein paar Macken oder Schrullen. Wer mich nur kurz sieht, sieht eventuell gar nichts von meinem Autismus, eventuell aber bemerkt er mich auch gerade in dem Moment, in dem ich leicht schaukelnd im Supermarkt vor dem Puddingregal stehe und einfach nicht weiß, was ich tun soll, weil mein Pudding nicht dort steht. Was Menschen denken, die eine solche Momentaufnahme von mir sehen, weiß ich nicht.

Jedenfalls kam in meinem ganzen Leben noch niemand zu mir und sprach mich auf Autismus an. Dies sehe ich begründet in einer Mischung aus zwei Dingen:
1. „Mein“ Autismus ist nicht gar zu auffällig.
2. Die meisten Menschen kennen das Asperger-Syndrom nicht oder nicht gut genug.

Der zweite Punkt ist es, der viele Asperger-Autisten dazu bringt, im Internet über Autismus zu erzählen. Solange Autismus derart unbekannt ist in seiner Vielfalt, sind viele von uns dazu gezwungen, unauffällig zu sein. „Ist doch gut, wenn du gar nicht so auffällst“, mag mancher Nicht-Autist nun denken, aber wie viel Kraft das mitunter kostet, weiß er nicht. Ich möchte, dass „mein“ Autismus sein darf. Dass er erkannt werden darf. Dass ich ich sein darf. Überall. Ohne Nachteile auf dem Arbeitsmarkt. Ohne mit Vorurteilen kämpfen zu müssen. Ohne Versteckspiel.
Das soll nicht heißen, dass sich die ganze Welt mir anpassen soll. Aber ich möchte und kann mich nicht immerwährend der ganzen Welt anpassen. Insgesamt ein besseres Miteinander wäre schön. Und dazu gehört, dass beide Seiten aufeinander zugehen und sich nicht immer nur eine verbiegen muss. Jeder Mensch muss sich in verschiedenen Situationen anpassen. Mehr Verständnis kann dies für alle vereinfachen.

Eins ist mein Autismus:
Immer bei mir, immer da, immer Teil meines Ichs.
Und eins ist er für mich:
Gar nicht so schlimm meist.

Ich lade dich dazu ein, es zu sehen wie ich:
Mein Autismus ist immer da, aber gar nicht so schlimm. Er wird weder dich noch mich beißen oder gar auffressen, wenn du ihn verstehen willst. Versuch es!


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

dasfotobus bloggt unter dasfotobus und twittert als fotobus.

Liebe Eltern

Natürlich nicht alle Eltern, sondern die, die sich von diesem Tweet eventuell angesprochen fühlen könnten.

https://twitter.com/#!/qdeester/status/18725378418

Das Problem mit Eltern, die das ganze Leben ihrer Kinder ins Netz stellen, ist in keinem Fall neu. Aber im Umfeld von Kindern mit Behindeurngen scheint das Veröffentlichungsbedürfnis unangenehm hoch zu sein.
Bitte versteht mich jetzt nicht falsch, ich freue mich über jeden, der Autismus in die Öffentlichkeit trägt. Darum geht es mir bei dem was ich hier ansprechen möchte auch garnicht, sondern mir geht es darum, wie Eltern mit den persönlichen Daten ihrer Kinder umgehen.
Wer ein wenig im Netz unterwegs ist, wird früher oder später auf autistische Kinder mit eigenen Twitterhashtags stoßen.
Auf Eltern, die jedes Detail aus dem Leben ihrer Kinder twittern.
Auf Eltern, die aus jeder erdenklichen Situation im Leben ihrer Kinder Bilder schießen, um sie ins Netz zu stellen.
Auf Eltern, die Videos ihrer Kinder ins Netz stellen.

Das sind diese Momente, in denen ich mir vorstelle, wie das wohl für das Kind in diesem Fall mal später sein wird. Irgendwann liest du im Netz Dinge, von denen du dir nicht sicher wärst, dass du sie irgendwem von dir aus erzählt hättest, und dann kann die ganze Welt sie lesen. Zusammen mit Bildern und Videos, auf denen du sehr gut zu erkennen bist. Diese Vorstellung ist wohl kaum für irgendwen angenehm.
Dass nur man selbst auf diese ganzen Dinge im Netz stößt ist noch der Idealfall. Viel schlimmer stelle ich mir ja Situationen vor, wenn ich in eine neue Gruppe komme und dort kennt man mich und all die Details meines Lebens, die doch eigentlich keinen von den anderen etwas angehen.
Hätte ich diese Erfahrung gemacht, ich würde wohl nicht mehr mit meiner Mutter reden.

Das Problem ist auch keinesfalls gelöst, wenn ihr eure Kinder fragt, ob es sie stört, dass ihr dem internet etwas sagt. Ich hoffe mal, ich muss keinem Elternteil erklären, dass es ein wenig zu komplex ist, die kompletten möglichen Folgen dieser Entscheidung einzuschätzen.

Worauf ich hinaus will ist, dass ich nichts schlechtes darin sehe, zu bloggen und zu twittern was euch beschäftigt. Natürlich sind das auch eure Kinder. Twittert und bloggt über eure Kinder, aber beweist die Kompetenz, die ihr euch mal von euren Kindern wünscht wenn es darum geht, was ihr ins Netz stellt und was nicht.
Überlegt euch drei Mal ob es jetzt wirklich ein Bild sein muss, auf dem euer Kind zu erkennen und zu identifizieren ist. Nicht nur euren Kindern zuliebe.

Zwischen Stolz und Betroffenheit

Heute ist Autistic Pride Day. Ich möchte an dieser Stelle darauf eingehen, warum ich mich mit diesem Tag nie so recht anfreunden konnte. Dieser Text spiegelt allein meine Sichtweise wieder und diese ist gerne zur Diskussion gestellt.
Die Idee des Autistic-Pride-Day entstand wohl in der Anlehnung an Gay-Pride und den Kampf für Akzeptanz und Gleichberechtigung. Es mag hier wohl einige Übereinstimmungen geben, aber auch sehe ich, dass hier einiges hinkt. Ich denke nicht, dass man Autismus so ohne weiteres mit Schwul/Lesbisch sein vergleichen kann. Zuallererst einmal möchte ich an dieser Stelle behaupten, Schwul oder Lesbisch dürfte von sich aus erst einmal wenig Nachteile bringen. Ich will damit keinesfalls behaupten, dass es einfach ist, in dieser Gesellschaft als schwul geoutet zu sein. Aber solang wir von einer idealen toleranten Gesellschaft ausgehen, birgt es erst einmal keinen Nachteil.
Anders sehe ich das beim Autismus. Hier kann ich nur für mich sprechen, aber ich kann sagen, dass mein Leben in einer perfekten toleranten Gesellschaft durch den Autismus durchaus beeinträchtigt ist. Sei es, dass ich nur zu leeren Zeiten einkaufen kann, oder ich an manchen Tagen nur schwer vor die Tür kann weil das Tageslicht in einer unangenehmen Frequenz scheint.
Deshalb habe ich persönlich damit ein Problem diese Bewegungen so ohne weiteres gleichzusetzen.

Ein anderer Aspekt der mich an Autistic-Pride stört ist das Wort “Pride”. Ich möchte hier ausdrücklich nicht falsch verstanden werden. Autismus ist nichts schlimmes. Autismus ist nichts, das geheilt werden muss. Aber Autismus kann durchaus eine Behinderung sein, wie mein Beispiel oben ja durchaus auch zeigt. Ich sage nicht, dass sie das muss, ich möchte die Entscheidung, ob sein Autismus ihn behindert, jedem selbst überlassen. Das gilt dann aber auch im Umkehrschluss, dass niemand pauschal sagen sollte Autismus sei keine Behinderung.
Alles in allem ist Autismus nichts auf das ich stolz bin. Ich könnte dann ebenso auf meine braunen Haare, oder meine Schuhgröße 48 stolz sein. Ich habe keinerlei Leistung erbracht um Autist zu werden. Hier sehe ich das Problem, ob es wirklich die Wirkung auf Nichtautisten hat, die viele Autisten sich wünschen. Denkt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, so wird es spätestens unangenehm wenn man als Autist Hilfe und Nachteilsausgleiche sucht, denn man ist ja nicht behindert, sondern im Gegenteil mit etwas gesegnet auf das man stolz sein kann. An dieser Stelle kann man sich von seinem Schwerbehindertenausweis und allen Nachteilsausgleichen getrost verabschieden. Denn diese suggerieren ja, dass sie einen Nachteil ausgleichen, der von Autistic-Pride-Anhängern gerne mal geleugnet wird.

Abschließend denke ich, dass die Autistic-Pride-Bewegung mit ihren Forderungen wie man Autismus sehen sollte durchaus in eine Richtung geht, welche nicht verkehrt ist, ich denke mir nur, dass es wichtig ist, den Menschen ein differenziertes Bild von Autismus zu liefern. Autismus ist kaum das, was die meisten Menschen vor Augen haben wenn sie das Wort Behinderung hören. Aber umgekehrt ist Autismus auch nichts, das vollkommen problemfrei ist. Welche Probleme ein Autist hat und als was er sich sehen möchte sollte von niemandem vorgeschrieben werden, auch nicht von anderen Autisten, die im Grunde auch nur für sich sprechen können.

Autismus ist kein Todesurteil und keine nächste Stufe der Evolution, er ist weder gut, noch ist er schlecht.

An dieser Stelle ein Dankeschön an @kwetchen für seine nächtlichen Ratschläge für einige Aspekte dieses Textes und diesen wirklich lesenswerten Link.

Sommerpause

Um mal das abgedroschene Klischee zu bedienen:

“Ich bin dann mal weg.”

Das Ganze nicht für immer, aber bis zum 17.07.2011. Das bedeutet, ihr werdet bis dahin erst einmal keine neuen Beiträge hier im Blog lesen. Der Grund dafür ist leider kein Südseeurlaub, sondern ein den meisten studierten Menschen als Klausurphase bekanntes Übel.
Da dieses Blog ein reines Freizeitprojekt von mir ist, werde ich nicht die Zeit haben, mich in dem Ausmaß, das nötig wäre, darum zu kümmern.
Sowohl die Reihe “Mein Autismus” als auch die Reihe “Autismus Quergedacht” werden nach der Sommerpause wie gewohnt fortgesetzt werden.

Solltet ihr Angst haben, dass euch der Lesestoff ausgeht kann ich euch meine Blogroll ans Herzen legen, oder ihr folgt mir auf Twitter.

Bis bald!

Hawkeye