Category Archives: Autismus in den Medien

Vergleichende Metaphern

Metaphern und Vergleiche sind sehr nützliche Tiere. Insbesondere vor dem Hintergrund  meiner Beschäftigung mit der IT retteten sie mir in der Vergangenheit schon öfter den Hintern, wenn es darum ging, Dinge zu vermitteln, die für Laien nur schwer verständlich sind. Doch auch in anderen Punkten sind sie hilfreich. Man kann mit ihnen Standpunkte verdeutlichen oder erkennt an manchen von ihnen, wann eine Diskussion über den Jordan ging. Insbesondere mir, mit meiner tendenziell bildhaften Denkweise, helfen sie oftmals, Gedanken auszudrücken, die ich sonst nicht allgemein verständlich abstrahiert bekäme.
Jedoch ist nicht jeder (bildhafte) Vergleich auch immer in jeder Situation gleich geeignet.  Dabei gibt es Vergleiche, die grundsätzlich nicht angemessen sind, wie zum Beispiel der Vergleich von Personen mit (toten oder lebenden) Diktatoren. Genauso sind Bilder, die irgendeinen Verweis auf Genozide enthalten, eher ungeeignet, weil sie das Potenzial haben, Gefühle zu verletzen, und dieses Potenzial in der Regel auch voll ausschöpfen. Der Umgang damit ist zum Glück relativ simpel in einer Faustregel zusammenzufassen:
Lasst es einfach sein.

Es gibt aber auch Vergleiche, die das gleiche Risiko in sich tragen, es jedoch nicht ganz so offensichtlich zeigen. Beispielsweise sind das Vergleiche, die so weit an den Haaren herbeigezogen wurden und dadurch so sehr hinken, dass, wären sie Pferde, der Tierarzt nur noch den Abdecker rufen würde.
Die Extremform der Vergleiche, welche nicht mal mehr hinken, sondern von vornherein Verwesungsgeruch ausströmen, sind solche, die nicht viel Bezug zur Realität haben, sondern einfach nur gesamtgesellschaftliche Vorurteile widerspiegeln. Ein relativ weit verbreitetes, in diesem Fall rassistisches, Beispiel dafür wäre zum Beispiel „Die klauen wie die Polen.“ Jeder versteht was gemeint ist, unabhängig vom Realiätsbezug, und vermutlich wird kein Pole in freudige Extase verfallen, wenn er das hört.
Die Wahrscheinlichkeit, solche Aussagen heutzutage in der Zeitung zu lesen, ist zum Glück stark gesunken. Dafür liest man heute andere Vergleiche, die aber ebenso das Problem des geringen Realitätsbezugs und des umso größeren Vorurteilsbezugs haben. Unter anderem fällt hier die Verwendung des Wortes Autismus auf, um Personen auf Charaktereigenschaften zu reduzieren.

Dabei hätte ich im Grunde gar nichts dagegen, Autismus als Metapher zu verwenden. Das Problem ist, ich fand bisher noch keine Autismus-Metapher, die irgendetwas anderes als die Vorurteile transportiert. Sei es Engstirnigkeit, die fehlende Bereitschaft zur Kommunikation, Egoismus in allen Varianten und vieles mehr. Diese Vorurteile über Autismus sind weder schön noch neu noch selten. Die Metaphern greifen nur auf, was ohnehin schon da ist – könnte man sagen und diese Diskussion beenden. Wenn man etwas weiter denkt, stellt man jedoch mit etwas Glück fest, dass es nicht ganz so simpel ist, sondern durch solche Vergleiche Vorurteile gefestigt werden. Denn jeder, der noch keine Ahnung hat, was Autismus ist, (und das sind nicht Wenige) wird es durch häufiges Lesen der Metapher lernen. Nur eben das Vorurteil und nicht die Realität. Und das sorgt mittelfristig dafür, dass auch eine weitere Generation Autisten das zweifelhafte Vergnügen bekommt, erst einmal versuchen zu müssen, zu erklären, was Autismus wirklich ist – und dass Autisten keine kurzsichtig denkenden Egoschweine sind.

Wie ich bereits sagte: Ich habe kein Problem damit, wenn Sie Autismus als Metapher verwenden. Sofern Sie ihn verstanden haben – und man das Ihrer Metapher auch anmerkt. Ich habe Autismus vermutlich verstanden, und auf Anhieb fällt mir nichts ein, wofür er Metapher sein könnte, denn das Spektrum ist zu weit, als dass es wirklich vergleichsfähige Eigenschaften gäbe, mit denen Sie keinen Autisten vor den Kopf stoßen. Aber eventuell finden Sie ja doch was, womit Sie sich meinen Respekt verdient hätten.

Wenn Sie es jedoch nicht verstanden haben, lassen Sie es. Sie sind intelligent. Sie finden einen besseren Weg, Ihr Anliegen klarzumachen.

 

Ist das noch Pavlov?

Während es Spiegel Online geschafft hat, eine DPA-Meldung aus dem Autismus-Kontext so aufzuhübschen, dass ich sie lesen konnte ohne Schmerzen zu haben, kommen die Schmerzen anderswo umso mehr.

Hinweis: Der nun folgende Text benutzt die Stilmittel Sarkasmus und Ironie, ich habe mich jedoch bemüht, diese entsprechend zu kennzeichnen.

Bei Zeit Online ist heute ein Artikel mit dem aussagekräftigen Titel “Bloß nicht zu nett sein!” erschienen. In diesem Artikel wird auf zwei Seiten ein Loblied auf ABA gesungen, bis irgendwann auf Seite drei auch mal eine kritischere Stimme zu Wort kommt. Zumindest wenn irgendein Leser soweit aushält. (Wer zum Teufel kommt eigentlich auf die Idee, Websites zum Blättern zu bauen?) Aber nun gut, ich habe solange ausgehalten und mir die Werbebroschüre den Artikel durchgelesen und möchte, entgegen meinem Grundsatz, nichts zu einzelnen Therapieformen zu sagen, an dieser Stelle mal meinen Senf dazu geben:

Beginnen wir mit dem klassischen Einstieg, ein armes Kind, das vollkommen von seiner Außenwelt abgeschlossen ist und dann innerhalb nur weniger Wochen in der Lage ist, die Kommandos seiner Eltern zu befolgen, wenn er denn mit einem Smartie dafür belohnt wird. (Die Hundehalter unter den Lesern dürften das Prinzip wiedererkennen.) Es sind Geschichten wie diese, mit denen ABA oft verkauft wird. Einzelne anekdotisch erzählte Erfolgsgeschichten. Der nächste Schritt besteht dann darin, dass man den staunenden Leuten erzählt, wie auch sie das erreichen können, nämlich:

„Sprechen, jemanden ansehen, allein auf die Toilette gehen, Gefühle auf einem Gesicht erkennen: Was andere Kinder nebenbei lernen, muss Johan mühsam beigebracht werden. Das geschieht nach einer neuartigen Methode, die fast wie ein Hochleistungstraining aufgebaut ist: 30 Stunden pro Woche sitzt Johan auf seinem Kinderstuhl still, während die Erwachsenen sein Verhalten steuern, als sei er ein willenloses Wesen.“

Klingt schon irgendwie grausam. [Sarkasmus]Aber ist ja alles für einen guten Zweck, denn schließlich soll mein Kind ja anderen in die Augen sehen, und es ist ja auch nicht so, dass Autisten leichter zu überfordern sind als andere Menschen, von daher können diese fünf Stunden täglich ja nur gut sein und auf keinen Fall eine Belastung, und außerdem: Sagte ich schon, dass es ja für einen guten Zweck ist?[/Sarkasmus]

Erst mal stimmt es, dass Autisten alle oder einige dieser Dinge unter Kraftaufwand lernen müssen, aber das im Kontext dieser Dinge immer wieder der Blickkontakt genannt wird, ist schon ein wenig irritierend. Ich schaue Menschen bis heute kaum in die Augen und habe dadurch keinerlei Einschränkungen in der Lebensqualität. Im Gegenteil, wenn ich Menschen immer in die Augen schauen müsste, würde mich das jedes Mal so nachhaltig verwirren, dass ich immer wieder aus dem Gespräch geworfen werde. Aber vielleicht ist das bei Johann ja nicht so, weil sonst hätte er wohl das Problem, dass er das ankonditionierte Verhalten  wieder los werden müsste, wenn er nicht dauerüberfordert in Gesprächen mit anderen Menschen sein will.

Der andere Punkt dabei ist, dass ABA nicht der einzige Weg ist, all diese Dinge zu erlernen. Ich habe sie schließlich auch gelernt, ohne dass meine Eltern mich fünf Stunden täglich trainierten. Der Unterschied ist, dass ich verstanden habe, warum das was ich tun soll Sinn  macht, das heißt ich verstehe da was ich tue. Weil das menschliche Verhalten  dummerweise mehr als ein einfaches Reiz-Reaktions-Muster ist. Was in den meisten  Situationen richtig ist, kann einen in anderen Situationen in Teufels Küche bringen. Die gleiche Ausgangssituation kann auf einer Beerdigung eine komplett andere Reaktion erfordern als sagen wir mal auf einem Kegel-Abend. Ist das einem Menschen, der diese Sachen über Konditionierung gelernt hat, genau so klar wie mir, der ich die Hintergründe verstanden habe? Allein diese Überlegung sollte eigentlich nahelegen, dass ABA nicht der alleinige Weg zum Erfolg sein kann.

„Bei Autisten ist das Erkennen von Ursache und Wirkung gestört. Das behandeln wir durch Verstärkung.“

Das hier ist einer dieser typischen „Bei Autisten …“-Sätze, die eigentlich immer für Aufregung gut sind. [Sarkasmus] Oh, scheinbar habe ich eben Verstanden, dass dieser Satz die Ursache ist dafür, dass ich mich aufrege. Das würde ja bedeuten, dass ich Ursache und Wirkung erkannt habe. Aber das würde dann ja bedeuten, dass ich kein Autist bin. ICH BIN GEHEILT! [/Sarkasmus]
Ok und jetzt mal ernsthaft. Es mag sein, dass bei einigen Autisten dieser Zusammenhang, insbesondere in sozialen Situationen, nicht erkannt wird. Das hat aber wohl eher damit zu tun, dass Autisten meist nur die Wirkung mitbekommen. Sie bekommen mit, dass sie gerade Ärger kriegen, aber dass das daran liegen könnte, dass sie gerade Witze auf einer Beerdigung erzählt haben, bemerken sie nicht zwingend, wenn ihnen das Gefühl dafür fehlt, dass andere Menschen grade traurig sind, obwohl sie auf einer „Feier“ sind und dass man traurige Menschen nicht immer mit Witzeerzählen aufheitern kann. Soziale Situationen bestehen eben nicht nur aus einer einfachen Ursache-Wirkungs-Kette.
Leider.

Dann wäre da noch ein grundsätzliches Problem. Ich habe mit der Zeit gelernt, dass es garnicht das Ziel sein sollte, immer komplett normal zu wirken und allen Leuten freundlich lächelnd in die Augen zu schauen. Ich wäre vermutlich dazu in der Lage, das zu tun, aber was hätte ich davon? Ich würde so viel meiner Energie darauf verwenden, die mir dann an anderen Stellen fehlt. Man kann durchaus auch mit anderen Menschen interagieren, ohne ihnen konstant in die Augen zu schauen. Einige Menschen stört das nicht mal. Die Menschen, die es stört, sind meist zufrieden damit, wenn man irgendwo in die Nähe ihrer Augen schaut, den Unterschied bemerken sie in der Regel nicht. Obwohl ich Menschen nicht in die Augen schaue, habe ich einen Freundeskreis. Es geht nicht immer darum, 100% nach außen hin normal zu wirken, es reicht, sich da auf die Bereiche zu konzentrieren, die negative Konsequenzen nach sich ziehen und unbeliebt machen. Ich bezweifle irgendwie, dass es so gut wäre, wenn ich aufhören würde darauf zu achten, niemanden zu unterbrechen beim Reden, aber dafür allen in die Augen zu schauen. Sicherlich könnte ich auch auf beides achten, aber das hätte dann zur Folge, dass ich entweder nur noch an einem Tag in der Woche unter Menschen gehe oder mir schon mal einen Platz in der Burnout-Reha suche.

Das ist eines der ganz großen Probleme, die ich sehe, wenn nur ABA ohne irgendwas anderes angewendet wird. Kein Mensch hat endlose Reserven an Konzentration, die er aufbringen kann, und von der Fähigkeit damit zu haushalten, habe ich noch keinen ABA-Verfechter sprechen hören, wenn er davon erzählte, dass die Kinder (fast) ganz normal wirken werden am Ende.

tl;dr: Es gibt keine Autismus-Therapie, die alle glücklich macht, ideologische Grabenkämpfe führen zu nichts und ABA – insbesondere allein angewendet – sollte kritisch betrachtet werden. Es wäre allen viel mehr geholfen, wenn man da mit einer gesunden Mischung im Einzelfall arbeitet.

Bedeutungwandel

Ich könnte mich jetzt über die Zeit aufregen, die beim fröhlichen Griff in die Buzzword-Schublade mal wieder Autismus rauszog. Bringt aber nichts. Auch wenn der Begriff „sexueller Autismus“ so unbeschreiblich ist, dass man sich über Seiten damit auseinander setzen könnte.

Autismus ist im Mainstream angekommen. Schon seit einiger Zeit stößt man beim Lesen immer öfter auf den Begriff. Würde das bedeuten, dass mehr aufgeklärt wird und dass die ganzen Vorurteile endlich abgebaut werden, würde ich jetzt nicht diese Zeilen tippen, sondern Konfetti-werfend über den Wohnheimflur hüpfen.

Leider hat der Autismusbegriff im Mainstream relativ wenig mit Autismus zu tun, sondern ist eine Metapher. Je nach Lust und Laune des Autors, eine Metapher für alles, das gerade nicht seinen Vorstellungen entspricht, wie Sozialverhalten und zwischenmenschliche Interaktion auszusehen haben. Zu den Gründen, warum der Autor das womöglich tut, will ich mich gar nicht auslassen.

Wenn man die Autoren in solchen Situationen fragt, hat man gute Chancen erklärt zu bekommen, dass gar nicht die Störung gemeint sei, sondern dass es lediglich ein Ausdruck für die Ich-Bezogenheit sei. Schließlich komme das Wort ja vom griechischen Begriff für "selbst".

Manchmal schwappt in solchen Aussagen auch gleich noch der Vorwurf mit, man solle sich doch nicht zwanghaft angegriffen fühlen.

Das Problem, das ich habe, ist nicht, dass ich mich angegriffen fühle.

Mir ist durchaus klar, dass der Urheber des Textes nicht den ICD zu Rate zog, als er anfing von Autismus zu schreiben, sondern, dass er ihn ganz natürlich als Metapher für irgend etwas nahm.

Ich kann das aber auch doof finden, ohne mich angegriffen zu fühlen. Ich denke nämlich nicht, dass der Leser, der sich rein zufällig nicht mit Autismus auskennt, diesen Schritt der Differenzierung zwischen medizinischem Autismus und metaphorischem Autismus macht. Warum denn auch? Autisten sind doch diese immer etwas komischen Menschen, die ihre eigene Welt nur verlassen, um Amok zu laufen [Anm. d. Red.: Der Autor verwendet hier sowohl das Stilmittel der Übertreibung, als auch eine sehr große Portion Notwehr-Sarkasmus]. Es besteht also überhaupt kein Grund da irgendwie zu differenzieren.

Durch das Verwenden dieser Metapher, so nah sie evtl. auch an der ursprünglichen Wortbedeutung liegen mag, wird die ohnehin schon negative Konotation* des Wortes "Autismus" einbetoniert, denn von der ursprünglichen Bedeutung ist im alltäglichen Sprachgebrauch nichts mehr übrig. Es gibt im Duden keine zwei Einträge, für die medizinische und die metaphorische Definition, sondern eine einzige und die ist im Kontext der Medizin und Psychologie eingeordnet.

Das ist der Kontext in dem dieser Begriff verstanden wird und sollte daher auch der einzige Kontext sein, in dem er verwendet wird.

So bleibt mir zum Schluss nichts anderes als mich der Feststellung von die ennomane anzuschließen:

Sie können (…) dazu beitragen, das Leben von Autisten angenehmer zu gestalten, indem Sie das Wort nur in seiner korrekten Bedeutung verwenden. Ganz nebenbei werden Ihre Texte klarer und verständlicher.

Von Medien und Schadensbegrenzung

Wenn ich so durch den autistischen Teil meines Feedreaders scrolle, komme ich in letzter Zeit zunehmend zu dem Schluss, dass blutdrucksenkende Mittel Hochkonjunktur feiern. Ich kann es nur allzu gut verstehen. Ich selbst meide es mittlerweile, Artikel zu lesen, die meine Timeline im Rahmen einer Mischung aus Verzweiflung und Wut in meine Richtung schleudert und in letzter Zeit entsteht der Eindruck, dass es nur viel schlimmer statt besser wird.

Die erste Reaktion bei den meisten Menschen, die wieder einen katastrophalen Artikel gelesen haben, der wahlweise die alten Vorurteile zu Autismus aufwärmt oder das Wort „autistisch” verwendet, um die aktuelle Politik der Bundesregierung oder den Diktatorenclan in Nordkorea zu beschreiben[1], dürfte wohl Wut sein. Je nachdem wie lange man dieses Phänomenen beobachtet wohl auch Resignation. Ich beobachte die Reaktionen auf solche Artikel, seit des Spiegel-Online-Artikels mit wachsendem Interesse. Eine wachsende Gruppe von Autisten reagiert auf diese Artikel, schreibt Blogtexte darüber und versucht die Autoren davon abzubringen, den Begriff des Autismus so darzustellen und zu verwenden wie sie es bisher tun. Wenn die Autoren darauf reagieren gibt es meist zwei Formen der Reaktion. Zum einen mal mehr und mal weniger glaubhafte Formen der Entschuldigungen, zum anderen die Erklärung, dass man den Begriff Autismus in seiner ursprünglichen Bedeutung, der Ich-Bezogenheit, und nicht als Krankheitsbegriff verwendet.

Ich habe mit diesem Argument ein Problem. Ich kann es nachvollziehen. Wie ich schon öfter ausgeführt habe, gibt es die Diagnose „Autismus” in einer Form, die über nicht-sprechende pflegebedürftige Menschen hinaus, geht noch nicht so lange. Der Ursprung des Wortes Autismus kommt vom griechischem αυτός, das „Selbst” bedeutet[2]. Das heißt, wenn diese Menschen die Wörter „Autist” oder „autistisch” verwenden und den ursprünglichen Wortsinn meinen, ist es rein fachlich wohl kein wirklicher Fehler.

So grundsätzlich nachvollziehbar ich diese Argumentation auch finde, birgt sie nur ein Problem. Die wenigsten, beziehungsweise überhaupt keine Autoren, machen in ihren Texten Fußnoten zur Verwendung dieser Wörter, in denen sie erklären wie diese gemeint sind. Die Worte stehen ohne weitere Erläuterungen da. Auf die Gefahr hin einige Leser zu unterschätzen, behaupte ich an dieser Stelle einfach mal, dass die Kenntnisse des Griechischen im allgemeinen doch recht  rudimentär sind. Das bedeutet, die meisten Menschen die den Text lesen haben fürs Erste wohl Assoziationen an die Bedeutung der Wörter, die das Störungsbild beschreibt.

Sprache ist nichts Fixes und Wortbedeutungen ändern sich. So kann es mal passieren, dass Autoren ohne es bewusst zu wollen den nordkoreanischen Diktatorenclan ad hoc diagnostizieren und mich und andere Autisten damit in eine Schublade stecken, die ihnen unter Umständen gar nicht so gefällt.
Ich unterstelle diesen Menschen keine Absicht darin – meiner Meinung nach fehlt ihnen einfach nur das Problembewusstsein. Das Ergebnis ist das gleiche, aber die essentielle Frage, die mich beschäftigt, ist: Wie kann man damit umgehen.

Der eigenen Wut durch Blogbeiträge Luft zu machen hilft in erster Linie einem selbst. Sofern die Urheber der entsprechenden Texte sie überhaupt lesen, dürfte bei ihnen jedoch eher der Gedankengang „Das meinte ich doch gar nicht, warum fühlen die sich jetzt grundlos angegriffen” ablaufen.
Ich denke, wenn wir langfristig möchten, dass der Umgang mit der Sprache in diesem Kontext ein anderer wird, sollten wir unsere Wut und unsere Resignation überwinden und davon weg kommen, einzelne Beispiele auseinanderzunehmen und an den Pranger zu stellen, allein schon im Sinne unserer Blutdrucks. In Anlehnung an Hanlons Razor sollten wir davon ausgehen, dass diese Formulierungen aus mangelndem Problembewusstsein und einer alten Wortbedeutung entstanden sind, nicht aus Boshaftigkeit. Bieten wir den Autoren den Dialog an, versuchen wir ihnen zu erklären, worin das Problem dieser Aussagen für uns liegt, und gehen wir weg von Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Sicherlich werden auch hierbei die Erfolge ihre Grenzen haben, aber ich sehe keine andere Möglichkeit um Verständnis für unser Problem zu schaffen.

[1] Zeit 08/2012, Ihr könnt uns mal, S.1
[2] http://de.wiktionary.org/wiki/%CE%B1%E1%BD%90%CF%84%CF%8C%CF%82


Dieser Blogpost ist ein Beitrag zu den Blogger-Themen-Tagen 2013. Das komplette Programm ist hier zu finden.

Lieber Spiegel-Online,

ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr ihr mich gerade aufregt. Eigentlich hätte ich das hier vor einer Stunde schreiben müssen, aber vermutlich hätte ich beim Versuch die Tastatur durchgebrochen.

Aber gut, fangen wir mal ganz von vorne an. Es gab einen Amoklauf, betroffen sind hauptsächlich Kinder. Meine Gedanken in diesem Moment beschränkten sich auf ein “Oh Scheiße!”, in Anbetracht dessen, was ich so mitbekam, war eure erste Reaktion vermutlich ein “Oh, Klickstrecken!”. Aber gut, so kennen wir es schon von der Bild, und wenn die Leute da nicht drauf stehen würden, würdet ihr es ja nicht machen, bloß seriös geht anders. Innerlich bereitete ich mich bereits darauf vor, die nächsten Tage damit zu verbringen, Schlagzeilen über vereinsamte Killerspielspieler zu lesen.

Doch nein, es tauchte irgendwo in den Untiefen der Schlagzeilen eine Meldung auf, dass ein Verwandter des Amokläufers etwas von Persönlichkeitsstörung, oder vielleicht sogar Autismus, gesagt hat. Damit war dann wohl vorgezogene Bescherung in den Redaktionen. Wo ihr doch schon seit Monaten jede noch so aussagelose Studie durch die Medien schleift, sofern sie nur irgendeine Korrelation zwischen Autismus und Umstand X aufweist, und sie als die neue mögliche Autismusursache feiert. Dass Autismus keine Persönlichkeitsstörung ist, ist ja im Grunde auch nur ein unwichtiger Randfakt.

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Ein paar Worte zu Modediagnosen

[Diesen Beitrag als ePub herunterladen]

In den letzten Jahren war eine wachsende Anzahl an Diagnosen innerhalb des autistischen Spektrums zu beobachten. Diesen Fakt kann man auf verschiedene Arten betrachten.

Eine Möglichkeit ist, in hoffnungslose Panik zu verfallen und eine Autismus-Epidemie heraufzubeschwören und das Ganze zur nationalen Krise im Gesundheitssystem zu stilisieren. Diese Betrachtungsweise empfiehlt sich besonders, wenn man in den USA beheimatet ist und dringend Geld sammeln muss, um Autismus bekämpfen zu können.

Eine etwas weniger panische Möglichkeit, die überall aus dem Nichts hervorspringenden Autisten zu erklären, ist es, das Ganze zu einer Modediagnose zu machen. Das sind ja ohnehin alles keine richtigen Autisten sondern nur diese weichgespülten. Da man das ja auch immer im Fernsehen sieht, ist Autismus ja gerade besonders cool. Jeder will doch Autist sein.

Vor kurzem über einem Jahr durfte ich hier einen Leserbrief veröffentlichen, der den von den Medien propagierten Mythos der Modediagnose demontierte. In den letzten Monaten stieß ich im Austausch mit anderen Autisten zunehmend häufiger in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auf diesen Begriff.

So scheint es zum Beispiel so, dass irgendwo in Deutschland Diagnostiker sitzen, die Patienten erst einmal mit dem pauschalen Verdacht begrüßen, sie wollen nur Autisten sein, weil das grade “In” sei.
Ich erlebe Autisten, die zu ihrer Diagnose sagen, dass sie gestellt wurde, bevor Autismus modern war.
Gestern hörte ich zum zweiten Mal davon, dass die Reaktion des Umfelds auf die Diagnose ein “Ach, das wollen doch jetzt alle sein.” war.

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Materialsammlung: Autismus in den Medien

Viele, die sich ein wenig mit Autismus auskennen, werden das Problem kennen. Wann immer ein Medium Autismus aufgreift, ob Print, Internet oder Bewegtbild, stehen die Chancen gut, dass der Beitrag in einer Mischung aus Halb- und Unwahrheiten und Vorurteilen endet. Einigen Beispielen hierfür widmete ich mich ja bereits exemplarisch in der Vergangenheit hier im Blog.

Da dieses Problem aber alles andere als ein Einzelfall ist, plane ich mich diesem Thema mit einem größeren Blogartikel zu widmen, hierfür brauche ich eure Hilfe:

Schreibt mir, was euch an Artikeln und Beiträgen zum Autismus stört, was könnte man besser machen?
Schickt mir Beispiele für Beiträge, die ihr besonders daneben findet oder von deren Sorte ihr euch mehr wünscht.
Wie stellt ihr euch den idealen Bericht über Autismus vor?

Organisatorisches:
Ich behalte mir vor, einzelne Zitate aus euren Hinweisen zu veröffentlichen, solltet ihr das nicht wünschen, teilt mir dies bitte explizit mit.
Die Veröffentlichung ganzer Hinweise ist nicht vorgesehen, ihr braucht also keine Pulitzer-würdigen Texte einreichen.

Hinweise könnt ihr per Kommentar oder per Email an die altbekannte Adresse an mich schicken.

Leserbrief: Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist

Vor einiger Zeit hatte die Welt in ihrem Online-Angebot einen Artikel veröffentlicht, der sich mit der steigenden Anzahl der Autismusdiagnosen befasste. In diesem Artikel wurden einige fragwürdige Aussagen getätigt. Aus diesem Grund freue ich mich, dass mir von einer Fachkraft, eine Kopie eines Leserbriefes als Reaktion auf diesen Artikel zur Verfügung gestellt wurde und ich diesen hier veröffentlichen darf.

Betrifft:
„Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist“ von Allen Frances, veröffentlicht in der Online-Ausgabe der „Welt“ am 24.07.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
als langjährig in der Beratung und therapeutischen Unterstützung von Menschen mit Störungen des Autismus-Spektrums und anderen Behinderungen tätiger komme ich nicht umhin, mich zu Ihrem Artikel zu äußern.

Die Zunahme an gestellten Diagnosen aus dem autistischen Spektrum (frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus) in den vergangenen 15 Jahren ist sicherlich ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Autismus insgesamt deutlich mehr ins Interesse der Medien und somit auch der öffentlichen Wahrnehmung getreten ist. Nun aber von einer „Modediagnose“ auszugehen, die unreflektiert und nahezu hürdenlos an Menschen vergeben werde, welche darüber Zugang zu umfangreicher Unterstützung aus öffentlicher Hand erhielten, halte ich für äußerst bedenklich und zu kurz gegriffen.

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