Author: Benjamin Falk

Mela – Immer wieder einfach Ich

“Hallo? Könnten Sie kurz auf meinen Bildschirm achten?” fragt die Frau. “Auf was genau soll ich auf ihrem Bildschirm denn achten?” frage ich. Sie wirkt irritiert. “Einfach nur einen Moment darauf aufpassen” erwidert sie. “Also meinen Sie, da passiert etwas, auf das ich achten soll, oder wollen Sie, dass ich auf ihren Rechner aufpasse? Dass er nicht geklaut wird?” – “Einfach nur aufpassen” sagt sie und blickt drein als rede sie gerade mit einem Ufo.

Solche Situationen sind inzwischen selten geworden und doch ist die Beschriebene sehr typisch für meinen Autismus. Sie spielte sich während der diesjährigen Buchmesse ab, als ich am dritten Tag vollkommen Sinnes-überladen versuchte im Pressezentrum einen Artikel zu schreiben. Meine Normal-Maske wackelte für einen Moment als mir meine Fähigkeit, die ungenaue Sprache von Nicht-Autisten zu entschlüsseln entglitt.

Für mich ist es natürlich ein Unterschied, ob ich auf einen Laptop als Ganzes aufpassen soll oder nur auf den Bildschirm, also einen Teilaspekt. Es hätte ja eine wichtige Nachricht oder ein Skypeanruf eintreffen können. Also in meiner Welt. In der Welt eines Nicht-Autisten steht der Bildschirm synonym für das ganze Ding. Unzutreffend. Unscharf.

Dabei ist meine Kommunikation durchaus facettenreich. Ich verwende Ironie, Sarkasmus und Metaphern gerne und häufig. Ich verstehe sie auch. Meistens. Zumindest wenn ich meinen Kommunikationspartner gut kenne. Bei Missverständnissen kann ich nachfragen. Bei Menschen, die ich nicht gut kenne, führen diese Nachfragen meist zu Irritation. Oft unterlasse ich sie deswegen.

So gut lief es nicht immer. Verbessert hat sich meine Kommunikation erst in den 90ern, als ich den IRC* als meinen persönlichen Sandkasten entdeckte. Dort konnte ich üben ohne irritierende Störsignale durch Tonfall und Körpersprache. Andere behaupten, bei reiner Kommunikation per Text gehe ihnen etwas verloren. Mir nicht. Nur dann kann ich mich auf das Wesentliche, den Inhalt, konzentrieren. Nur dann kann ich selbst entsprechend effektiv kommunizieren.

Töne stressen mich. “Auditiv überempfindlich”. Stammtische, Parties, durcheinandersprechende Menschen, klingelnde Telefone, quietschende Reifen aber auch Zischeln und Flüstern in leisen Umgebungen, all das katapultiert mich in den Overload. Ich habe gelernt mich darin zu verstellen. So lange durchzuhalten wie möglich. Fehlt aber eine Rückzugsmöglichkeit zu lange, folgen oft genug Tränen. An manchen Tagen ist sogar der Atem des Partners zu laut. Oder der eigene.

Wenn ich überreagiere bin ich für die Anderen unhöflich, zickig, unsensibel ihren Bedürfnissen gegenüber. Merkwürdigerweise scheinen meine Bedürfnisse oder wie ich mich in einer Situation fühle eine geringere Rolle zu spielen. Einfach, weil ich von der Norm abweiche.

Und ja, ich habe Gefühle. Und zwar oft so intensiv, dass es mich handlungs- und denkunfähig macht. Mein Hirn betätigt quasi den emotionalen Not-Aus-Schalter. Das wiederum, führt dazu, dass ich zwar weiß das ich fühle, aber nicht wie, was und oft auch nicht wieso. Meist benötige ich Wochen um meine Gefühle und die Situation die sie auslöste aufzuarbeiten und einen Zugang dazu zu finden. In Situationen, in denen man sofort und angemessen reagieren muß, ist das nicht hilfreich.

Mein Autismus ist noch viel mehr, nämlich: voller Ungeschicklichkeit, Muster-erkennend, analysierend, kreativ, fokussiert, nervig, frustrierend und doch immer wieder einfach Ich.

*Anmerkung: IRC, oder Internet Relay Chat, ist einer der älterer Dienste des Internets, wie zum Beispiel auch eMail. Mit diesem Dienst können Menschen nahezu live miteinander chatten, ähnlich dem Prinzip heutiger Instant Messenger.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Mela Eckenfels lebt in Karlsruhe, ist 41 Jahre alt und verheiratet. Sie twittert unter dem Nick Felicea und schreibt für Geld. Dazu bloggt sie über Autismus und ADS.

Mitgefühl

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Autisten sind nicht in der Lage, Mitgefühl gegenüber anderen zu empfinden.

Auch wenn man bei Erklärungen zu den häufigen Vorurteilen wohl irgendwann eine gewisse Routine entwickelt, gibt es einige weit verbreitete Ansichten, bei denen Erklärungen und Diskussionen niemals entspannt sein werden.
Dieser Satz und seine diversen Variationen ist eine davon.

Natürlich sind Autisten in der Lage, Mitgefühl zu empfinden.

Ich sehe zwei große Ursachen dafür, dass sich diese Ansicht so hartnäckig hält. Auf die erste Ursache brauche ich an dieser Stelle nicht detailliert einzugehen, da mir Mela in einem anderen Artikel zuvor kam.
Um es kurz zu fassen: Das Mitfühlen ist nicht das Problem. Das Problem ist es zu erkennen, dass es da etwas zum Mitfühlen gibt. Wenn man diesen Schritt gemacht hat, liegt der nächste Schritt darin, das Gefühl überhaupt zu erkennen, auf das reagiert werden soll.
Wenn ich diese beiden Schritte zu einem irgendwie befriedigenden Ergebnis gebracht habe, klappt das mit der Empathie meist recht gut. Das bedeutet aber in den meisten Fällen, dass ich mich bewusst damit beschäftigt habe. Außerdem brauche ich eine Erfahrung, die ich zumindest grob auf die andere Situation übertragen kann. Die Fälle, in denen ich nicht nachdenken muss, sind meist die Fälle, in denen ich das Geschilderte eins zu eins erlebt habe. Dann kann dazu auf Anhieb die passende Emotion abgerufen werden. Wenn ich auf der anderen Seite für eine Situation keine Grundlage hab, bin ich nicht in der Lage, mich in diesen Menschen hineinzuversetzen. In so einem Fall habe ich aus den diversen Jahren, die ich mich gezielt mit meinen Mitmenschen auseinandersetze, für viele Situationen theoretisches Wissen, wie diese sich in einer entsprechenden Situationen wohl fühlen, aufgebaut.
Eine weitere Sichtweise darauf, wie das Mitfühlen bei ihr funktioniert, beschreibt fotobus in ihrem Blogbeitrag, der sich ebenfalls mit diesem Phänomen befasst.

Ein anderes Problem, zu dem ich eher selten Informationen finde, das ich aber in diesem Kontext für wichtig halte, ist die Diskrepanz zwischen dem Empfinden eines Gefühls und dem Darstellen dieses Gefühls nach außen hin. Die Annahme, dass etwas nicht existiert, lediglich weil es nicht wahrgenommen wird, ist unter vielen Menschen weit verbreitet.

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Angriff der Killerautisten

Mit einem Timing, das nicht besser hätte sein können, waren Wendelherz und ich gestern eingeladen worden, gemeinsam mit @ennomane und @astefanowitsch einen Podcast aufzunehmen.

Ausgehend vom Spiegel-Artikel sprechen wir über diverse Themen rund um Autismus, versuchen so etwas wie einen Überblick zu geben und erzählen dazu aus unserer Perspektive.
Irgendwann dazwischen demontiert @astefanowitsch noch die „Entschuldigung“, die der Spiegel mittlerweile veröffentlicht hat, sehr ausgbiebig.

Das Ganze kann man hier anhören:

Themen und Köpfe 2: Angriff der Killerautisten

 

[Edit: Formulierungen glatt gebügelt]

Lieber Spiegel-Online,

ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr ihr mich gerade aufregt. Eigentlich hätte ich das hier vor einer Stunde schreiben müssen, aber vermutlich hätte ich beim Versuch die Tastatur durchgebrochen.

Aber gut, fangen wir mal ganz von vorne an. Es gab einen Amoklauf, betroffen sind hauptsächlich Kinder. Meine Gedanken in diesem Moment beschränkten sich auf ein “Oh Scheiße!”, in Anbetracht dessen, was ich so mitbekam, war eure erste Reaktion vermutlich ein “Oh, Klickstrecken!”. Aber gut, so kennen wir es schon von der Bild, und wenn die Leute da nicht drauf stehen würden, würdet ihr es ja nicht machen, bloß seriös geht anders. Innerlich bereitete ich mich bereits darauf vor, die nächsten Tage damit zu verbringen, Schlagzeilen über vereinsamte Killerspielspieler zu lesen.

Doch nein, es tauchte irgendwo in den Untiefen der Schlagzeilen eine Meldung auf, dass ein Verwandter des Amokläufers etwas von Persönlichkeitsstörung, oder vielleicht sogar Autismus, gesagt hat. Damit war dann wohl vorgezogene Bescherung in den Redaktionen. Wo ihr doch schon seit Monaten jede noch so aussagelose Studie durch die Medien schleift, sofern sie nur irgendeine Korrelation zwischen Autismus und Umstand X aufweist, und sie als die neue mögliche Autismusursache feiert. Dass Autismus keine Persönlichkeitsstörung ist, ist ja im Grunde auch nur ein unwichtiger Randfakt.

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Überlebenspaket

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(Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Fuchskind.de)

 

Für die Wahl meiner Jacken gibt es nach “passen” und “nicht hässlich” ein drittes Ausschlusskriterium: Stauraum.

Das war eigentlich schon immer so, ich hatte immer ein festes Repertoire an Dingen, die ich dabei hatte, was sich, außer einem hinzuadoptiertem Smartphone, nie geändert hat. Irgendwann fand ich dann diesen Cartoon und fand mich darin so sehr wieder, dass ich anfing darüber nachzudenken und mich mit anderen Autisten unterhielt. Es stellte sich heraus, dass ich gar nicht mal so allein damit war und das viele Autisten so ihre Gegenstände haben, mit denen sie so durch den Alltag kommen und die sie immer dabei haben. Was ich nun hier machen möchte ist eine kleine Sammlung von den Dingen, die ich von mir oder von Unterhaltungen mit anderen Autisten so kenne und wie sie helfen. Sie erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit und auch nicht alles was hier steht wird auch allen helfen. Vermutlich haben sogar einige der hier geschilderten Dinge das Potenzial andere wahnsinnig zu machen.  Wer also am Ende der Meinung ist, ich hätte hier etwas vergessen, was ihm wunderbar hilft und was eventuell sogar noch anderen helfen kann, darf dies gerne in den Kommentaren nachtragen.

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Extremismus

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Schließen Sie für einen kurzen Moment Ihre Augen und stellen Sie sich ein autistisches Kind vor.

 

 

Vermutlich hatten Sie gerade ein alleine auf dem Boden sitzendes, schweigendes Kind vor Augen, das in ein Spielzeug vertieft da sitzt.

Wenn nicht hatten Sie vermutlich Berührungspunkte mit Autismus, die über die Flyer von Elternorganisationen und Fernsehdokus mit Coldplay-Musikuntermalung hinaus gehen. Herzlichen Glückwunsch dazu! Vermutlich müssen Sie diesen Text nicht weiter lesen, dürfen es aber gerne, oder Sie backen mir ein paar Kekse.
Wenn Sie zu den Menschen gehören, die ein ähnliches oder gleiches Bild wie beschrieben vor Augen hatten, könnte es vermutlich nicht schaden weiterzulesen. Natürlich dürfen Sie mir trotzdem Kekse backen.

Direkt vorweg, ich will hier gar nicht erst anfangen, mich zu den Ursachen dieses weiter verbreiteten Bildes auszulassen. Damit ließen sich vermutlich ganze Bücher füllen. Es geht mir lediglich darum, zu schildern wie Autismus aussehen kann.

Wie bereits an anderen Stellen erwähnt, ist Autismus ein Spektrum, dies bezieht sich nicht nur auf die Probleme, die Menschen mit Autismus haben, sondern auch darauf, wie die Wirkung, die autistische Menschen nach außen hin haben, ist.
Am einen Ende dieses Spektrums steht der introvertierte, nicht-, bis wenig-redende Autist, der am liebsten seinen Kram für sich macht. Dieses Bild kennen wir. Betrachtet man nun einmal das andere Ende dieses Spektrums, so findet man dort ein Bild, was man gemeinhin nicht mit Autismus assoziieren würde.
Wir würden einen autistischen Menschen sehen, der sehr viel redet und sehr viel von sich mitteilt, Gespräche an sich reißt und das Bedürfnis hat, immer im Mittelpunkt der Situation zu sein. Continue reading »

Autismus quergedacht

Liebe Leser,

leider ist es mir aufgrund einiger potenzieller rechtlicher Probleme nicht mehr möglich, die Reihe “Autismus quergedacht” hier weiterzuführen. Diejenigen, die Querdenkender auf Twitter folgen, werden inzwischen mitbekommen haben, dass er plant ein Buch zu veröffentlichen, in dem auch Texte, die hier erschienen sind, verwendet werden sollen.

Um rechtliche Probleme für den Realitaetsfilter mit dem Verlag zu vermeiden, haben wir uns gemeinsam dafür entschieden, dass die Reihe in einem eigenem Blog fortgeführt wird, in das nach und nach auch die bereits erschienenen Texte umgezogen werden, so dass hier nur noch Verweise auf den neuen Ort stehen bleiben.

Davon sind explizit nur die Texte der Reihe “Autismus quergedacht” betroffen, alle anderen Texte bleiben unverändert.

Für alle damit verbundenen Unannehmlichkeiten bitte ich um Entschuldigung.

 

Querdenkenders neues Blog findet ihr hier

Funktion

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Oft schreibe ich hier von Kompensation und der Kraft die sie fordert. Aus dieser Kompensation und der Kraft die sie fordert heraus, entsteht meist ein erhöhtes Ruhebedürfnis.
So bin ich durchaus in der Lage, an einem 8 – 10 h Uni-Tag durchgängig mit Menschen zu interagieren, zumindest solange mich niemand fragt, was für Dinge der Professor in den letzten drei Stunden davon erzählt hat, da die Konzentration üblicherweise das erste Opfer solcher Tage ist.

Spurlos geht es nicht an mir vorüber. Solche Tage gehen an meine Grenzen und manchmal sogar darüber hinaus. Irgendwann lernte ich, nicht ohne fremde Hilfe, den Punkt zu erkennen, an dem ich mich selbst zurück nehmen muss, um nicht zu weit an, beziehungsweise über, meine Grenzen zu kommen. Das klappt nicht immer, manchmal übersehe ich diesen Punkt einfach, zum Beispiel wenn ich viel Konzentration in die Dinge investieren muss, die ich gerade mache. Ich erkenne spätestens dann, wenn ich abends um 10 ins Bett falle, dass der Tag weniger entspannt war als er sollte.
Meist braucht es auch ein bis zwei Tage, bis ich nach solchen Tagen wieder komplett regeneriert bin, so dass solche Tage kein Untergang sind. Manchmal mache ich das sogar ganz bewusst und plane dann in den nächsten Tagen ausgedehntes Nichtstun und Entspannung ein.
Diese Fähigkeit, zumindest für einen kurzen Zeitraum die eigenen Grenzen zu überschreiten, ist allerdings nichts, was alle Autisten haben.

Kritisch wird es an der Stelle, an der diese Zeit zum Regenerieren fehlt und mehrere solcher Tage aufeinander folgen.

“Wie gut ein System funktioniert, merkt man dann, wenn es nicht mehr funktioniert.”
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