“Hallo? Könnten Sie kurz auf meinen Bildschirm achten?” fragt die Frau. “Auf was genau soll ich auf ihrem Bildschirm denn achten?” frage ich. Sie wirkt irritiert. “Einfach nur einen Moment darauf aufpassen” erwidert sie. “Also meinen Sie, da passiert etwas, auf das ich achten soll, oder wollen Sie, dass ich auf ihren Rechner aufpasse? Dass er nicht geklaut wird?” – “Einfach nur aufpassen” sagt sie und blickt drein als rede sie gerade mit einem Ufo.
Solche Situationen sind inzwischen selten geworden und doch ist die Beschriebene sehr typisch für meinen Autismus. Sie spielte sich während der diesjährigen Buchmesse ab, als ich am dritten Tag vollkommen Sinnes-überladen versuchte im Pressezentrum einen Artikel zu schreiben. Meine Normal-Maske wackelte für einen Moment als mir meine Fähigkeit, die ungenaue Sprache von Nicht-Autisten zu entschlüsseln entglitt.
Für mich ist es natürlich ein Unterschied, ob ich auf einen Laptop als Ganzes aufpassen soll oder nur auf den Bildschirm, also einen Teilaspekt. Es hätte ja eine wichtige Nachricht oder ein Skypeanruf eintreffen können. Also in meiner Welt. In der Welt eines Nicht-Autisten steht der Bildschirm synonym für das ganze Ding. Unzutreffend. Unscharf.
Dabei ist meine Kommunikation durchaus facettenreich. Ich verwende Ironie, Sarkasmus und Metaphern gerne und häufig. Ich verstehe sie auch. Meistens. Zumindest wenn ich meinen Kommunikationspartner gut kenne. Bei Missverständnissen kann ich nachfragen. Bei Menschen, die ich nicht gut kenne, führen diese Nachfragen meist zu Irritation. Oft unterlasse ich sie deswegen.
So gut lief es nicht immer. Verbessert hat sich meine Kommunikation erst in den 90ern, als ich den IRC* als meinen persönlichen Sandkasten entdeckte. Dort konnte ich üben ohne irritierende Störsignale durch Tonfall und Körpersprache. Andere behaupten, bei reiner Kommunikation per Text gehe ihnen etwas verloren. Mir nicht. Nur dann kann ich mich auf das Wesentliche, den Inhalt, konzentrieren. Nur dann kann ich selbst entsprechend effektiv kommunizieren.
Töne stressen mich. “Auditiv überempfindlich”. Stammtische, Parties, durcheinandersprechende Menschen, klingelnde Telefone, quietschende Reifen aber auch Zischeln und Flüstern in leisen Umgebungen, all das katapultiert mich in den Overload. Ich habe gelernt mich darin zu verstellen. So lange durchzuhalten wie möglich. Fehlt aber eine Rückzugsmöglichkeit zu lange, folgen oft genug Tränen. An manchen Tagen ist sogar der Atem des Partners zu laut. Oder der eigene.
Wenn ich überreagiere bin ich für die Anderen unhöflich, zickig, unsensibel ihren Bedürfnissen gegenüber. Merkwürdigerweise scheinen meine Bedürfnisse oder wie ich mich in einer Situation fühle eine geringere Rolle zu spielen. Einfach, weil ich von der Norm abweiche.
Und ja, ich habe Gefühle. Und zwar oft so intensiv, dass es mich handlungs- und denkunfähig macht. Mein Hirn betätigt quasi den emotionalen Not-Aus-Schalter. Das wiederum, führt dazu, dass ich zwar weiß das ich fühle, aber nicht wie, was und oft auch nicht wieso. Meist benötige ich Wochen um meine Gefühle und die Situation die sie auslöste aufzuarbeiten und einen Zugang dazu zu finden. In Situationen, in denen man sofort und angemessen reagieren muß, ist das nicht hilfreich.
Mein Autismus ist noch viel mehr, nämlich: voller Ungeschicklichkeit, Muster-erkennend, analysierend, kreativ, fokussiert, nervig, frustrierend und doch immer wieder einfach Ich.
*Anmerkung: IRC, oder Internet Relay Chat, ist einer der älterer Dienste des Internets, wie zum Beispiel auch eMail. Mit diesem Dienst können Menschen nahezu live miteinander chatten, ähnlich dem Prinzip heutiger Instant Messenger.
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.
Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.
Mela Eckenfels lebt in Karlsruhe, ist 41 Jahre alt und verheiratet. Sie twittert unter dem Nick Felicea und schreibt für Geld. Dazu bloggt sie über Autismus und ADS.