Überlebenspaket

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(Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Fuchskind.de)

 

Für die Wahl meiner Jacken gibt es nach “passen” und “nicht hässlich” ein drittes Ausschlusskriterium: Stauraum.

Das war eigentlich schon immer so, ich hatte immer ein festes Repertoire an Dingen, die ich dabei hatte, was sich, außer einem hinzuadoptiertem Smartphone, nie geändert hat. Irgendwann fand ich dann diesen Cartoon und fand mich darin so sehr wieder, dass ich anfing darüber nachzudenken und mich mit anderen Autisten unterhielt. Es stellte sich heraus, dass ich gar nicht mal so allein damit war und das viele Autisten so ihre Gegenstände haben, mit denen sie so durch den Alltag kommen und die sie immer dabei haben. Was ich nun hier machen möchte ist eine kleine Sammlung von den Dingen, die ich von mir oder von Unterhaltungen mit anderen Autisten so kenne und wie sie helfen. Sie erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit und auch nicht alles was hier steht wird auch allen helfen. Vermutlich haben sogar einige der hier geschilderten Dinge das Potenzial andere wahnsinnig zu machen.  Wer also am Ende der Meinung ist, ich hätte hier etwas vergessen, was ihm wunderbar hilft und was eventuell sogar noch anderen helfen kann, darf dies gerne in den Kommentaren nachtragen.

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Extremismus

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Schließen Sie für einen kurzen Moment Ihre Augen und stellen Sie sich ein autistisches Kind vor.

 

 

Vermutlich hatten Sie gerade ein alleine auf dem Boden sitzendes, schweigendes Kind vor Augen, das in ein Spielzeug vertieft da sitzt.

Wenn nicht hatten Sie vermutlich Berührungspunkte mit Autismus, die über die Flyer von Elternorganisationen und Fernsehdokus mit Coldplay-Musikuntermalung hinaus gehen. Herzlichen Glückwunsch dazu! Vermutlich müssen Sie diesen Text nicht weiter lesen, dürfen es aber gerne, oder Sie backen mir ein paar Kekse.
Wenn Sie zu den Menschen gehören, die ein ähnliches oder gleiches Bild wie beschrieben vor Augen hatten, könnte es vermutlich nicht schaden weiterzulesen. Natürlich dürfen Sie mir trotzdem Kekse backen.

Direkt vorweg, ich will hier gar nicht erst anfangen, mich zu den Ursachen dieses weiter verbreiteten Bildes auszulassen. Damit ließen sich vermutlich ganze Bücher füllen. Es geht mir lediglich darum, zu schildern wie Autismus aussehen kann.

Wie bereits an anderen Stellen erwähnt, ist Autismus ein Spektrum, dies bezieht sich nicht nur auf die Probleme, die Menschen mit Autismus haben, sondern auch darauf, wie die Wirkung, die autistische Menschen nach außen hin haben, ist.
Am einen Ende dieses Spektrums steht der introvertierte, nicht-, bis wenig-redende Autist, der am liebsten seinen Kram für sich macht. Dieses Bild kennen wir. Betrachtet man nun einmal das andere Ende dieses Spektrums, so findet man dort ein Bild, was man gemeinhin nicht mit Autismus assoziieren würde.
Wir würden einen autistischen Menschen sehen, der sehr viel redet und sehr viel von sich mitteilt, Gespräche an sich reißt und das Bedürfnis hat, immer im Mittelpunkt der Situation zu sein. Continue reading »

sr4as – Was bleibt einem übrig, als das Beste daraus zu machen?

Was war

Anfang 30 wurde bei mir Asperger diagnostiziert. Mal lapidar und kurz erzählt: das Leben davor war geprägt von Schwierigkeiten mit Menschen in Kontakt zu treten, andere zu verstehen, Freunde zu finden, in Gruppen zurechtzukommen. Mein einseitiges Interesse begann mit ca. 8 Jahren, und hat sich bis heute nicht geändert. Freunde und Verwandte haben massenhaft Sprüche wie „er war schon immer eine Person für sich“.

Es ist schon der Hammer, dass mein Hirn mir bauartbedingt ein soziales Verhalten aufzwingt, welches oft inkompatibel ist mit der Norm in der Gesellschaft. Endgültig akzeptiert hatte ich die Diagnose, als selbst meine Mutter zugab, dass sie relativ früh merkte, ich sei anders als andere Kinder.

Das Leben war schwierig, voller Zweifel, Einsamkeit, mal gab ich anderen die Schuld, mal mir selbst, mal den Umständen, mal gab ich alle Hoffnung auf, nur um wieder aufzustehen und weiter zu machen.

Autismus nimmt einem viele Dinge. Gleichzeitig weiß ich auch, dass ich anderen vieles genommen habe. Allen voran meinen Eltern. Ich glaube, Eltern leiden am meisten, wenn ihnen das Kind keine Liebesbezeugung gibt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich sie zuletzt umarmt habe. Auch „neue“ Familienmitglieder haben Schwierigkeiten. Meine Mutter wies mich explizit daraufhin hin, der Schwägerin das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.

Was ist

Geändert hat sich nach der Diagnose nichts. Das Allein sein macht mir zu schaffen. Andererseits: zu viel Zusammensein lässt mich am dritten Tag unerträglich werden. Ich lebe Undercover und meide Diskussionen über Privates.

Das Leben wäre schöner ohne Asperger. Für mich, die Familie, einen Lebenspartner, die Freunde. Aber die Dinge sind, wie sie sind.

Was wird

Mein Spezialinteresse ist mein Lebensinhalt. Es ist nebenbei auch sehr gefragt in der Gesellschaft, was mir ein äußerst angenehmes Leben beschert. Meine Fähigkeiten hatten mir schon einen Führungsposten in einem Konzern eingebracht, eventuell wäre eine Karriere möglich gewesen. Die träge Art, in der Konzerne zu leben pflegen, verträgt sich aber nicht mit meiner Besessenheit in diesem Thema.

Als theoretischer Menschenfreund, will ich meinen positiven Beitrag in der Gesellschaft leisten. Ich habe eine Firma gegründet, die ich langsam etabliere und aufbaue. Wieso sollte ich Erfolg haben? Viele Gründer scheitern, selbst wenn sie nicht mit den Defiziten von Asperger geschlagen sind. Vielleicht habe ich Erfolg, weil ich gerade durch meine Zurückgezogenheit und Besessenheit in jedem Problem weiter kommen kann als andere (und zumindest von meinem Wissen weiter gekommen bin, wenn man den Wertungen meiner früheren Vorgesetzten und Kunden trauen darf). Vielleicht, weil die Defizite von Asperger belanglos sind, wenn die Kacke am Dampfen ist und die Kunden dringend die Lösung für ein Problem brauchen.

Die Gesellschaft ist eine amorphe und heterogene Struktur, mit vielen kleinen unterschiedlichen Stellen, in die man vielleicht reinpasst. Mein Ziel ist meine Stelle zu finden, meine Arbeit zu verrichten, und meinem Leben und meinen SI so einen Sinn zu geben.

Zuletzt…

Asperger ist für mich der Frieden, den ich mit der Gesellschaft und dem Leben geschlossen habe. Niemand trifft eine Schuld, niemand hat sich falsch verhalten. Es ist gut.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

sr4as ist Mitte 30, lebt im Süden Deutschlands und twittert unter selbigem Synonym.

Autismus quergedacht

Liebe Leser,

leider ist es mir aufgrund einiger potenzieller rechtlicher Probleme nicht mehr möglich, die Reihe “Autismus quergedacht” hier weiterzuführen. Diejenigen, die Querdenkender auf Twitter folgen, werden inzwischen mitbekommen haben, dass er plant ein Buch zu veröffentlichen, in dem auch Texte, die hier erschienen sind, verwendet werden sollen.

Um rechtliche Probleme für den Realitaetsfilter mit dem Verlag zu vermeiden, haben wir uns gemeinsam dafür entschieden, dass die Reihe in einem eigenem Blog fortgeführt wird, in das nach und nach auch die bereits erschienenen Texte umgezogen werden, so dass hier nur noch Verweise auf den neuen Ort stehen bleiben.

Davon sind explizit nur die Texte der Reihe “Autismus quergedacht” betroffen, alle anderen Texte bleiben unverändert.

Für alle damit verbundenen Unannehmlichkeiten bitte ich um Entschuldigung.

 

Querdenkenders neues Blog findet ihr hier

bestOfCrumbs – Mein Autismus – oder: Ich möchte nicht tauschen

Mein Autismus ist immer in mir, bei mir, um mich herum. Mal stärker, mal schwächer. Aber er ist immer da und macht einen Teil meines Wesens aus. Die Art wie ich denke, wie ich wahrnehme ist von ihm geprägt. Mein Urbedürfnis ist es alleine zu sein, dann kann ich mich erholen, nehme meinen Körper war. Immer möchte ich nicht alleine sein, ich brauche den Kontakt zu den Anderen, aber nicht viel. Es gut wenn sie da sind und mich in Ruhe lassen. Sie nehmen mich als freundlichen, aufmerksamen, humorvollen und distanzierten Menschen war. Mit den Anderen in Kontakt zu treten ist jedes Mal eine neue Hürde, eine Herausforderung und oft nicht möglich. Es ist einfacher mit den Anderen die mir nahe sind, die ich mag. Aber auch bei ihnen brauche ich Aufwärmzeit, bin ich vorsichtig. Ich konzentriere mich auf das Gesagte, nehme die Mimik teilweise, den Ausdruck der Augen gar nicht war. Das macht es für mich schwierig, das Gesagte einzuordnen: War es ernst gemeint? War es ein Witz? Oder eine doppeldeutige Bemerkung? Was muss ich jetzt sagen? Mein Hirn arbeitet konstant im Überforderungsmodus. Humor und Ironie habe ich im Laufe des Lebens gelernt zu verstehen und benutze sie gerne. Bei unbekannten Anderen brauche ich lange, bis ich verstehe was und wie etwas gemeint ist.

Über meine Gefühle, Emotionen und Gedanken kann ich kaum reden, das ist kompliziert: Zuhören, verstehen, Antwort überlegen, reden. Das läuft oft parallel und blitzschnell bei den Anderen, ich kann das nicht. Ich höre zu. Pause. Ich versuche zu verstehen. Pause. Ich überleg mir eine Antwort. Pause. Jetzt rede ich, aber nur, wenn ich eine Antwort habe und ich wirklich reden kann. Gefühle und Emotionen die gleichzeitig durcheinander durch meinen Körper schleudern halten mich vom Reden ab. Bei Streit, wenn ich verletzt bin (sofern ich das merke), bei Pöbeleien oder bei Stress ist die Verbindung vom Hirn zum Mund unterbrochen. Ich kann dann nicht reden, schon gar nicht schlagfertig sein. Eine Antwort fällt mir dann Stunden oder Tage später ein, viel zu spät.

Schreiben geht besser, nicht einfach so, ist ein hartes Stück Arbeit aber ich habe genügend Zeit zu überlegen, die Sätze zu bauen und aufzuschreiben. Niemand von den Anderen steht oder sitzt in der Nähe und wartet.

Mein Autismus macht mich empfindlich. Geräusche sind oft laut oder störend, vor allem, wenn viele gleichzeitig sind. Das Licht, speziell die Sonne, ist zu hell. Berührungen am Körper erschrecken mich oder schneiden mir die Luft ab und lösen innerliche Fluchtwünsche aus. Direkten Augenkontakt mit den Anderen meide ich, das ist sehr unangenehm und schmerzt.

Überwindung gehört zum Alltag: Die öffentlichen Verkehrsmittel in den Stosszeiten benutzen, Auto fahren, telefonieren (wenn es nicht anders geht), an Sitzungen gehen, Unterbrechungen ertragen, Small-Talken, den Tag organisieren, die Anderen an mich heran lassen und verstehen versuchen.

Ich bin zufrieden mit mir selbst, ich bin gerne mit mir alleine, kann mich wunderbar mit mir beschäftigen. Tauschen möchte ich mit niemandem, schon gar nicht mit den Anderen.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

bestOfCrumbs (= aus Krümmeln das Beste machen) lebt und arbeitet in der Schweiz, ist verheiratet hat Kinder. An der Arbeit versucht er täglich, das Chaos in Datenbanken zu bändigen und seinen Kunden verständliche Reports zu liefern. Er liest sehr gerne oder programmiert zwischen durch mal etwas sofern es die Zeit erlaubt.
Außerdem ist er auf Twitter zu finden und bloggt.

Brln – Was bedeutet mein Autismus für mich?

Die Gewissheit, mich im autistischen Spektrum zu befinden, habe ich seit Januar diesen Jahres. Und es ist gut, diese Gewissheit zu haben. Das Wort Autismus gibt mir endlich eine Erklärung dafür, warum ich zu Teilen so bin, wie ich bin und warum ich mich häufig sehr fern von den Menschen um mich herum fühlte und fühle. Das Wort erklärt, warum ich immer wieder stolper und immer wieder stolpern werde. Dieses Wissen beruhigt, denn auf die Frage „Was ist bloß los mit mir?“ habe ich endlich eine Antwort. Und über diesen Umgang mit meiner Diagnose möchte ich schreiben, unabhängig davon, welche Schwierigkeiten mir mein Autismus Tag für Tag bereitet.

Ich habe durch die Diagnose „Autismus“ die Möglichkeit bekommen, mit mir sanfter umzugehen. Ich muss mich nicht dazu zwingen, mich in Situationen zu begeben, in denen ich wahrscheinlich eh nur scheitern würde. Doch natürlich hoffe ich auch, dass ich weiterhin genügend Ehrgeiz und Mut besitze, Neues zu wagen, nur halt mit dem nötigen Quäntchen Rücksicht auf mich selbst. Ich weiß, was gut für mich ist. Ich weiß, was schlecht für mich ist. Unter anderem durch die Diagnose ist mein Selbstwertgefühl in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Ich sehe, was ich trotz persönlicher Hindernisse alles geschafft habe und wie gut ich mich heutzutage in meiner Umwelt zurechtfinde im Gegensatz zu früher.

Ich könnte an dieser Stelle gefühlt tausende Beispiele für den Einfluss meines Autismus auf meinen Alltag geben. Ich werde mich auf das Folgende beschränken: Nach einem Jahr als Gastschülerin in den USA war ich längere Zeit ehrenamtlich für die Vor- und Nachbereitung von Gastschülern tätig. An der Arbeit gefiel mir, unter offenen Menschen zu sein. Mein eigenes Vorbereitungsseminar fühlte sich damals wie eine Offenbarung an, da dort intensiv über Theorien des menschlichen Miteinanders reflektiert wurde. Mein Teamerdasein war hingegen von Mittelmäßigkeit geprägt. Nach Seminaren war ich häufig emotional komplett ausgelaugt, von Selbstzweifeln aufgefressen. So sehr ich mich auch bemühte, den Draht zu meinen Seminarteilnehmern konnte ich nur selten finden. Ich hatte das Gefühl, ihnen nicht das geben zu können, was sie brauchten. Brach jemand in Tränen aus, so konnte ich das emotional nicht nachvollziehen, geschweige denn die Person in den Arm nehmen. Die Herzlichkeit, die die anderen Teamer ausstrahlten, vermisste ich bei mir. Dabei würde ich so gerne selber diese Herzlichkeit ausstrahlen können. Doch wirklich wohlfühlen tue ich mich nun mal in meiner kühlen, analytischen Sachlichkeit.

Die Erkenntnis, für etwas nicht geeignet zu sein, das man doch so gerne tut, schmerzt. Die Erkenntnis, warum ich immer wieder an meine Grenzen gestoßen bin, heilt nun ein wenig diese Wunde. Neben autistischen Defiziten wie geringe Empathiefähigkeit gibt es auch Kompetenzen. Und diese ergründe ich gerade. Mein Ziel ist es, ein zufriedene(re)s Leben zu leben. Sich selbst zu kennen ist dafür ein guter Anfang. In meiner ganz persönlichen Deutung steht „Autismus“ deshalb für Selbsterkenntnis. Schwere Zeiten liegen hinter mir. Schwere Zeiten werden kommen. Doch ich fühle mich zum jetzigen Zeitpunkt gestärkt für meinen Weg durch die Unwegbarkeiten meines Lebens.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

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Brln lebt am Wasser, ist 25 Jahre alt, weiblich und stolpert noch durchs Studium. Sie fühlt sich selber der Gruppe eher extrovertierer Autisten zugehörig, redet häufig viel zu viel und hat sich früher über jede 3 in Sport auf dem Schulzeugnis gefreut.

Wetter – Out of Space

Ich sage, ich höre dich schlecht, wenn ich anderen Menschen auf den Mund und nicht in die Augen schaue. Ich sage, ich hatte Migräne, wenn ich einen Overload hatte. Ich sage, da ist wer an der Tür, wenn ich keine Konzentration für ein Telefongespräch habe. Ich sage, es ist nicht mein Tag heute, obwohl ich immer schon nach einer Stunde ermüdet bin, auf Kneipentreffen. Ich behaupte, ich sei kurzsichtig, wenn ich jemanden nicht erkannt habe. Ich beteuere, dass ich viele Freunde habe. Ich sage, ich hätte einen Stein im Schuh, wenn ich hüpfen mag, stecke meine Hand in meine Umhängetasche, wenn ich mit den Fingern schnipse und tue so, als suche ich etwas. Ich suche nichts, ich verstecke.

„Wo ist sie, die Seele?“ Gibt es nicht nur Menschen mit Gehirnen und Nervensystemen? „Versteckt sie sich, die Seele? Sie ist ja so behindert.“

Versteckt wird er, mein Autismus, von mir. Er trennt mich von den anderen Menschen, von einem Teil von mir selbst, von der Welt.

Er ist geheim, aber nicht unsichtbar. Nenne ihn Schüchternheit, trockener Humor, Pokerface, Überheblichkeit, Hilfsbereitschaft, Loyalität, Unnahbarkeit, Ehrlichkeit, Genauigkeit, Naivität, Besserwisserei, Verzetteln, Langsamkeit, Absolutes Wissen, wenn du ihn siehst, meinen Autismus.

Ich möchte, dass es anderen Menschen gut geht und auch gut geht mit mir, wenn sie in meiner Gegenwart sind. Ich möchte in ihrer Gegenwart sein, mit anderen Menschen zusammenarbeiten, Ziele erreichen, richtig erfolgreich sein. Sie sollen mich annehmen, meine Fähigkeiten sehen, mich schätzen. Mich sehen.

Es sind die käfernden Wassertropfen, die auf dem Zweig am Wegrand hocken, die ich mit meinen Händen abstreife, von diesem kleinen Bäumchen, die ich durch meine Finger rinnen lasse, die nicht meine Seele sind, aber das, was man mir heute anbietet, wenn ein Sonnenstrahl noch darauf fällt.

Mein Autismus und ich, WIR sind out of Space.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

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Wetter ist 29 Jahre alt und lebt in Berlin

Funktion

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Oft schreibe ich hier von Kompensation und der Kraft die sie fordert. Aus dieser Kompensation und der Kraft die sie fordert heraus, entsteht meist ein erhöhtes Ruhebedürfnis.
So bin ich durchaus in der Lage, an einem 8 – 10 h Uni-Tag durchgängig mit Menschen zu interagieren, zumindest solange mich niemand fragt, was für Dinge der Professor in den letzten drei Stunden davon erzählt hat, da die Konzentration üblicherweise das erste Opfer solcher Tage ist.

Spurlos geht es nicht an mir vorüber. Solche Tage gehen an meine Grenzen und manchmal sogar darüber hinaus. Irgendwann lernte ich, nicht ohne fremde Hilfe, den Punkt zu erkennen, an dem ich mich selbst zurück nehmen muss, um nicht zu weit an, beziehungsweise über, meine Grenzen zu kommen. Das klappt nicht immer, manchmal übersehe ich diesen Punkt einfach, zum Beispiel wenn ich viel Konzentration in die Dinge investieren muss, die ich gerade mache. Ich erkenne spätestens dann, wenn ich abends um 10 ins Bett falle, dass der Tag weniger entspannt war als er sollte.
Meist braucht es auch ein bis zwei Tage, bis ich nach solchen Tagen wieder komplett regeneriert bin, so dass solche Tage kein Untergang sind. Manchmal mache ich das sogar ganz bewusst und plane dann in den nächsten Tagen ausgedehntes Nichtstun und Entspannung ein.
Diese Fähigkeit, zumindest für einen kurzen Zeitraum die eigenen Grenzen zu überschreiten, ist allerdings nichts, was alle Autisten haben.

Kritisch wird es an der Stelle, an der diese Zeit zum Regenerieren fehlt und mehrere solcher Tage aufeinander folgen.

“Wie gut ein System funktioniert, merkt man dann, wenn es nicht mehr funktioniert.”
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