Bedeutungwandel

Ich könnte mich jetzt über die Zeit aufregen, die beim fröhlichen Griff in die Buzzword-Schublade mal wieder Autismus rauszog. Bringt aber nichts. Auch wenn der Begriff „sexueller Autismus“ so unbeschreiblich ist, dass man sich über Seiten damit auseinander setzen könnte.

Autismus ist im Mainstream angekommen. Schon seit einiger Zeit stößt man beim Lesen immer öfter auf den Begriff. Würde das bedeuten, dass mehr aufgeklärt wird und dass die ganzen Vorurteile endlich abgebaut werden, würde ich jetzt nicht diese Zeilen tippen, sondern Konfetti-werfend über den Wohnheimflur hüpfen.

Leider hat der Autismusbegriff im Mainstream relativ wenig mit Autismus zu tun, sondern ist eine Metapher. Je nach Lust und Laune des Autors, eine Metapher für alles, das gerade nicht seinen Vorstellungen entspricht, wie Sozialverhalten und zwischenmenschliche Interaktion auszusehen haben. Zu den Gründen, warum der Autor das womöglich tut, will ich mich gar nicht auslassen.

Wenn man die Autoren in solchen Situationen fragt, hat man gute Chancen erklärt zu bekommen, dass gar nicht die Störung gemeint sei, sondern dass es lediglich ein Ausdruck für die Ich-Bezogenheit sei. Schließlich komme das Wort ja vom griechischen Begriff für "selbst".

Manchmal schwappt in solchen Aussagen auch gleich noch der Vorwurf mit, man solle sich doch nicht zwanghaft angegriffen fühlen.

Das Problem, das ich habe, ist nicht, dass ich mich angegriffen fühle.

Mir ist durchaus klar, dass der Urheber des Textes nicht den ICD zu Rate zog, als er anfing von Autismus zu schreiben, sondern, dass er ihn ganz natürlich als Metapher für irgend etwas nahm.

Ich kann das aber auch doof finden, ohne mich angegriffen zu fühlen. Ich denke nämlich nicht, dass der Leser, der sich rein zufällig nicht mit Autismus auskennt, diesen Schritt der Differenzierung zwischen medizinischem Autismus und metaphorischem Autismus macht. Warum denn auch? Autisten sind doch diese immer etwas komischen Menschen, die ihre eigene Welt nur verlassen, um Amok zu laufen [Anm. d. Red.: Der Autor verwendet hier sowohl das Stilmittel der Übertreibung, als auch eine sehr große Portion Notwehr-Sarkasmus]. Es besteht also überhaupt kein Grund da irgendwie zu differenzieren.

Durch das Verwenden dieser Metapher, so nah sie evtl. auch an der ursprünglichen Wortbedeutung liegen mag, wird die ohnehin schon negative Konotation* des Wortes "Autismus" einbetoniert, denn von der ursprünglichen Bedeutung ist im alltäglichen Sprachgebrauch nichts mehr übrig. Es gibt im Duden keine zwei Einträge, für die medizinische und die metaphorische Definition, sondern eine einzige und die ist im Kontext der Medizin und Psychologie eingeordnet.

Das ist der Kontext in dem dieser Begriff verstanden wird und sollte daher auch der einzige Kontext sein, in dem er verwendet wird.

So bleibt mir zum Schluss nichts anderes als mich der Feststellung von die ennomane anzuschließen:

Sie können (…) dazu beitragen, das Leben von Autisten angenehmer zu gestalten, indem Sie das Wort nur in seiner korrekten Bedeutung verwenden. Ganz nebenbei werden Ihre Texte klarer und verständlicher.

Wollen Sie den Kontakt wirklich beenden?

Warum wollen Sie unseren Service nicht mehr nutzen?

Man trifft diese Frage mittlerweile überall, wo man einen Account löscht oder ein Abo kündigt. Dort kann man dann einige Angaben machen, ob man zu viel Spam bekommen hat, ob man allgemein unzufrieden war oder ob der Dienst drei URLs weiter vielleicht einfach schönere Augen hat. Auf diese Weise weiß der Anbieter dann, woran es lag, dass er einen Nutzer weniger hat und kann diese Information theoretisch sogar nutzen.

Ich hätte so einen Fragebogen gerne für Menschen.

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Von Medien und Schadensbegrenzung

Wenn ich so durch den autistischen Teil meines Feedreaders scrolle, komme ich in letzter Zeit zunehmend zu dem Schluss, dass blutdrucksenkende Mittel Hochkonjunktur feiern. Ich kann es nur allzu gut verstehen. Ich selbst meide es mittlerweile, Artikel zu lesen, die meine Timeline im Rahmen einer Mischung aus Verzweiflung und Wut in meine Richtung schleudert und in letzter Zeit entsteht der Eindruck, dass es nur viel schlimmer statt besser wird.

Die erste Reaktion bei den meisten Menschen, die wieder einen katastrophalen Artikel gelesen haben, der wahlweise die alten Vorurteile zu Autismus aufwärmt oder das Wort „autistisch” verwendet, um die aktuelle Politik der Bundesregierung oder den Diktatorenclan in Nordkorea zu beschreiben[1], dürfte wohl Wut sein. Je nachdem wie lange man dieses Phänomenen beobachtet wohl auch Resignation. Ich beobachte die Reaktionen auf solche Artikel, seit des Spiegel-Online-Artikels mit wachsendem Interesse. Eine wachsende Gruppe von Autisten reagiert auf diese Artikel, schreibt Blogtexte darüber und versucht die Autoren davon abzubringen, den Begriff des Autismus so darzustellen und zu verwenden wie sie es bisher tun. Wenn die Autoren darauf reagieren gibt es meist zwei Formen der Reaktion. Zum einen mal mehr und mal weniger glaubhafte Formen der Entschuldigungen, zum anderen die Erklärung, dass man den Begriff Autismus in seiner ursprünglichen Bedeutung, der Ich-Bezogenheit, und nicht als Krankheitsbegriff verwendet.

Ich habe mit diesem Argument ein Problem. Ich kann es nachvollziehen. Wie ich schon öfter ausgeführt habe, gibt es die Diagnose „Autismus” in einer Form, die über nicht-sprechende pflegebedürftige Menschen hinaus, geht noch nicht so lange. Der Ursprung des Wortes Autismus kommt vom griechischem αυτός, das „Selbst” bedeutet[2]. Das heißt, wenn diese Menschen die Wörter „Autist” oder „autistisch” verwenden und den ursprünglichen Wortsinn meinen, ist es rein fachlich wohl kein wirklicher Fehler.

So grundsätzlich nachvollziehbar ich diese Argumentation auch finde, birgt sie nur ein Problem. Die wenigsten, beziehungsweise überhaupt keine Autoren, machen in ihren Texten Fußnoten zur Verwendung dieser Wörter, in denen sie erklären wie diese gemeint sind. Die Worte stehen ohne weitere Erläuterungen da. Auf die Gefahr hin einige Leser zu unterschätzen, behaupte ich an dieser Stelle einfach mal, dass die Kenntnisse des Griechischen im allgemeinen doch recht  rudimentär sind. Das bedeutet, die meisten Menschen die den Text lesen haben fürs Erste wohl Assoziationen an die Bedeutung der Wörter, die das Störungsbild beschreibt.

Sprache ist nichts Fixes und Wortbedeutungen ändern sich. So kann es mal passieren, dass Autoren ohne es bewusst zu wollen den nordkoreanischen Diktatorenclan ad hoc diagnostizieren und mich und andere Autisten damit in eine Schublade stecken, die ihnen unter Umständen gar nicht so gefällt.
Ich unterstelle diesen Menschen keine Absicht darin – meiner Meinung nach fehlt ihnen einfach nur das Problembewusstsein. Das Ergebnis ist das gleiche, aber die essentielle Frage, die mich beschäftigt, ist: Wie kann man damit umgehen.

Der eigenen Wut durch Blogbeiträge Luft zu machen hilft in erster Linie einem selbst. Sofern die Urheber der entsprechenden Texte sie überhaupt lesen, dürfte bei ihnen jedoch eher der Gedankengang „Das meinte ich doch gar nicht, warum fühlen die sich jetzt grundlos angegriffen” ablaufen.
Ich denke, wenn wir langfristig möchten, dass der Umgang mit der Sprache in diesem Kontext ein anderer wird, sollten wir unsere Wut und unsere Resignation überwinden und davon weg kommen, einzelne Beispiele auseinanderzunehmen und an den Pranger zu stellen, allein schon im Sinne unserer Blutdrucks. In Anlehnung an Hanlons Razor sollten wir davon ausgehen, dass diese Formulierungen aus mangelndem Problembewusstsein und einer alten Wortbedeutung entstanden sind, nicht aus Boshaftigkeit. Bieten wir den Autoren den Dialog an, versuchen wir ihnen zu erklären, worin das Problem dieser Aussagen für uns liegt, und gehen wir weg von Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Sicherlich werden auch hierbei die Erfolge ihre Grenzen haben, aber ich sehe keine andere Möglichkeit um Verständnis für unser Problem zu schaffen.

[1] Zeit 08/2012, Ihr könnt uns mal, S.1
[2] http://de.wiktionary.org/wiki/%CE%B1%E1%BD%90%CF%84%CF%8C%CF%82


Dieser Blogpost ist ein Beitrag zu den Blogger-Themen-Tagen 2013. Das komplette Programm ist hier zu finden.

Routinen

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„The same procedure as last year?“

„The same procedure as every year.“

Dinner for One(1963)

 

Routinen sind ein klassisches und oft genanntes Autismussymptom. Viele Autisten haben sie, manche benannten sogar Bücher nach ihnen. Sie können gewisse Handlungs- oder Gesprächsabläufe umfassen und zeigen sich im allgemeinen auf sehr unterschiedliche Weisen. Für Außenstehende sind sie jedoch nicht immer logisch und nachvollziehbar. Ich werde öfter gefragt, warum diese Routinen für Autisten so wichtig sind und ob es wirklich so schlimm ist, wenn mal etwas nicht so klappt. Hier der Versuch einer Erklärung auf Grundlage meiner Erfahrungen und der Gespräche mit anderen Autisten:

  • Aufstehen.
  • Im Halbschlaf das Smartphone neben mir greifen, nachschauen ob irgendjemand etwas von mir wollte und ob spontan irgendwelche Vorlesungen ausfallen, so dass ich nicht aufstehen muss.
  • Auf dem Weg ins Bad die Kaffeemaschine anwerfen.
  • Auf dem Rückweg den Kaffee mitnehmen und im weiteren Verlauf trinken.
  • Kontrollieren, ob alles in der Tasche ist, was ich über den Tag brauchen werde.
  • MP3-Player, Smartphone, Portemonnaie und Schlüssel auf die Hosentaschen verteilen, alles noch einmal durchgehen, ob es auch wirklich da ist.
  • Tür hinter sich abschließen, Schlüssel in die rechte Jackentasche stecken.

So gestaltet sich ein üblicher Morgen eines Uni/Arbeitstags bei mir. Hinter diesem Ablauf steckt keine konkrete Planung. Er ergab sich so.  Sogar, ohne dass mir bewusst war, dass ich den Morgen immer in dieser Reihenfolge verbringe, bis ich für diesen Text anfing darüber nachzudenken, welche Routinen ich in meinem Alltag so habe. Dieser Ablauf wuchs mit der Zeit.

Routinen haben etwas Beruhigendes und Entspannendes. Die meisten Situationen, in denen ich im Alltag bin, zeichnen sich dadurch aus, dass ich auf Dinge achten und mich auf Dinge konzentrieren muss, die andere ohne nachzudenken tun oder die sie nicht mal bewusst wahrnehmen. Viele Sachen, die implizit klar sind, muss ich mir erst bewusst schlussfolgern. Gibt es in einer entsprechenden Situation schon eine Routine heißt das, dass ich über einige Teile der Situation nicht mehr nachdenken muss. Auf diese Weise kann ich viele Situationen eher bewältigen, die ich sonst nicht so ohne weiteres bewältigen könnte, da sie zu komplex sind.
So bin ich zum Beispiel durch die reine Existenz der beschriebenen Morgenroutine in Lage, mich gedanklich auf den kommenden Tag und die an mich gestellten Anforderungen vorzubereiten, weil ich mir keine Gedanken darüber machen muss, was ich grade mache. Auf diese Weise starte ich entspannter in den Tag.

Ein weiterer Aspekt von Routinen ist die Sicherheit, die sie bieten. Ich habe einen Weg, den ich kenne, auf dem ich das gewünschte Ziel erreichen kann, und der, insofern die Routine erprobt und bewährt ist, mich davor schützt, dass Dinge schief laufen. Das bringt mir in der Praxis oft viel mehr, als einen neueren, und für Außenstehende besseren, Weg auszuprobieren.
An meinem konkreten Beispiel stellt zum Beispiel das Kontrollieren meines Rucksacks und meiner Hosentasche sicher, dass ich nichts vergessen hab. Außerdem bietet diese Routine eine Möglichkeit zu kontrollieren, ob ich meine Zimmertür abgeschlossen habe. Ist der Schlüssel nicht in der rechten Jackentasche, muss ich noch einmal zurück gehen. Die Tage an denen ich noch einmal auf halber Strecke zurück zum Wohnheim lief, um zu kontrollieren, hat sich seitdem auf ein Minimum reduziert, und der Hausmeister schaut mich auch seltener an, als ob ich geisteskrank wäre.

Das alles funktioniert so lange, wie mich niemand in meiner Routine stört. Diese Störung kann je nach Situation und Routine unterschiedlich aussehen. Meine Morgenroutine ist verhältnismäßig unempfindlich gegen Störungen. Ich habe zum Beispiel morgens meist genügend Zeitpuffer, dass auch mal ein Mitbewohner vor mir im Bad sein kann. Kritisch wird es an den Stellen, an denen mehrere Störereignisse zusammenkommen, wie zum Beispiel ein Verschlafen und ein Mitbewohner. Bei anderen Routinen reichen auch durchaus schon einzelne Störereignisse von außen, um mich aus dem Konzept zu bringen.
Wenn das geschieht, merke ich die Auswirkungen recht schnell. Ich muss wieder über Dinge nachdenken, die vorher automatisiert abliefen, ich brauche dafür mehr Konzentration, die mir dann an anderer Stelle fehlt. Dazu kommt die Unsicherheit. Durch die Störung oder sogar den Wegfall meiner Routine, habe ich den den sicheren Weg zum Ziel verloren. Metaphorisch gesprochen fehlt mir die bewährte Karte durchs Minenfeld und ich probiere bei jedem Stein, auf den ich trete, aus, ob er nun explodiert und mir fehlt jede Gewissheit, ob ich das andere Ziel erreichen kann.

All das hier Beschriebene kann in unterschiedlichen Abstufungen stattfinden. Wie bei beinahe allem spielt auch hier der Stresspegel mit hinein, wie sehr mich eine Störung betrifft und wie gut ich sie noch ausgleichen kann. Insgesamt sehe ich meine Routinen jedoch nicht als ein Symptom von Autismus, sondern viel mehr als eines von vielen Hilfsmitteln, das mir dabei hilft, mit meinem Autismus besser umzugehen.

Mela – Immer wieder einfach Ich

“Hallo? Könnten Sie kurz auf meinen Bildschirm achten?” fragt die Frau. “Auf was genau soll ich auf ihrem Bildschirm denn achten?” frage ich. Sie wirkt irritiert. “Einfach nur einen Moment darauf aufpassen” erwidert sie. “Also meinen Sie, da passiert etwas, auf das ich achten soll, oder wollen Sie, dass ich auf ihren Rechner aufpasse? Dass er nicht geklaut wird?” – “Einfach nur aufpassen” sagt sie und blickt drein als rede sie gerade mit einem Ufo.

Solche Situationen sind inzwischen selten geworden und doch ist die Beschriebene sehr typisch für meinen Autismus. Sie spielte sich während der diesjährigen Buchmesse ab, als ich am dritten Tag vollkommen Sinnes-überladen versuchte im Pressezentrum einen Artikel zu schreiben. Meine Normal-Maske wackelte für einen Moment als mir meine Fähigkeit, die ungenaue Sprache von Nicht-Autisten zu entschlüsseln entglitt.

Für mich ist es natürlich ein Unterschied, ob ich auf einen Laptop als Ganzes aufpassen soll oder nur auf den Bildschirm, also einen Teilaspekt. Es hätte ja eine wichtige Nachricht oder ein Skypeanruf eintreffen können. Also in meiner Welt. In der Welt eines Nicht-Autisten steht der Bildschirm synonym für das ganze Ding. Unzutreffend. Unscharf.

Dabei ist meine Kommunikation durchaus facettenreich. Ich verwende Ironie, Sarkasmus und Metaphern gerne und häufig. Ich verstehe sie auch. Meistens. Zumindest wenn ich meinen Kommunikationspartner gut kenne. Bei Missverständnissen kann ich nachfragen. Bei Menschen, die ich nicht gut kenne, führen diese Nachfragen meist zu Irritation. Oft unterlasse ich sie deswegen.

So gut lief es nicht immer. Verbessert hat sich meine Kommunikation erst in den 90ern, als ich den IRC* als meinen persönlichen Sandkasten entdeckte. Dort konnte ich üben ohne irritierende Störsignale durch Tonfall und Körpersprache. Andere behaupten, bei reiner Kommunikation per Text gehe ihnen etwas verloren. Mir nicht. Nur dann kann ich mich auf das Wesentliche, den Inhalt, konzentrieren. Nur dann kann ich selbst entsprechend effektiv kommunizieren.

Töne stressen mich. “Auditiv überempfindlich”. Stammtische, Parties, durcheinandersprechende Menschen, klingelnde Telefone, quietschende Reifen aber auch Zischeln und Flüstern in leisen Umgebungen, all das katapultiert mich in den Overload. Ich habe gelernt mich darin zu verstellen. So lange durchzuhalten wie möglich. Fehlt aber eine Rückzugsmöglichkeit zu lange, folgen oft genug Tränen. An manchen Tagen ist sogar der Atem des Partners zu laut. Oder der eigene.

Wenn ich überreagiere bin ich für die Anderen unhöflich, zickig, unsensibel ihren Bedürfnissen gegenüber. Merkwürdigerweise scheinen meine Bedürfnisse oder wie ich mich in einer Situation fühle eine geringere Rolle zu spielen. Einfach, weil ich von der Norm abweiche.

Und ja, ich habe Gefühle. Und zwar oft so intensiv, dass es mich handlungs- und denkunfähig macht. Mein Hirn betätigt quasi den emotionalen Not-Aus-Schalter. Das wiederum, führt dazu, dass ich zwar weiß das ich fühle, aber nicht wie, was und oft auch nicht wieso. Meist benötige ich Wochen um meine Gefühle und die Situation die sie auslöste aufzuarbeiten und einen Zugang dazu zu finden. In Situationen, in denen man sofort und angemessen reagieren muß, ist das nicht hilfreich.

Mein Autismus ist noch viel mehr, nämlich: voller Ungeschicklichkeit, Muster-erkennend, analysierend, kreativ, fokussiert, nervig, frustrierend und doch immer wieder einfach Ich.

*Anmerkung: IRC, oder Internet Relay Chat, ist einer der älterer Dienste des Internets, wie zum Beispiel auch eMail. Mit diesem Dienst können Menschen nahezu live miteinander chatten, ähnlich dem Prinzip heutiger Instant Messenger.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Mela Eckenfels lebt in Karlsruhe, ist 41 Jahre alt und verheiratet. Sie twittert unter dem Nick Felicea und schreibt für Geld. Dazu bloggt sie über Autismus und ADS.

Mitgefühl

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Autisten sind nicht in der Lage, Mitgefühl gegenüber anderen zu empfinden.

Auch wenn man bei Erklärungen zu den häufigen Vorurteilen wohl irgendwann eine gewisse Routine entwickelt, gibt es einige weit verbreitete Ansichten, bei denen Erklärungen und Diskussionen niemals entspannt sein werden.
Dieser Satz und seine diversen Variationen ist eine davon.

Natürlich sind Autisten in der Lage, Mitgefühl zu empfinden.

Ich sehe zwei große Ursachen dafür, dass sich diese Ansicht so hartnäckig hält. Auf die erste Ursache brauche ich an dieser Stelle nicht detailliert einzugehen, da mir Mela in einem anderen Artikel zuvor kam.
Um es kurz zu fassen: Das Mitfühlen ist nicht das Problem. Das Problem ist es zu erkennen, dass es da etwas zum Mitfühlen gibt. Wenn man diesen Schritt gemacht hat, liegt der nächste Schritt darin, das Gefühl überhaupt zu erkennen, auf das reagiert werden soll.
Wenn ich diese beiden Schritte zu einem irgendwie befriedigenden Ergebnis gebracht habe, klappt das mit der Empathie meist recht gut. Das bedeutet aber in den meisten Fällen, dass ich mich bewusst damit beschäftigt habe. Außerdem brauche ich eine Erfahrung, die ich zumindest grob auf die andere Situation übertragen kann. Die Fälle, in denen ich nicht nachdenken muss, sind meist die Fälle, in denen ich das Geschilderte eins zu eins erlebt habe. Dann kann dazu auf Anhieb die passende Emotion abgerufen werden. Wenn ich auf der anderen Seite für eine Situation keine Grundlage hab, bin ich nicht in der Lage, mich in diesen Menschen hineinzuversetzen. In so einem Fall habe ich aus den diversen Jahren, die ich mich gezielt mit meinen Mitmenschen auseinandersetze, für viele Situationen theoretisches Wissen, wie diese sich in einer entsprechenden Situationen wohl fühlen, aufgebaut.
Eine weitere Sichtweise darauf, wie das Mitfühlen bei ihr funktioniert, beschreibt fotobus in ihrem Blogbeitrag, der sich ebenfalls mit diesem Phänomen befasst.

Ein anderes Problem, zu dem ich eher selten Informationen finde, das ich aber in diesem Kontext für wichtig halte, ist die Diskrepanz zwischen dem Empfinden eines Gefühls und dem Darstellen dieses Gefühls nach außen hin. Die Annahme, dass etwas nicht existiert, lediglich weil es nicht wahrgenommen wird, ist unter vielen Menschen weit verbreitet.

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Angriff der Killerautisten

Mit einem Timing, das nicht besser hätte sein können, waren Wendelherz und ich gestern eingeladen worden, gemeinsam mit @ennomane und @astefanowitsch einen Podcast aufzunehmen.

Ausgehend vom Spiegel-Artikel sprechen wir über diverse Themen rund um Autismus, versuchen so etwas wie einen Überblick zu geben und erzählen dazu aus unserer Perspektive.
Irgendwann dazwischen demontiert @astefanowitsch noch die „Entschuldigung“, die der Spiegel mittlerweile veröffentlicht hat, sehr ausgbiebig.

Das Ganze kann man hier anhören:

Themen und Köpfe 2: Angriff der Killerautisten

 

[Edit: Formulierungen glatt gebügelt]

Lieber Spiegel-Online,

ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr ihr mich gerade aufregt. Eigentlich hätte ich das hier vor einer Stunde schreiben müssen, aber vermutlich hätte ich beim Versuch die Tastatur durchgebrochen.

Aber gut, fangen wir mal ganz von vorne an. Es gab einen Amoklauf, betroffen sind hauptsächlich Kinder. Meine Gedanken in diesem Moment beschränkten sich auf ein “Oh Scheiße!”, in Anbetracht dessen, was ich so mitbekam, war eure erste Reaktion vermutlich ein “Oh, Klickstrecken!”. Aber gut, so kennen wir es schon von der Bild, und wenn die Leute da nicht drauf stehen würden, würdet ihr es ja nicht machen, bloß seriös geht anders. Innerlich bereitete ich mich bereits darauf vor, die nächsten Tage damit zu verbringen, Schlagzeilen über vereinsamte Killerspielspieler zu lesen.

Doch nein, es tauchte irgendwo in den Untiefen der Schlagzeilen eine Meldung auf, dass ein Verwandter des Amokläufers etwas von Persönlichkeitsstörung, oder vielleicht sogar Autismus, gesagt hat. Damit war dann wohl vorgezogene Bescherung in den Redaktionen. Wo ihr doch schon seit Monaten jede noch so aussagelose Studie durch die Medien schleift, sofern sie nur irgendeine Korrelation zwischen Autismus und Umstand X aufweist, und sie als die neue mögliche Autismusursache feiert. Dass Autismus keine Persönlichkeitsstörung ist, ist ja im Grunde auch nur ein unwichtiger Randfakt.

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