Podcast!

Diejenigen unter euch, die mir in den diversen sozialen Netzwerken folgen, werden es vermutlich schon mitbekommen haben; für alle anderen gibt es nun eine kleine Werbeunterbrechung:

Zusätzlich zum Realitaetsfilter gibt es jetzt noch eine Podcast-Auskopplung, bei der sich trotz studienbedingter Startschwierigkeiten mittlerweile einige Folgen angesammelt haben.  Diese besteht aus mehreren Formaten. Zum einen eine Reihe, bei der Cris und ich uns mehr oder minder regelmäßig zu verschiedenen Themen aus dem Autismus-Spektrum austauschen, zum anderen interviewe ich verschiedene Personen, die mit Autismus zu tun haben.

Zu allen Folgen

Zu allen Folgen „Cris & Hawk

Zu allen Folgen „Hawk spricht mit …

P.S.:

Besonders ans Herz legen möchte ich euch die aktuell letzte Folge „rf007 – Hawk spricht mit Jörn de Haen„, bei der ich mich mit Jörn über Therapie, Forschung, Diagnostik und einige weitere Themen unterhalte. Wem der Name bekannt vorkommt: Jörn schrieb bereits vor einiger Zeit einen Gastartikel.

Sophia – Mein Autismus in 500 Worten

Schon früh habe ich gemerkt, dass ich irgendwie anders bin als andere. Dieses Gefühl des Andersseins, des Sich-fremd-Fühlens zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Mal stärker, mal weniger stark, aber doch irgendwie immer vorhanden. Im Laufe der Jahre und auch mit therapeutischer Hilfe lernte ich zwar, wie soziale Interaktion funktioniert und inzwischen kann ich sogar von mir aus Kontakte zu anderen Menschen knüpfen. Doch so richtig „zu Hause“ fühle ich mich selbst in dem Freundeskreis, in welchem ich seit zwei Jahren festes Mitglied bin, noch immer nicht. Vielleicht auch, weil es sich für mich noch immer seltsam anfühlt, überhaupt so etwas wie Freunde zu haben. Für mich ist das nicht selbstverständlich, sondern ein Luxus. Es ist nicht so, dass ich vorher nie Freundschaften gehabt hätte, aber es war immer mit großen Mühen verbunden, diese aufrecht zu erhalten und so verliefen sie alle -mal nach kurzer, mal nach längerer Zeit- im Sand. Insofern bedeutet der Freundeskreis, in welchem ich zurzeit integriert bin, ein großes Glück für mich, auch wenn ich mich dort, wie gesagt, immer noch etwas fremd fühle.

Im Herbst fange ich an zu studieren, darauf freue ich mich, habe aber auch Angst. Einerseits bedeutet das Studium wieder mehr Struktur, klar definierte Aufgaben und allgemein ein strukturierter Tagesablauf. Im Moment befinde ich mich in diesem „Schwebezustand“ zwischen Abitur und Studium und die fehlende Tagesstruktur macht mir zu schaffen. Außerdem kann ich im Studium meine Stärken sehr gut einbringen: Autismus wird in den meisten Fällen über Defizite definiert, es gibt aber auch Dinge, die Autisten (häufig) besonders gut können. So habe ich beispielsweise ein sehr gutes Gedächtnis und kann Texte schnell und detailliert erfassen, was im Studium sicherlich von Vorteil sein wird.

Andererseits ist eine Universität natürlich viel größer als eine Schule, dort arbeiten sehr viel mehr Menschen, was mehr Lärm und somit Stress für mich bedeutet. Ich bin sehr geräuschempfindlich, immer, wenn ich unterwegs bin, und sei es auch nur ein Einkauf, brauche ich danach einige Zeit, in der ich alleine in meinem Zimmer bin, die Augen geschlossen habe und einfach nur die Stille genieße. Gerade auch, wenn zu der Reizüberflutung auch noch die Anstrengung durch eine längere soziale Interaktion hinzukommt, bin ich beim Nachhausekommen häufig kaum noch in der Lage zu sprechen und brauche diese Pausen. Vermutlich verbringe ich also überdurchschnittlich viel Zeit alleine in meinem Zimmer, das finde ich aber in Ordnung, da es einen notwendigen Ausgleich für mich darstellt.

Ich glaube, dass es im Leben genau darum geht: Einen Ausgleich zu finden zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen, die das Leben nunmal stellt und die jeder erfüllen muss, damit eine Gesellschaft funktioniert.

Ich glaube, wenn man genau diesen Ausgleich schafft, kann man glücklich werden, egal ob mit oder ohne Autismus.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Sophie ist Asperger-Autistin und 18 Jahre alt. Wenn Sie nicht grade Gastbeiträge für mich schreibt, beginnt diesen Herbst mit ihrem Studium.

Man kann alles schaffen, wenn …

Der nachfolgende Text bezieht sich auf Autisten, er ist jedoch ohne weiteres auf weitere psychische Störungen oder Erkrankungen übertragbar.


Wenn man nur genug will, kann man alles schaffen. Wenn man sich nur genug Mühe gibt. Das ist in etwa die Meinung eines gefühlten Drittels aller Kindersendungen und scheinbar auch das Lernziel von einem Haufen Eltern, mit denen ich leider zu tun habe.

Dann schlage ich doch das nächste Mal vor, dass sie, wenn das nächste Mal ein Rollstuhlfahrer vor ihnen am Fahrstuhl steht, hingehen und ihn einfach mal ermutigen, dass er doch auch die Treppe nehmen kann. Oder zumindest die Rolltreppe, aber ein bisschen Entgegenkommen sollte man ja schon erwarten können. Man kann ja nicht die kompletten Erwartungen zurück schrauben.

Würden Sie nicht tun? Würde auch niemand anders tun mit der Intelligenz oberhalb eines Terrassenfarns? Dann stellt sich mir an dieser Stelle die Frage, WARUM ZUM HENKER ERLEBE ICH IM MOMENT MINDESTENS EINMAL DIE WOCHE, DASS IRGENDEIN FARNERSATZ MEINT, AUTISTEN ZU ERZÄHLEN, SIE KÖNNTEN JA AUCH GANZ NORMAL SEIN, WENN SIE SICH NUR NICHT SO ANSTELLTEN?

Dieses Motiv taucht in den unterschiedlichsten Varianten auf und ist auch nicht nur auf Autismus beschränkt. Es scheint einige viele Menschen zu geben, die offenbar nicht dazu in der Lage sind zu erfassen, dass nur, weil sie etwas nicht sehen können, es nicht zwangsläufig nicht da ist. Das mit dem Sauerstoff funktioniert ja auch seit einigen Jahrtausenden, ohne dass den irgendwer sieht. Auf diese Weise werden Nachteilsausgleiche verweigert, denn alle müssen sich ja anstrengen, oder Druck aufgebaut, sich auch endlich mal Mühe zu geben, damit man normal ist.

Der Druck, der damit aufgebaut wird, ist verheerend. Menschen wird damit eingeredet, dass sie ja im Grunde vollkommen normal sind, weil alle Körperteile ja an der richtigen Stelle sind und sie sich nur mal zusammenreißen können.

… Wenn man einem Menschen das lang genug erzählt, glaubt der das irgendwann.

… Wenn Menschen das nur genug glauben, setzen sie sich solange selbst unter Druck normal zu sein, dass sie den Druck, der ohnehin schon auf sie ausgeübt wird, nochmal multiplizieren. Das Ergebnis sind mitunter Menschen mit einem Selbstwertgefühl, das an Hass grenzt, Menschen, die mit dem konstanten Gefühl leben, versagt zu haben.

Aber vor allem sind es Menschen, die dadurch weit hinter dem zurückbleiben was sie können. Druck auf Menschen ausüben hilft ihnen nicht dabei, mit Sachen umgehen zu lernen. Menschen einzureden, sie seien ganz normal und nur faul, hilft ihnen nicht, ihre Bedürfnisse zu erkennen und sie zu berücksichtigen. Ich treffe immer mehr solcher Menschen, die zusätzlich zu ihren Problemen, die sie in den Griff hätten kriegen können, nun noch Depressionen dazu bekommen haben. Natürlich sollte man sich nicht auf der Diagnose ausruhen, aber Druck ausüben, um die gleiche Leistung zu erhalten, wie bei Nicht-Autisten, wird nicht helfen.

Einen Rollstuhlfahrer würden Sie vor der Treppe auch nicht anfeuern, sondern eher Fragen, ob Sie helfen können. Der einzige Unterschied ist, dass Sie die meisten Autisten erst lange reizen müssen, um es bei ihnen zu bemerken. Also seien Sie kein Farn.

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Tageshauscaos – Mein Autismus in 500 Worten

Was macht meinen Autismus aus? Das ist eine sehr gute Frage, denn eigentlich weiß ich es nicht.
Ich weiß, dass ich vor meiner Diagnose ziemlich heftige Probleme hatte, wo niemand wirklich wusste wo die herkamen.
Daher war meine Diagnose für mich eher eine Art Erklärung, eine Erklärung für mein Sein und für meine Probleme, die ich mit meiner Umwelt ständig hatte.
Endlich erklärte mir mal jemand, warum und wieso das alles so ist.
Und eigentlich war es seitdem gar nicht mehr so schlimm.
Eine Begründung hatte ich ja nun, endlich hörten die Vorwürfe auf, ich könnte ja nichts und wäre nur faul. Nein, nun konnte jeder, der es wollte, schwarz auf weiß auf meinem Diagnosezettel lesen, dass ich nicht faul oder dumm sei.
Das tat meinen Selbstbewusstsein total gut.
Denn dieses war zum Schluss nicht einmal mehr vorhanden, ich bin herum geschubst worden und fühlte mich meistens wie die Kugel in einem Flipperautomaten. Kein schönes Gefühl.
Doch nach der Diagnose änderte sich das ein wenig, ich konnte endlich Stopp sagen und meine Grenzen endlich einhalten, das ging, weil ich ab da an meine Eigenheiten begründen konnte.
Ich habe da auch das erste Mal erfahren, dass es nicht nur negative Eigenschaften beim Autismus gibt, sondern auch sehr positive, und seitdem versuche ich diese Seiten von mir zu stärken.
Eigentlich gelingt mir das im Moment erstaunlich gut.
Ich habe auch viele neue Freunde gewonnen, ich hatte nicht mehr daran geglaubt. Doch unter meinesgleichen, den Autisten, musste ich feststellen, dass ich sehr wohl im Stande dazu bin, Freundschaften zu haben. Und darüber freue ich mich am meisten. Auch wenn die meisten leider viel zu weit weg wohnen und mich das sehr an das Internet koppelt.
Aber die Freude über diese Leute überwiegt viel mehr, da macht es mir auch nichts, bei manchen Ärzten als internetsüchtig beschrieben zu werden.
Mittlerweile gibt es auch Offline-Besuche, und die finde ich jedes mal total klasse.
Nächste Woche zum Beispiel, da treffe ich mich mit Realitätsfilter, und das Offline. Ich freue mich schon wahnsinnig da drauf.
Ich glaube, das hat sich am meisten geändert, von jemandem, der nirgends auffiel und von dem auch niemand Notiz nahm zu jemandem, der rausgeht, um sich mit Freunden zu treffen.
Meine Freunde sind alle anders … und ich bin mächtig stolz darauf. 😉

Ich glaube endlich an mich und weiß, dass es Sachen gibt, die ich wohl nie können werde, aber ich lerne, damit zu leben, denn diese Situationen wird es immer für mich geben, ich kann sie nicht ändern. Und wenn man was nicht ändern kann, sollte man das Beste daraus machen.
Man sieht meinen Autismus, ok, dann sieht man ihn halt.
Ich wachse mit jedem Tag, und das auch dank der Leute, die mich tagtäglich unterstützen.
Vielen lieben Dank dafür.
Das ein oder andere Buch würde ich gerne noch schreiben. Viel Zeit mit meinen Freunden verbringen und das Leben abseits des Normalen einfach genießen.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Samantha Becker ist eine 33 jährige Asperger-Autistin.
Viele kennen sie schon, von der Seite AutiCare.de, wo sie als Vereinsvorsitzende tätig ist. In ihrer Freizeit trifft sie sich gerne mit anderen Autisten und Autistinnen und reist gerne quer durch Deutschland.

Grenzwertbetrachtung

Ich könnte an dieser Stelle mit meiner Bildung angeben und mir hochtrabende Zitate über das Überschreiten des Rubikon zusammengooglen. Ich kann aber auch einfach so einen Text über die eigenen Grenzen zu schreiben.

Jeder Mensch hat Grenzen, aber nicht jeder Mensch ist sich dieser Grenzen auch bewusst. Bis ich mir meiner Grenzen wirklich bewusst wurde, verging nach meiner Diagnose noch einige Zeit. Und noch länger, bis ich in der Lage war, meine Grenzen auch zu berücksichtigen. Das bekamen in meiner Jugend vermutlich am meisten meine Eltern zu spüren, wenn ich über den Tag so viel Energie in Schule und Ehrenamt aufgewendet hatte, das nicht mehr genug Konzentration dafür übrig war, mit ihnen einigermaßen klarzukommen. Im Nachhinein kann ich sagen, dass vermutlich die Schule allein ausgereicht hätte, um mich auszulasten. Das wurde auch nur bedingt besser, nachdem ich zu lernen begann, mehr Rücksicht auf meine eigenen Bedürfnisse zu nehmen. Zwar hatte ich in der Schule die Möglichkeit, mir eine ruhige Ecke zu suchen, aber die Schule an sich stellt genügend Anforderungen, denen man nicht entgehen kann. Zumindest nicht, wenn man in irgendeiner Weise an  einigermaßen erträglichen Noten interessiert ist. So oft, wie ich mit Eltern schon diskutierte, warum ihre Kinder ausflippen wenn sie nach Hause kommen, obwohl es in der Schule doch ging, scheint die Schule allein schon in der Lage zu sein, die Grenzen von vielen Autisten zu überschreiten.

Nun lernte ich irgendwann, dass ich Grenzen habe und es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, auf diese dann auch mal Rücksicht zu nehmen. Noch dazu lernte ich irgendwann auch “Nein” zu sagen und nicht immer jedem ohne Rücksicht auf eigene Verluste zu helfen. Ich lernte meine Kräfte so aufzuteilen, dass ich damit über den Tag komme und der Streit wurde weniger. An dieser Stelle könnte ich den Blogpost schließen, aber irgendwie bin ich nicht in der Stimmung für künstliche Happy Ends. Das Problem ist, dass diese Grenzen keine harten Mauern mit Stacheldraht davor sind. Vielmehr sind es mehrere Grenzen, die unterschiedlich  schwer zu überwinden sind. Aber keine dieser Grenzübertritte bleibt folgenlos.

Überwindung fängt schon an, wenn ich die Wohlfühlgrenze überschreite. Das kann  mitunter durch  ganz unterschiedliche Situationen geschehen, wie zum Beispiel das Einkaufen in einem überfüllten Supermarkt. Unter idealen Bedingungen, mit Sonnenbrille, guten Kopfhörern und einem geringen Anteil an Interaktionsbedürftigen Kunden oder Angestellten, brauche ich danach knapp 2h Ruhe um wieder einigermaßen auf das gleiche Level an Leistungsfähigkeit zurück zu kommen, welches ich vor dem Supermarktbesuch hatte. Unter schlechteren Bedingungen kann es mitunter  passieren, dass ich den Rest des Tages nicht mehr viel Konstruktives schaffe und man an solchen Tagen auch nicht viel Sozialkompetenz erwarten sollte.

Größere Grenzübertritte bezahle ich in der Regel mit höheren Regenerationszeiten und Zeiten, in denen die soziale Interaktion nicht auf dem Level funktioniert, dass ich mir über die Jahre erarbeitet habe. Mitunter kann es passieren, dass ich schon in der Situation selbst nicht mehr vollständig angepasst und vor  allem angemessen interagiere. So passieren mir zum Beispiel bei Gruppenarbeiten, die sich über mehrere Tage hinziehen, mit steigender Zeit häufiger Mal Patzer, die mir unter normalen Bedingungen nicht passiert wären.

Das Überschreiten der persönlichen Grenzen funktioniert so lange, wie ich zwischen diesen Situationen ausreichende Erholungsphasen zugestanden bekomme. Kritisch ist es, wenn Termine so nah beieinander liegen, dass dazwischen keine Zeit bleibt, um wieder runter zu  kommen. Passiert das zu oft, sinkt meine Konzentration und damit meine  Sozialkompetenz kontinuierlich. Die Zeit, die ich brauche um mich wieder zu  erholen, potenziert sich von fehlender Erholung zu fehlender Erholung immer mehr, bis ich irgendwann außerhalb der Situationen, in denen ich irgendwie funktionieren muss, nur noch ohne nennenswerte Aktivität vor mich hin existiere. In so einer Situation helfen auch komplett freie Tage nur insoweit, als dass sie verhindern, dass es noch schlimmer um meine Kraftreserven steht und ich somit  noch ein bisschen länger durchhalte.

Aktuell befinde ich mich am Ende einer solchen Phase, die durch mein Studium bedingt war und mehrere Monate anhielt. Es brauchte einige freie Wochen und einige Tage am Strand, damit ich überhaupt wieder in der Lage war, diesen Text zu tippen und ich habe die Befürchtung, bis ich wieder so belastbar bin  wie vor dieser Phase, wird es mehr Zeit brauchen, als die vor mir liegenden Semesterferien bieten. Und während ich das hier schreibe, erklärt irgendwer ungefragt Autisten, dass sie sich ja nur mal zusammenreißen und über ihren Schatten springen müssen.

Ist das noch Pavlov?

Während es Spiegel Online geschafft hat, eine DPA-Meldung aus dem Autismus-Kontext so aufzuhübschen, dass ich sie lesen konnte ohne Schmerzen zu haben, kommen die Schmerzen anderswo umso mehr.

Hinweis: Der nun folgende Text benutzt die Stilmittel Sarkasmus und Ironie, ich habe mich jedoch bemüht, diese entsprechend zu kennzeichnen.

Bei Zeit Online ist heute ein Artikel mit dem aussagekräftigen Titel “Bloß nicht zu nett sein!” erschienen. In diesem Artikel wird auf zwei Seiten ein Loblied auf ABA gesungen, bis irgendwann auf Seite drei auch mal eine kritischere Stimme zu Wort kommt. Zumindest wenn irgendein Leser soweit aushält. (Wer zum Teufel kommt eigentlich auf die Idee, Websites zum Blättern zu bauen?) Aber nun gut, ich habe solange ausgehalten und mir die Werbebroschüre den Artikel durchgelesen und möchte, entgegen meinem Grundsatz, nichts zu einzelnen Therapieformen zu sagen, an dieser Stelle mal meinen Senf dazu geben:

Beginnen wir mit dem klassischen Einstieg, ein armes Kind, das vollkommen von seiner Außenwelt abgeschlossen ist und dann innerhalb nur weniger Wochen in der Lage ist, die Kommandos seiner Eltern zu befolgen, wenn er denn mit einem Smartie dafür belohnt wird. (Die Hundehalter unter den Lesern dürften das Prinzip wiedererkennen.) Es sind Geschichten wie diese, mit denen ABA oft verkauft wird. Einzelne anekdotisch erzählte Erfolgsgeschichten. Der nächste Schritt besteht dann darin, dass man den staunenden Leuten erzählt, wie auch sie das erreichen können, nämlich:

„Sprechen, jemanden ansehen, allein auf die Toilette gehen, Gefühle auf einem Gesicht erkennen: Was andere Kinder nebenbei lernen, muss Johan mühsam beigebracht werden. Das geschieht nach einer neuartigen Methode, die fast wie ein Hochleistungstraining aufgebaut ist: 30 Stunden pro Woche sitzt Johan auf seinem Kinderstuhl still, während die Erwachsenen sein Verhalten steuern, als sei er ein willenloses Wesen.“

Klingt schon irgendwie grausam. [Sarkasmus]Aber ist ja alles für einen guten Zweck, denn schließlich soll mein Kind ja anderen in die Augen sehen, und es ist ja auch nicht so, dass Autisten leichter zu überfordern sind als andere Menschen, von daher können diese fünf Stunden täglich ja nur gut sein und auf keinen Fall eine Belastung, und außerdem: Sagte ich schon, dass es ja für einen guten Zweck ist?[/Sarkasmus]

Erst mal stimmt es, dass Autisten alle oder einige dieser Dinge unter Kraftaufwand lernen müssen, aber das im Kontext dieser Dinge immer wieder der Blickkontakt genannt wird, ist schon ein wenig irritierend. Ich schaue Menschen bis heute kaum in die Augen und habe dadurch keinerlei Einschränkungen in der Lebensqualität. Im Gegenteil, wenn ich Menschen immer in die Augen schauen müsste, würde mich das jedes Mal so nachhaltig verwirren, dass ich immer wieder aus dem Gespräch geworfen werde. Aber vielleicht ist das bei Johann ja nicht so, weil sonst hätte er wohl das Problem, dass er das ankonditionierte Verhalten  wieder los werden müsste, wenn er nicht dauerüberfordert in Gesprächen mit anderen Menschen sein will.

Der andere Punkt dabei ist, dass ABA nicht der einzige Weg ist, all diese Dinge zu erlernen. Ich habe sie schließlich auch gelernt, ohne dass meine Eltern mich fünf Stunden täglich trainierten. Der Unterschied ist, dass ich verstanden habe, warum das was ich tun soll Sinn  macht, das heißt ich verstehe da was ich tue. Weil das menschliche Verhalten  dummerweise mehr als ein einfaches Reiz-Reaktions-Muster ist. Was in den meisten  Situationen richtig ist, kann einen in anderen Situationen in Teufels Küche bringen. Die gleiche Ausgangssituation kann auf einer Beerdigung eine komplett andere Reaktion erfordern als sagen wir mal auf einem Kegel-Abend. Ist das einem Menschen, der diese Sachen über Konditionierung gelernt hat, genau so klar wie mir, der ich die Hintergründe verstanden habe? Allein diese Überlegung sollte eigentlich nahelegen, dass ABA nicht der alleinige Weg zum Erfolg sein kann.

„Bei Autisten ist das Erkennen von Ursache und Wirkung gestört. Das behandeln wir durch Verstärkung.“

Das hier ist einer dieser typischen „Bei Autisten …“-Sätze, die eigentlich immer für Aufregung gut sind. [Sarkasmus] Oh, scheinbar habe ich eben Verstanden, dass dieser Satz die Ursache ist dafür, dass ich mich aufrege. Das würde ja bedeuten, dass ich Ursache und Wirkung erkannt habe. Aber das würde dann ja bedeuten, dass ich kein Autist bin. ICH BIN GEHEILT! [/Sarkasmus]
Ok und jetzt mal ernsthaft. Es mag sein, dass bei einigen Autisten dieser Zusammenhang, insbesondere in sozialen Situationen, nicht erkannt wird. Das hat aber wohl eher damit zu tun, dass Autisten meist nur die Wirkung mitbekommen. Sie bekommen mit, dass sie gerade Ärger kriegen, aber dass das daran liegen könnte, dass sie gerade Witze auf einer Beerdigung erzählt haben, bemerken sie nicht zwingend, wenn ihnen das Gefühl dafür fehlt, dass andere Menschen grade traurig sind, obwohl sie auf einer „Feier“ sind und dass man traurige Menschen nicht immer mit Witzeerzählen aufheitern kann. Soziale Situationen bestehen eben nicht nur aus einer einfachen Ursache-Wirkungs-Kette.
Leider.

Dann wäre da noch ein grundsätzliches Problem. Ich habe mit der Zeit gelernt, dass es garnicht das Ziel sein sollte, immer komplett normal zu wirken und allen Leuten freundlich lächelnd in die Augen zu schauen. Ich wäre vermutlich dazu in der Lage, das zu tun, aber was hätte ich davon? Ich würde so viel meiner Energie darauf verwenden, die mir dann an anderen Stellen fehlt. Man kann durchaus auch mit anderen Menschen interagieren, ohne ihnen konstant in die Augen zu schauen. Einige Menschen stört das nicht mal. Die Menschen, die es stört, sind meist zufrieden damit, wenn man irgendwo in die Nähe ihrer Augen schaut, den Unterschied bemerken sie in der Regel nicht. Obwohl ich Menschen nicht in die Augen schaue, habe ich einen Freundeskreis. Es geht nicht immer darum, 100% nach außen hin normal zu wirken, es reicht, sich da auf die Bereiche zu konzentrieren, die negative Konsequenzen nach sich ziehen und unbeliebt machen. Ich bezweifle irgendwie, dass es so gut wäre, wenn ich aufhören würde darauf zu achten, niemanden zu unterbrechen beim Reden, aber dafür allen in die Augen zu schauen. Sicherlich könnte ich auch auf beides achten, aber das hätte dann zur Folge, dass ich entweder nur noch an einem Tag in der Woche unter Menschen gehe oder mir schon mal einen Platz in der Burnout-Reha suche.

Das ist eines der ganz großen Probleme, die ich sehe, wenn nur ABA ohne irgendwas anderes angewendet wird. Kein Mensch hat endlose Reserven an Konzentration, die er aufbringen kann, und von der Fähigkeit damit zu haushalten, habe ich noch keinen ABA-Verfechter sprechen hören, wenn er davon erzählte, dass die Kinder (fast) ganz normal wirken werden am Ende.

tl;dr: Es gibt keine Autismus-Therapie, die alle glücklich macht, ideologische Grabenkämpfe führen zu nichts und ABA – insbesondere allein angewendet – sollte kritisch betrachtet werden. Es wäre allen viel mehr geholfen, wenn man da mit einer gesunden Mischung im Einzelfall arbeitet.

Therapie

Viele Autisten haben ein Problem mit Therapien. Wenn ich die Aussagen von den Autisten, die sich öffentlich äußern, verallgemeinere, könnte man sagen dass es die Mehrheit ist. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, aber wie Rainer in einem Gespräch mit mir (rf005) anmerkte, dürfte der Hauptgrund dafür negative Erfahrungen mit  Psychologen sein, die so weit gehen, dass man in einigen Fällen schon von Traumatisierung sprechen kann.
Ich brauche kaum zu erklären, dass ich  vollstes Verständnis dafür  habe, wenn Menschen mit diesen Erfahrungen Therapien für sich grundsätzlich ablehnen, sofern sie daraus keine grundsätzliche Haltung konstruieren, dass alle Therapie immer böse ist.

Genau diese Haltung wird aber im Moment wieder zunehmend salonfähig. Auch bei Autisten die keine negativen Erfahrungen im Kontext mit Therapien machten. Dies wird im Regelfall damit begründet, dass man die Autisten ja nur akzeptieren müsste, statt zu versuchen, den Autismus wegzutherapieren.

Menschen die “Therapie ist …” kauften, kauften auch “Alle Autisten sind  …”

Ich kann diese Argumentation selten ohne Zusammenbeißen der Zähne ertragen, sehr zur Freude des Autohändlers meines Zahnarztes. Das Problem, das ich mit dieser Argumentation habe, ist nicht, dass ich sie nicht nachvollziehen kann. Das Problem ist, dass sie per se schon eine Verallgemeinerung ins Absurde darstellt.
Natürlich gibt es Therapien, die das strikte Ziel haben, am Ende eine Armee von unauffälligen Otto-Normal-Bürgern zu schaffen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt am Ende davon ein Mensch raus, der einige Therapie bräuchte, um die Therapie zu verarbeiten, und selbst wenn es am Ende funktioniert, dass der Mensch nach außen hin normal wirkt, dürfte das, was von ihm übrig ist, nicht mehr viel mit dem zu tun haben, was zu Beginn da war. Ich bin der Letzte,  der leugnet, dass es da draußen eine Heerschar von Leuten gibt, die sich daran gemacht haben, Autisten reihenweise zum Blickkontakt, Lächeln und Hand geben zu zwingen, indem sie der Konditionierung einen coolen neuen Namen gegeben haben.
Das ist das Bild, das vorherrscht, wenn man versucht, über Therapie zu diskutieren. Allerdings ohne jede Differenzierung, dass es hierbei lediglich eine Teilmenge des weiten Feldes unterschiedlicher Therapieansätze abdeckt.

Es gibt da nämlich noch andere Herangehensweisen, die ich ganz gerne als  problemorientierte Herangehensweisen bezeichne. Diese Ansätze gehen nicht davon aus, dass Autismus per se etwas ist, das therapiert werden müsste. Genau so wenig stürzen sie sich auf die Symptome. Die Fragestellung hierbei ist eher: An welcher Stelle hat der Mensch eigentlich Probleme, die durch den Autismus bedingt sind und kann man da etwas dran machen?
Wie das konkret aussieht, kommt dann natürlich auf die Probleme an, die im Alltag vorhanden sind. So kann ein soziales oder ein Kommunikationstraining in Einzelfällen zum Beispiel durchaus Sinn machen. Sie werden aber kaum helfen, wenn jemand Probleme damit hat, seinen Tagesablauf zu organisieren.
Überhaupt haben alle Therapien, insbesondere im Autismus-Bereich, die Gemeinsamkeit, dass keine von ihnen der alleinige Weg zur Erlösung ist. Kein seriöser Ansatz ist in der Lage, allen Schwierigkeiten zu begegnen, die Autismus so mitbringen kann.

Die Diskussion, ob eine Therapie Sinn ergibt, und wenn ja welche Therapie, wird fast immer mit ideologischem Beigeschmack geführt. Es gibt die Menschen, die Therapie pauschal als das Einfallstor allen Bösen betrachten, es gibt die Therapeuten die meinen, sie haben DEN Weg gefunden, alles gut zu machen, genau so wie es Leute gibt, die glauben, man könnte und müsste Autismus grundsätzlich therapieren.
Die Lösung liegt wie so oft in der Mitte:

Therapie kann sinnvoll sein, sie muss es aber nicht. Und wenn eine Therapie sinnvoll ist, sollte sie auf den Bereich zugeschnitten sein, in dem das Problem besteht, und nicht auf Basis eines alleinigen Heilsversprechen gewählt werden.

Disclaimer: Ich wurde selbst mehrere Jahre in einer Praxis therapiert, die sich auf Autismus spezialisiert hat und wäre ohne diese Unterstützung aktuell vermutlich nicht in der Lage meine Bachelorarbeit zu schreiben, daher ist eine gewisse Befangenheit nicht vollständig auszuschließen.

Autistisches Lernen

Heute mal ein Blogpost in eigener Sache.

Ich bin im Moment, gemeinsam mit anderen, dabei zu recherchieren wie Autisten lernen und ob es sowas wie ein autistisches Lernverhalten gibt.
Das Material dazu ist relativ dürftig, und da es nichts bringt, wenn ich einfach nur von mir auf alle anderen Autisten übertrage, wende ich mich vertrauensvoll an meine Leser.
Die Fragestellung lautet:

Wie könnt ihr am besten lernen?

Könnt ihr tendenziell eher

  • über das Lesen von (auch zusammenhanglosen) Listen, oder
  • über das Lesen von Fließtexten Zusammenhänge erfassen, oder
  • über das Ansehen von Grafiken/Bilder Zusammenhänge erfassen, oder
  • über das Zuhören (wenn jemand etwas vorträgt) inhaltlich verstehen, oder
  • über das Abstrahieren und denken in Metaebenen

Dinge behalten?

Wie lernt ihr, wenn ihr etwas lernen müsst oder lernen wollt?

Schreibt bitte dazu, was für eine Form von Autismus bei euch diagnostiziert wurde, für den Fall das sich herausstellt, dass es dort Unterschiede gibt. Je mehr Autisten sich daran beteiligen, desto repräsentativer wird das Endergebnis.

Ihr könnt eure Antworten entweder direkt hier als Kommentar veröffentlichen (wenn er nicht freigeschaltet werden soll, schreibt dass bitte dazu), oder ihr schickt eine Mail an kontakt@realitaetsfilter.com

Vielen Dank an alle, die sich beteiligen.