Author: Benjamin Falk

“Autismus und auch Asperger”

Dieses Blog hat die Neigung, dass ich darüber mit Menschen in Kontakt komme, Menschen die Fragen haben, Menschen die das Bedürfnis haben, mir Dinge zu erzählen. Auf jeden Fall hat dieser Umstand den Nebeneffekt, dass ich immer wieder Einblicke in das Bild bekomme, das andere Menschen von Autismus haben. Zusätzlich zu meinen eigenen Einblicken, die kommen, da ich mich aus eigener Motivation noch ein bisschen damit beschäftige. Ein Problem, das zunehmend viele Menschen haben, ist es, dass Konzept des autistischen Spektrums zu verstehen. Insbesondere die Formulierung, die auch der Titel dieses Textes wurde, hat es in den letzten Monaten schneller auf Platz 1 der Rangliste geschafft als Modern Talking Ende der 90er.

In diesem Satz schwingt mit, dass Autismus und Asperger zwei grundlegend verschiedene Dinge sind. Häufig kommt in diesem Kontext auch noch eine Einteilung in leichten und schweren Autismus. Seitdem sich der Begriff der “Autismus-Spektrum-Störung” etabliert, erlebe ich zunehmend Menschen, die das für eine weitere Form von Autismus halten. Meistens ist die dann noch leichter als Asperger, also im Grunde nur Erziehungsfehler*. Aber zum Konzept eines “leichten Autismus” habe ich ja schon ein anderes Mal geschrieben.

Dabei ist es gar nicht so unverständlich, dass man da schon mal verwirrt wird. Ein halbwegs modernes Bild von Autismus schafft es erst seit einigen Jahren in die Hörsäle der Universitäten und was man im Internet dazu findet, ist bestenfalls als durchwachsen zu bezeichnen. Fangen wir also zunächst mal mit dem Begriff des Autismus an. Je nachdem mit wem man redet, wird dieser wahlweise synonym für frühkindlichen Autismus/Kanner-Autismus, oder aber als Sammelbegriff für alle Arten von Autismus verwendet. Im Kontext dieses Blogs verwende ich ihn im Sinne eines Sammelbegriffs. Für diesen Sammelbegriff gibt es noch einige weitere Begriffe, die synonym verwendet werden. Der ICD-10 nennt es tiefgreifende Entwicklungsstörungen. Sehr populär ist in diesem Kontext auch der Begriff eines autistischen Spektrums, oder, seitdem dieser Begriff es voraussichtlich in die diagnostischen Handbücher schaffen wird, Autismus-Spektrum-Störung. Wie auch immer man es nun benennt, es ist keine eigenständige Diagnose, sondern lediglich ein Sammelbegriff, unter dem sich die verschiedenen Arten von Autismus zusammenfassen lassen.

Betrachtet man nun das autistische Spektrum, dann finden sich darin eine Reihe von Diagnosen. Die bekanntesten von ihnen sind Frühkindlicher-/Kanner-Autismus, atypischer Autismus und das Asperger-Syndrom. Auch hier gilt, dass diese Diagnosen nicht danach unterschieden werden, wie “schwer” jemand von Autismus betroffen ist. Fest steht, alle diese drei Diagnosen sind Formen von Autismus und wer mit einer davon diagnostiziert wurde, kann sich Autist nennen, sofern man es denn möchte. Denn auch wenn die meisten Leute bei Autismus an die auffälligen Formen denken, sind die vermeintlich unauffälligeren Formen nicht weniger Autismus.

Problematisch ist es, nach diesen Vorstellungen von schwerem und leichtem Autismus innerhalb dieses Spektrums zu unterteilen, denn das geben diese Kriterien nicht her und dafür sind sie nicht gemacht. Da Menschen einen Hang dazu haben in ihrer Psyche recht individuell ausgeprägt zu sein, sagt die Art der Diagnose innerhalb des Spektrums Autismus nichts darüber aus, wie sie im Alltag wirken und was für Probleme sie im Alltag haben.
Der Begriff des autistischen Spektrums stammt vom Begriff des Farbspektrums ab. Bei dem kann man auch nur relativ willkürliche Grenzen setzen, an welcher exakten Stelle nun grün aufhört und blau beginnt. Dann ist die eine Farbe per Definition blau und die andere Farbe genau daneben, bei der vermutlich niemand so wirklich einen genauen Unterschied erkennen könnte, ist grün.

Genau aus diesem Grund macht es gar nicht so viel Sinn, sich an einzelnen Begriffen festzuhalten und Autisten anhand ihrer Diagnose innerhalb des autistischen Spektrums Eigenschaften zuzuschreiben oder gar allgemein den “richtigen” Autismus abzusprechen. Jede Bezeichnung ist nur eine Kategorisierung, die nur wenig darüber aussagt, welche Eigenschaften der Mensch dahinter nun tatsächlich hat.

 

* Siehe dazu

Vergleichende Metaphern

Metaphern und Vergleiche sind sehr nützliche Tiere. Insbesondere vor dem Hintergrund  meiner Beschäftigung mit der IT retteten sie mir in der Vergangenheit schon öfter den Hintern, wenn es darum ging, Dinge zu vermitteln, die für Laien nur schwer verständlich sind. Doch auch in anderen Punkten sind sie hilfreich. Man kann mit ihnen Standpunkte verdeutlichen oder erkennt an manchen von ihnen, wann eine Diskussion über den Jordan ging. Insbesondere mir, mit meiner tendenziell bildhaften Denkweise, helfen sie oftmals, Gedanken auszudrücken, die ich sonst nicht allgemein verständlich abstrahiert bekäme.
Jedoch ist nicht jeder (bildhafte) Vergleich auch immer in jeder Situation gleich geeignet.  Dabei gibt es Vergleiche, die grundsätzlich nicht angemessen sind, wie zum Beispiel der Vergleich von Personen mit (toten oder lebenden) Diktatoren. Genauso sind Bilder, die irgendeinen Verweis auf Genozide enthalten, eher ungeeignet, weil sie das Potenzial haben, Gefühle zu verletzen, und dieses Potenzial in der Regel auch voll ausschöpfen. Der Umgang damit ist zum Glück relativ simpel in einer Faustregel zusammenzufassen:
Lasst es einfach sein.

Es gibt aber auch Vergleiche, die das gleiche Risiko in sich tragen, es jedoch nicht ganz so offensichtlich zeigen. Beispielsweise sind das Vergleiche, die so weit an den Haaren herbeigezogen wurden und dadurch so sehr hinken, dass, wären sie Pferde, der Tierarzt nur noch den Abdecker rufen würde.
Die Extremform der Vergleiche, welche nicht mal mehr hinken, sondern von vornherein Verwesungsgeruch ausströmen, sind solche, die nicht viel Bezug zur Realität haben, sondern einfach nur gesamtgesellschaftliche Vorurteile widerspiegeln. Ein relativ weit verbreitetes, in diesem Fall rassistisches, Beispiel dafür wäre zum Beispiel „Die klauen wie die Polen.“ Jeder versteht was gemeint ist, unabhängig vom Realiätsbezug, und vermutlich wird kein Pole in freudige Extase verfallen, wenn er das hört.
Die Wahrscheinlichkeit, solche Aussagen heutzutage in der Zeitung zu lesen, ist zum Glück stark gesunken. Dafür liest man heute andere Vergleiche, die aber ebenso das Problem des geringen Realitätsbezugs und des umso größeren Vorurteilsbezugs haben. Unter anderem fällt hier die Verwendung des Wortes Autismus auf, um Personen auf Charaktereigenschaften zu reduzieren.

Dabei hätte ich im Grunde gar nichts dagegen, Autismus als Metapher zu verwenden. Das Problem ist, ich fand bisher noch keine Autismus-Metapher, die irgendetwas anderes als die Vorurteile transportiert. Sei es Engstirnigkeit, die fehlende Bereitschaft zur Kommunikation, Egoismus in allen Varianten und vieles mehr. Diese Vorurteile über Autismus sind weder schön noch neu noch selten. Die Metaphern greifen nur auf, was ohnehin schon da ist – könnte man sagen und diese Diskussion beenden. Wenn man etwas weiter denkt, stellt man jedoch mit etwas Glück fest, dass es nicht ganz so simpel ist, sondern durch solche Vergleiche Vorurteile gefestigt werden. Denn jeder, der noch keine Ahnung hat, was Autismus ist, (und das sind nicht Wenige) wird es durch häufiges Lesen der Metapher lernen. Nur eben das Vorurteil und nicht die Realität. Und das sorgt mittelfristig dafür, dass auch eine weitere Generation Autisten das zweifelhafte Vergnügen bekommt, erst einmal versuchen zu müssen, zu erklären, was Autismus wirklich ist – und dass Autisten keine kurzsichtig denkenden Egoschweine sind.

Wie ich bereits sagte: Ich habe kein Problem damit, wenn Sie Autismus als Metapher verwenden. Sofern Sie ihn verstanden haben – und man das Ihrer Metapher auch anmerkt. Ich habe Autismus vermutlich verstanden, und auf Anhieb fällt mir nichts ein, wofür er Metapher sein könnte, denn das Spektrum ist zu weit, als dass es wirklich vergleichsfähige Eigenschaften gäbe, mit denen Sie keinen Autisten vor den Kopf stoßen. Aber eventuell finden Sie ja doch was, womit Sie sich meinen Respekt verdient hätten.

Wenn Sie es jedoch nicht verstanden haben, lassen Sie es. Sie sind intelligent. Sie finden einen besseren Weg, Ihr Anliegen klarzumachen.

 

Der Kopfhörer bleibt drinnen.

Es gibt einige, meist persönlich geprägtere, Texte, die überlege ich schon lange zu schreiben. Bei der Überlegung bleibt es dann aber lange Zeit nur, weil diese Texte ein großes Potenzial haben, missverstanden zu werden, worauf sich dann Leute furchtbar auf den Schlips getreten fühlen, was ich in der Regel vermeiden will. Nun schreibe ich diesen Text trotzdem, einfach nur weil ich keinen Nerv mehr darauf habe, von anderen Menschen erklärt zu bekommen, dass ich mich jetzt anständig verhalten solle.

Der Stein des Anstoßes sind meine Kopfhörer. Seitdem sich tragbare Musikabspielgeräte durchgesetzt haben, nehmen die dazugehörigen Abendlandsuntergangsszenarien nicht ab. Millionen Menschen mit Hörschäden, niemand redet mehr miteinander, wir werden alle zu Zombies. Was davon übrig bleibt, zeigt die Zeit gerade. Aber es gibt noch eine weitere Sache, die im Rahmen von öffentlich kopfhörertragenden Menschen immer wieder ins Feld geführt wird. Nämlich, dass diese Dinger einfach nicht rausgenommen werden. Auch nicht in Gesprächen, was von allen Beteiligten (zurecht) als ziemlich unhöflich empfunden wird und zu allgemeinen Verstimmungen führt. Auch ich mache meine Kopfhörer raus wenn ich mich mit anderen Menschen unterhalte.

Meistens.

Gegen den Krach gibt es auch eine Waffe. Anderen Krach. Aber besseren Krach.

Das Problem ist, dass es im Alltag Situationen gibt, in der die Menge und Anzahl der Hintergrundgeräusche ein Level erreicht, dass ich es nur durch Konzentration allein nicht mehr schaffe auszublenden. An dieser Stelle habe ich in etwa drei Alternativen. Die erste wäre, mir das Trommelfell durchzustechen, was aber eine ziemliche Sauerei ist und ich deshalb vermeiden wollen würde. Ansonsten bleibt, den Lärm künstlich auszufiltern. Das ginge entweder durch Gehörschutz oder durch Übertönen.
Man muss sagen, ich mag meinen Gehörschutz sehr, – an sehr vielen Wohnheimtagen ist er das einzige, was zwischen mir und einem Schreikrampf steht – aber es gibt Situationen, in denen er einfach unpraktisch ist, da man ihn nicht mit einer einhändigen schnellen Handbewegung in die Ohren rein und auch wieder raus bekommt, geschweige denn unaufällig. Außerdem kann ich nicht regulieren, wie stark er die Außengeräusche dämpft, es gibt nur Krach oder Stille.

Also bleibt als Alternative, den Lärm zu übertönen, wie in diesem treffenden „Ben X“-Zitat beschrieben. Das Problem kommt dann, wenn die Interaktion mit Menschen dort stattfindet, wo grade zu viel Hintergrundgeräusche vorhanden sind, wie oftmals im Einzelhandel. Seien es übervolle Supermarktkassen, Bäckereien mit piepsenden dröhnenden Öfen im Hintergrund oder Weihnachtsmarktstände. (Wobei bei denen der Lärm echt nicht das einzige Problem ist.) So kommt es also dazu, dass ich in solchen Situationen jedes Mal vorher meinen Überforderungszustand gegen die Unhöflichkeit abwägen muss, die ich dem Einzelhandelsverkaufswesen antue.

Bleibt der Kopfhörer also drinnen, gibt es viele Menschen, die da einfach nicht drauf eingehen, eventuell weil Sie es nicht bemerken, oder weil es ihnen egal ist, oder sie ärgern sich, aber sagen nichts. Dazu muss man sagen, dass solche Situationen in der Regel relativ vorhersehbar sind, dass ich mit etwas Grundlagenfähigkeit im Lippenlesen und Aufmerksamkeit durch einen kompletten Bestell- und Kassiervorgang komme, ohne dass ich auch nur ein Wort von dem hörte, was man mir sagte und das sogar inklusive dem Umstand, dass ich einen angenehmen Tag beim Gehen wünsche. Sollte es doch zu etwas Unerwartetem kommen, muss ich dann halt doch den Handgriff machen und die Kopfhörer rausnehmen.

Es gibt aber auch Menschen, die fühlen sich durch meine Kopfhörer so herabgewürdigt, dass sie das nicht so stehen lassen können und, statt ihre Arbeit zu tun, mir erklären, wie ich mich anständig zu verhalten habe, und auch erst Ruhe geben, wenn ich die Kopfhörer aus den Ohren genommen habe. Eine Kassiererin in einem örtlichen, von Baulärm geplagten Supermarkt ging dabei sogar soweit, mich nicht abkassieren zu wollen, solange ich die Kopfhörer nicht rausnehme. (Ähnliches passierte auch schon mit Sonnenbrillen in Banken.)

Natürlich kann ich verstehen, dass es diese Menschen als unhöflich verstehen. Ich könnte auch verstehen, wenn sie mir das sagen würden. Gespräche wie „Es ist ziemlich unhöflich, die Stöpsel nicht rauszunehmen, wenn Sie mit mir reden.“ – „Ja, tut mir auch Leid, geht aber gerade leider nicht anders.“ sind in der Vergangenheit durchaus vorgekommen, und danach waren beide Seiten zumindest irgendwie halbwegs befriedigt. Was halt einfach nicht geht, ist, dass diese Menschen dann erziehend tätig werden, denn dies steht nach wie vor nur meinen Eltern oder Strafgerichten zu, aber sonst niemandem, zumindest sofern dieser mich nicht adoptiert.

Natürlich wissen sie nicht, dass ich in der Situation nicht viel Wahl habe, und die Situationen sind in den seltensten Fällen so gestaltet, dass ich es ihnen so erklären könnte, dass sie es auch wirklich verstehen. Natürlich ist es das naheliegende, davon auszugehen, dass mir die Höflichkeit in dieser Situation einfach nur egal ist. Die Realität sieht aber halt bei gar nicht so wenigen Menschen anders aus. Und ich glaube auch nicht, dass den Menschen hinterm Tresen damit geholfen wäre, dass ich zu überfordert wäre, um vernünftig zu bezahlen, wenn sie im Gegenzug das Gefühl hätten, meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wie soll ich wissen wie es klingt, bevor ich höre was ich sage?

Vor 2 Jahren schrieb ich darüber, wie ich Kommunikation interpretiere und darüber, wie Missverständnisse dabei auftreten. Bei dem, was ich dort zu Missverständnissen schrieb, beschränkte ich mich darauf, wie ich das interpretiere, was andere mir sagen und das zu viel Interpretation auch wieder Probleme verursachen kann. Dabei habe ich mich mit einem ganz wesentlichen Aspekt nicht beschäftigt, denn die Frage ist, wie funktioniert das eigentlich anders herum?

Genauso, wie jede Nachricht, die mein Gegenüber mir kommuniziert unterschiedliche Ebenen der Bedeutung haben kann, hat jede Nachricht die ich meinem Gegenüber kommuniziere ebenso unterschiedliche Bedeutungsebenen. Und das vollkommen unabhängig davon, ob ich das nun möchte, oder nicht.

Man kann nicht nicht kommunizieren!“

Die meisten Menschen erwarten diese unterschiedlichen Bedeutungsebenen in den Aussagen ihres Gegenübers, ohne es zu merken. Das ist auch gar nicht verwerflich, denn im Normalfall sind diese Bedeutungsebenen ja auch da, was das Gegenüber intuitiv weiß. Problematisch wird es dann, wenn das Gegenüber diese Ebenen nicht intuitiv erkennt.

Im Extremfall bedeutet dies, dass die Aussage in ihrer Bedeutung komplett umgekehrt wird. Auch wenn das Beispiel im Allgemeinen etwas überstrapaziert ist, ist den meisten Menschen klar, dass „Natürlich bin ich nicht sauer auf dich.“ mitunter auch das komplette Gegenteil bedeuten kann. Umgekehrt kann es dieses Problem genauso geben. Wenn man sagen will, dass man nicht sauer ist und diesen Satz verwendet, würden viele Menschen verstehen man sei sauer.

Die Frage ist, wie man damit nun umgehen kann?
Für den Alltag bedeutet das, dass ich nicht nur überlegen muss, welche weiteren Bedeutungen, über die wörtliche hinaus, die Aussage des anderen hat, sondern dass ich das was ich selbst sagen möchte, genauso daraufhin untersuchen muss, wie es auf mein Gegenüber wirkt. Würde ich das bei jedem Satz aufs neue machen, hätte jeder Satz, den ich äußere, eine Gesprächspause von 2 Minuten vorweg, was für einen flüssigen Gesprächsfluss unter Umständen ein Hemmnis sein könnte.

Das zu vermeiden gelingt meist nur mit Erfahrung.
Um das Beispiel erneut zu bemühen, weiß ich um den Subtext der Formulierung und meide sie daher. Das funktioniert auch in weniger offensichtlichen Fällen.

Die Voraussetzung dazu ist allerdings, dass ich darüber nachdenke, das es dort ein Problem gibt und das die Aussage anders verstanden wurde als ich sie gemeint habe. Wenn die Aussage so verstanden wurde, kann es dann halt unter Umständen so sein, dass es bereits zu spät ist und die Person mitunter schon nicht mehr mit mir redet. Wenn ich Glück im Unglück habe, hat sie mir vorher noch ins Gesicht gebrüllt, was ich ihr angetan habe und ich kann eventuell noch etwas retten, oder zumindest einfach verhindern, dass ich diesen Fehler noch einmal mache.

Das ist allerdings nicht unbedingt die Wunschkonstellation, denn es bedeutet, dass man eine Person, die man mag, verletzt, oder im Extrem sogar verloren hat. Wenn man Glück hat, kennt man die Person gut genug, um zu wissen, dass es nicht so gemeint war. Aber selbst dann ist es nicht einfach, denn egal, was man sich rein logisch überlegt, im ersten Moment wird man so gut wie immer trotzdem gekränkt sein.

Doch auch wenn es schwerfällt, ist es mitunter die Lösung, die auf lange Sicht am besten funktioniert, in solchen Situationen zu sagen, dass eine Aussage grade verletzend, beleidigend, unfair oder sonst irgendwie unpassend war. Dann hat der Andere die Chance zu erklären wie es gemeint war und sich gegebenenfalls zu entschuldigen. Der Lerneffekt daraus ist mitunter sogar noch besser als wenn man sauer auf die Person ist, denn so kann Sie noch nachfragen, was das Problem war, statt im Nachhinein interpretieren zu müssen.
Und langfristig dürfte dieser Weg für beide Seiten deutlich einfacher sein, wenn beide sich nicht mit Menschen streiten, den Sie eigentlich mögen, auch wenn es in der Situation selbst definitiv nicht einfach ist.

Outerspacegirl – Mein Autismus in 500 Worten

Auf meiner Liste stehen Duschgel und Zahnseide. Wenn ich die Dinge heute noch besorge, muss ich morgen nicht aus dem Haus. Einen oder mehrere Tage nicht aus dem Haus gehen zu müssen ist das oberste Ziel. Es ist unglaublich laut im Geschäft, das Stimmengewirr übertönt die Musik aus meinen Kopfhörern. Man rempelt, schubst, schiebt. Gegen mich, an mich. Ich will mich schütteln und schreien. Was wollte ich? Der Zettel. Mit der Liste. Das Regal verschwimmt vor meinen Augen. Wo ist das Produkt, das ich immer kaufe? Ich sehe, doch das Gehirn verarbeitet diese Informationen nicht mehr. Meine Hände verkrampfen sich, die Kiefer mahlen schmerzhaft. Atmen. Konzentrieren. Ich greife blind in die Produkte, renne zur Kasse, erzwinge ein Lächeln und stürme aus dem Geschäft.
Zu Hause merke ich, dass ich das Falsche nahm.

Ich bin Autistin. Mit Situationen wie dieser bin ich beinahe täglich konfrontiert. Manche sind leichter. Manche sind schlimmer. Ich wünsche mir eine Schutzblase als Lebensraum, abgeschottet und sicher. Meine Schutzblase ist im Moment aber nicht mehr als ein Stück nasse Pappe, das ich verzweifelt vor mich halte. Ja, ich komme nicht sonderlich gut zurecht, nehme das aber meist mit Humor und einer Menge Sarkasmus. Wenn es ganz brenzlig wird, steht mir eine Person zur Seite, die mich bei komplizierten und beängstigenden Aufgaben unterstützt, der Alltag und das Berufsleben wollen jedoch allein bezwungen werden. Mein Autismus ist keine Krankheit. Es ist eine neurologische Variation, die sich in etwa so äußert, als müsse man in Skikleidung schwimmen.
Aber ich habe nicht nur Defizite. Wenn mein Interesse geweckt ist und ich ausreichend Kraft habe, gehe ich völlig in einem Thema auf. Ich habe beispielsweise eine kleine Obsession für Worte. Ich liebe, wie sie aussehen, sich schreiben, wie sie sich anhören. Ich möchte sie alle verwenden, mit ihnen spielen und sie nutzen, um mich mitzuteilen, auch wenn Kommunikation kompliziert ist. In jeder Situation. Was auch der Grund ist, warum sich private Kontakte auf ein Minimum beschränken. Nicht, dass es mich belastet, ich habe nicht das Bedürfnis danach. Doch das Mysterium „Freundschaft“ würde ich schon gern verstehen und sogar umsetzen können.

Ja, im Großen und Ganzen bin ich glücklich. Ich habe so viel. Eine wundervolle Wohnung, in die ich mich zurückziehen kann, eine Arbeitsstelle, die mich zwar oft an meine Grenzen bringt und enorm stresst, in der ich aber nur in Teilzeit arbeiten muss, Familie und einen Partner, die hinter mir stehen und das Internet, das mich mit Leuten verbindet,  mit denen das Kommunizieren mehr ist als ein Spaziergang durch ein Minenfeld.

Mein Autismus war mir verhasst, als ich noch nichts von ihm wusste. Er hat mich stets ins Aus gestellt, mich anders sein lassen und mich zynisch und bitter gemacht. Seit ich ihn kenne und verstehe, mich verstehe, ist das Leben nicht unbedingt leichter, jedoch viel angenehmer. Zurückblickend stelle ich fest, dass ein großer Teil meines Lebens aus Unsicherheit und Scham besteht, unglaublich viele Erinnerungsklumpen, die ich fein säuberlich in geistige Regale geordnet habe. Nun habe ich eine Diagnose, was mir die Möglichkeit gibt, jeden dieser rot glühenden Brocken genau anzusehen und aufzulösen. Und sind die Regale dann leer, fülle ich sie mit Schönem.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Outerspacegirl ist Ende 20. Wenn sie nicht gerade überlebt, twittert und bloggt sie.

Autismus? Asperger? Was mache ich jetzt nur?

Bei einem Blick auf die Aufrufstatistiken meines Blogs fällt auf, dass in den letzten Monaten zunehmend mehr Leute hierher finden, weil sie aus den unterschiedlichsten Gründen mit dem Verdacht konfrontiert sind, dass sie doch möglicherweise Autist sein könnten und nicht wissen, was sie nun mit diesem Verdacht anstellen sollen. Um diese Menschen nicht vollkommen allein in der großen weiten Welt von Google-Ergebnissen zu lassen, versuche ich hier nun sowas wie eine Checkliste zu bauen, die ein bisschen Orientierung liefert, was nächste Schritte sein können. Wichtig dabei ist allerdings, dass die Liste nur eine Richtlinie sein kann und je nach persönlichen Begebenheiten nicht strikt befolgt werden kann und sollte.

1. Ruhe bewahren

Zunächst gilt: Ein Verdacht macht noch keinen Autismus, Sie brauchen also noch nicht anzufangen, schon mal Behindertenparkplätze zu benutzen. Das spannende an Autismus ist, dass es in seinen Symptomen viele Überschneidungen zu anderen Störungsbildern hat. Das heißt, nur weil Sie selbst oder andere da Übereinstimmungen zu Ihnen sehen, heißt das noch lange nicht, dass Sie Autist sind. Und selbst wenn sich herausstellt, dass Sie es sind, ist das auch immer noch kein Untergang, denn wenn Sie bisher klarkommen, muss sich das kaum ändern, und wenn Sie bisher nicht klarkommen, wissen Sie nun woran es liegt.

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Podcast!

Diejenigen unter euch, die mir in den diversen sozialen Netzwerken folgen, werden es vermutlich schon mitbekommen haben; für alle anderen gibt es nun eine kleine Werbeunterbrechung:

Zusätzlich zum Realitaetsfilter gibt es jetzt noch eine Podcast-Auskopplung, bei der sich trotz studienbedingter Startschwierigkeiten mittlerweile einige Folgen angesammelt haben.  Diese besteht aus mehreren Formaten. Zum einen eine Reihe, bei der Cris und ich uns mehr oder minder regelmäßig zu verschiedenen Themen aus dem Autismus-Spektrum austauschen, zum anderen interviewe ich verschiedene Personen, die mit Autismus zu tun haben.

Zu allen Folgen

Zu allen Folgen „Cris & Hawk

Zu allen Folgen „Hawk spricht mit …

P.S.:

Besonders ans Herz legen möchte ich euch die aktuell letzte Folge „rf007 – Hawk spricht mit Jörn de Haen„, bei der ich mich mit Jörn über Therapie, Forschung, Diagnostik und einige weitere Themen unterhalte. Wem der Name bekannt vorkommt: Jörn schrieb bereits vor einiger Zeit einen Gastartikel.

Man kann alles schaffen, wenn …

Der nachfolgende Text bezieht sich auf Autisten, er ist jedoch ohne weiteres auf weitere psychische Störungen oder Erkrankungen übertragbar.


Wenn man nur genug will, kann man alles schaffen. Wenn man sich nur genug Mühe gibt. Das ist in etwa die Meinung eines gefühlten Drittels aller Kindersendungen und scheinbar auch das Lernziel von einem Haufen Eltern, mit denen ich leider zu tun habe.

Dann schlage ich doch das nächste Mal vor, dass sie, wenn das nächste Mal ein Rollstuhlfahrer vor ihnen am Fahrstuhl steht, hingehen und ihn einfach mal ermutigen, dass er doch auch die Treppe nehmen kann. Oder zumindest die Rolltreppe, aber ein bisschen Entgegenkommen sollte man ja schon erwarten können. Man kann ja nicht die kompletten Erwartungen zurück schrauben.

Würden Sie nicht tun? Würde auch niemand anders tun mit der Intelligenz oberhalb eines Terrassenfarns? Dann stellt sich mir an dieser Stelle die Frage, WARUM ZUM HENKER ERLEBE ICH IM MOMENT MINDESTENS EINMAL DIE WOCHE, DASS IRGENDEIN FARNERSATZ MEINT, AUTISTEN ZU ERZÄHLEN, SIE KÖNNTEN JA AUCH GANZ NORMAL SEIN, WENN SIE SICH NUR NICHT SO ANSTELLTEN?

Dieses Motiv taucht in den unterschiedlichsten Varianten auf und ist auch nicht nur auf Autismus beschränkt. Es scheint einige viele Menschen zu geben, die offenbar nicht dazu in der Lage sind zu erfassen, dass nur, weil sie etwas nicht sehen können, es nicht zwangsläufig nicht da ist. Das mit dem Sauerstoff funktioniert ja auch seit einigen Jahrtausenden, ohne dass den irgendwer sieht. Auf diese Weise werden Nachteilsausgleiche verweigert, denn alle müssen sich ja anstrengen, oder Druck aufgebaut, sich auch endlich mal Mühe zu geben, damit man normal ist.

Der Druck, der damit aufgebaut wird, ist verheerend. Menschen wird damit eingeredet, dass sie ja im Grunde vollkommen normal sind, weil alle Körperteile ja an der richtigen Stelle sind und sie sich nur mal zusammenreißen können.

… Wenn man einem Menschen das lang genug erzählt, glaubt der das irgendwann.

… Wenn Menschen das nur genug glauben, setzen sie sich solange selbst unter Druck normal zu sein, dass sie den Druck, der ohnehin schon auf sie ausgeübt wird, nochmal multiplizieren. Das Ergebnis sind mitunter Menschen mit einem Selbstwertgefühl, das an Hass grenzt, Menschen, die mit dem konstanten Gefühl leben, versagt zu haben.

Aber vor allem sind es Menschen, die dadurch weit hinter dem zurückbleiben was sie können. Druck auf Menschen ausüben hilft ihnen nicht dabei, mit Sachen umgehen zu lernen. Menschen einzureden, sie seien ganz normal und nur faul, hilft ihnen nicht, ihre Bedürfnisse zu erkennen und sie zu berücksichtigen. Ich treffe immer mehr solcher Menschen, die zusätzlich zu ihren Problemen, die sie in den Griff hätten kriegen können, nun noch Depressionen dazu bekommen haben. Natürlich sollte man sich nicht auf der Diagnose ausruhen, aber Druck ausüben, um die gleiche Leistung zu erhalten, wie bei Nicht-Autisten, wird nicht helfen.

Einen Rollstuhlfahrer würden Sie vor der Treppe auch nicht anfeuern, sondern eher Fragen, ob Sie helfen können. Der einzige Unterschied ist, dass Sie die meisten Autisten erst lange reizen müssen, um es bei ihnen zu bemerken. Also seien Sie kein Farn.

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