Falschverstehen kann man lernen.
Doch langsam. Nonverbale Kommunikation ist eine ewige Baustelle. Es ist neben den Reizüberflutungen der Punkt, an dem einem (beziehungsweise mir zumindest) der Autismus immer wieder bewusst wird. Man kommt nicht drum herum. Eine Zahl, mit der man Menschen immer wieder erstaunen kann, sind die 80% der Kommunikation, die nicht verbal stattfinden. (Sagt zumindest Wikipedia, die Zahlen schwanken je nachdem wo man liest, auf jeden Fall ist es der weitaus größere Teil.) Es gibt ganze Wissenschaften, die sich mit der Kommunikation beschäftigen. Die meisten Schüler werden im Rahmen ihres Deutschunterrichts mit Modellen von Watzlawick und Schulz von Thun gequält. Auch ich hatte in den diversen Jahren meiner Schuldbildung gleich mehrfach das Vergnügen, mich damit zu beschäftigen und Klausuren beziehungsweise Klassenarbeiten darüber schreiben zu dürfen.
Als ich mich das erste mal mit diesen komischen Modellen auseinandersetzte, war ich sehr skeptisch. “Das ist doch Schwachsinn, niemand würde soviel Mist in eine Nachricht hineininterpretieren. Warum sollten die Leute so um den heißen Brei herumreden?” Ich glaub, es hat in der Klassenarbeit damals für eine knappe 3 gereicht.
Einige Jahre (und einiges an Erkenntnis, in Bezug auf Autismus) später stand das Thema dann wieder an. Es fielen mir ganze Fische von den Augen, als ich mir die ganzen Theorien anschaute. Ich war fasziniert von den Theorien. Natürlich hatte sich zu diesem Zeitpunkt auch schon zu mir rumgesprochen, dass Menschen selten das sagen, was sie auch meinen, aber ich hatte das erste mal konkrete Anhaltspunkte, wie das wohl aussehen könnte. Ich schaute mir das ganze mal genauer an. Gerade die 4 Seiten einer Nachricht, einige könnten das Modell auch mit 4 Ohren kennen, faszinierten mich. Ich beschäftigte mich damit. Das ganze mündete in die sehr seltene Erfahrung, dass einem in der Schule gelerntes auch außerhalb der Schule etwas bringt. Ich begann im Alltag darüber nachzudenken, wie derjenige das gemeint haben könnte. Nicht immer aber immer wieder mal, mit wachsender Faszination. Ich dachte darüber nach, was es für Arten gibt, wie der Satz gemeint ist und schätzte dann aus dem Kontext heraus, welche wohl die wahrscheinlichste ist. Ich kam überraschend weit und wurde zunehmend besser. Ich kam schneller dahinter und machte es zunehmend öfter, bis ich irgendwann gar nicht mehr so viel drüber nachdachte.
Doch bevor ich zu sehr Abschweife (der ein oder andere mag an dieser Stelle vielleicht “zu spät” denken), zurück zum Anfang. In meinem Kopf läuft also in Kommunikationssituationen oft im Hintergrund die Überlegung mit den verschiedenen Möglichkeiten, wie das gesagte wohl gemeint sein könnte. Das bedeutet, ich habe auch öfter mal Möglichkeiten, von denen ich recht sicher weiß, dass mein gegenüber sie mit Sicherheit nicht so gemeint hat. Gelegentlich, wenn ich gut gelaunt bin, tue ich so als habe ich die Variante verstanden, die mich angreift und reagiere darauf gespielt empört. Es gibt Menschen, da kann ich während ich das tue noch so überzogen grinsen, sie nehmen mich ernst.
Irgendwann habe ich es aufgegeben, diese Form der Witze bei diesen Menschen zu machen, aber bis dahin hatte ich bei ihnen den Ruf weg, leicht eingeschnappt zu sein. Was ich nicht aufgegeben habe ist, dass es mir Spaß macht, mit der Mehrdeutigkeit von Kommunikation in manchen Situation zu spielen.
Trotz allem gibt es noch Situationen, in denen ich Dinge furchtbar wörtlich nehme, meist wenn ich nicht mehr die Kapazitäten habe, viel darüber nachzudenken.
Autismus ist und bleibt trotz allen Wegen damit umzugehen immer präsent und ein Teil von mir.
Ich bin da nur am Scheitern. Dieses „So-Tun-Als-Ob“ stresst einfach bloß. Dann werde ich ernstgenommen, naja, aber ich komme damit nicht zurecht, dass ich lügen soll, damit man mir glaubt, weil man meine Aussagen ohnehin nur rumdreht oder gleich als das Gegenteil auslegt. „Nein, danke“ wird als „Ja, mach mal“ gewertet; ich soll wissen, was jemand meint, wenn er inhaltlich einfach was völlig(!) anderes von sich gibt, usw … Wird auch gern mal begleitet von Statements wie: „Aber sowas weiß man doch.“ Aha, na, woher bitte? Das ist eine Dauerbaustelle. Ich kapier das nicht. Sollen Deutsch lernen, denke ich mir oft. Uaaah.
Jap, das Vier-Ohren-Modell. Aber bevor ich was auf die Art „falsch“ verstehen kann, muss man doch erst mal überhaupt sagen, was man meint! Wenn jemand was völlig anderes verzapft als er eiiigentlich meint(wie sich hinterher bei einer gütig nachgelegten Erklärung oft herausstellt), was soll ich dann falsch verstehen? Um die Chance haben, was falsch aufzufassen, müsste man mir schon mal sagen, was man tatsächlich sagen „wollte“. Wenn jemand sowieso nicht sagt, was er meint, dann kann ich das auch nicht „richtig“ verstehen. Ich wüsste nicht wie. -.-
Ich bin davon nicht fasziniert, ich bau nur noch ab.
Danke für´s Lesen.
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