Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

– Friedrich Nietzsche

Über Autismustherapien kann man im Grunde nur Falsches schreiben. Es gibt unglaublich viele verschiedene, die sehr unterschiedlich fundiert sind und auf jede Therapie, die hilft, kommen mindestens zwei, die mehr schaden als dass sie irgendwem nutzen. Dazu kommt, dass je nach Mensch und seinen individuellen Problemen auch ganz unterschiedliche Therapieansätze greifen können. Nicht immer muss Autismus auch mit Therapiebedarf einhergehen. In welche Richtung das dann gehen kann, habe ich in einem Blogpost zum Thema Therapie schon dargelegt.

Unabhängig von der Frage, wie man seine Probleme therapiert, stellt sich aber auch die Frage, was überhaupt therapiert werden soll. In dem zuvor verlinkten Blogpost zu Therapien schrieb ich auch über die Therapieformen, bei denen mittels Werkzeugen der Konditionierung Blickkontakt, Händeschütteln oder ähnliches antrainiert werden soll. Tatsächlich ist Blickkontakt bei vielen Angeboten, die es so gibt, eines der Hauptziele, an denen es zu arbeiten gilt. Dort werden Regeln aufgestellt, in welchen Situationen man wie lange und auf welche Weise in die Augen des Gegenübers schauen muss. Auf den ersten Blick ist das verständlich. Bei halbwegs kommunikativen Autisten ist der fehlende Blickkontakt eines der auffälligsten Merkmale. Wenn dieser erlernt wurde, fühlen sich die Menschen in der Umgebung wohler und der Autist fällt weniger auf.

Bevor man sich mit der Frage beschäftigt, wie man Autisten am besten darauf trainiert, Blickkontakt aufzunehmen und zu halten, sollte man sich eine ganze andere Frage stellen:
Warum schauen Autisten ihrem Gegenüber eigentlich nicht in die Augen?

Ich kann an dieser Stelle natürlich nicht für andere Autisten sprechen, aber mich überfordert der Blick in die Augen meines Gesprächspartners sehr schnell. Die Augenpartie ist eine Körperregion, die im Kontext von Gesprächen Unmengen an Informationen vermittelt, welche aber für mein Empfinden vergleichsweise schwer und nur mit viel Konzentration zu interpretieren sind. Dazu kommt, dass ich die Informationen ja nicht nur wahrnehmen, auf die wesentlichen Dinge filtern und den Rest ignorieren müsste, sondern auch noch eine angemessene Reaktion von mir auf diese Erkenntnisse finden muss. Zusätzlich dazu müsste ich dann noch Konzentration für die inhaltliche Ebene des Gesprächs aufwenden, denn was nutzt es zu wissen, wie mein gegenüber Dinge sagt, wenn ich keine Ahnung habe, was es eigentlich grade sagt. Unabhängig vom Blickkontakt ist Kommunikation für mich kein Gesamtkonzept, sondern ich nehme Subtexte, Sachinhalte, sowie Gestik und Mimik als einzelne Dinge wahr, deren Interpretation ich jedes mal zu einem (im Idealfall) stimmigen Gesamtbild zusammenfüge.

Ich wäre also sehr wohl in der Lage, einer anderen Person in die Augen zu schauen. Allerdings würde mir die Konzentration für den Rest des Gespräches fehlen, so dass meine Beteiligung langfristig auf das Niveau eines geschmolzenen Gummibärchens sinken würde, weil ich kaum in der Lage wäre, das alles in Echtzeit zu tun.

Eine wesentliche Frage, ist die nach dem Nutzen des Blickkontakts. Mir wurde nie antrainiert, jemandem in die Augen zu schauen. Sehr wohl erlangte ich irgendwann die Erkenntnis, dass man Menschen zumindest ins Gesicht schauen sollte, wenn man ein Gespräch mit ihnen führt, um Aufmerksamkeit auszudrücken. Das geht aber auch sehr gut, ohne einander dabei in die Augen zu schauen. In Situationen, in denen es wirklich auf einen guten Eindruck ankommt, blicke ich dabei auf den Nasenrücken, der ist nah genug an den Augen, so dass niemand den Unterschied bemerkt, mir bleibt aber die Informationsdichte der Augen erspart.
Im Alltag schaue ich zwar ins Gesicht meines Gegenübers, konzentriere mich dabei aber auf den Mund. An der Mundpartie lassen sich ebenfalls viele nonverbale Bestandteile eines Gesprächs festmachen, es sind zwar wesentlich weniger als an den Augen, aber es reicht immer noch aus, um Humor oder Sarkasmus ausreichend zu erkennen. Manchmal fällt das den Menschen auf, insbesondere den Hobbypsychologen, die an fehlendem Augenkontakt Unehrlichkeit festmachen wollen. Aber das negative Feedback, das ich so pro Jahr erhalte, ist vernachlässigbar gering. Insbesondere dann, wenn die Alternative wäre, bereits nach einem halben Tag komplett überfordert zu sein.
Da ich nicht der einzige Autist bin, den Augenkontakt überfordert, drängt sich der Verdacht auf, dass Autisten aus gutem Grund auf Augenkontakt verzichten.

Die wesentliche Frage ist:
Wenn man Autisten Blickkontakt antrainiert, nutzt es dem Autisten irgendetwas, oder nimmt es ihm nicht ein Hilfsmittel, sich in Gesprächen trotz Reizfilterschwäche auf das Wesentliche zu konzentrieren und wäre ihnen nicht viel mehr damit geholfen, Werkzeuge zu erarbeiten, dass unauffälliger zu machen?

 

Ein Tag in meinem Leben

Der Text, der unter dieser Einleitung steht ist für ein Projekt des Blogs dasfotobus entstanden, bei dem möglichst viele Autisten einen normalen Tag in ihrem Leben beschreiben sollen. Die Posts die bereits veröffentlicht wurden könnten unterschiedlicher nicht sein. Wer mitmachen möchte findet alle Informationen die er dazu braucht hier.

Der Text im Orginal auf dasfotobus.


Nach reiflicher Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass die Uhr es ernst meint und es tatsächlich erst fünf Uhr morgens ist. Erfahrungsgemäß ist das nicht die beste Zeit, um wieder einschlafen zu können. Ich verlasse also das Bett, um aus meinem Schaukelstuhl heraus die Liste der Mails abzuarbeiten, die sich in der letzten Woche im Postfach des Blogs angesammelt hat, und dabei eine Menge Kaffee zu konsumieren. Währenddessen werden vor meinem Fenster die Asche und die Gäste der gestrigen Grillparty zusammengefegt. Die nächsten anderthalb Stunden sind geprägt von Empfehlungen für Diagnostiker und dem Ausräumen von Missverständnissen zu meinen Texten.

Gemeinsam mit meinem MP3-Player und meiner Sonnenbrille bin ich auf dem Weg in die 9-Uhr-Vorlesung. Leute, bei denen ich schwöre, sie noch nie zuvor gesehen zu haben, grüßen mich. Ich grüße zurück. Als mir die ersten bekannten Gesichter begegnen, nehme ich die Kopfhörer heraus und ersetze meinen Standard-Gesichtsausdruck durch so etwas Ähnliches wie ein Lächeln, um mir die Frage zu ersparen, warum ich so mies drauf bin.

Zusammen mit einigen Kommilitonen bin ich auf dem Weg, den überfüllten Seminarraum gegen die überfüllte Mensa einzutauschen. Während irgendein Kommilitone von seinem Partywochenende erzählt, verarbeite ich noch die Aussicht auf eine gerade angekündigte mündliche Prüfung, die aber “nur ganz kurz und ganz entspannt sein wird”. Nachdem ich noch eine halbe Stunde unter einer brummenden Lampe in der Mensa verbrachte, komme ich zu dem Entschluss, vor der nächsten Vorlesung besser noch eine Weile den Kopf auf einer Tischplatte abzulegen. Dazu Beethoven und es bestehen realistische Chancen, dass ich nach der nächsten Vorlesung mehr als meinen eigenen Namen weiß. Die Frage, wie egal es mir sein sollte, wie das auf meine Kommilitonen wirkt, habe ich bis heute nicht abschließend für mich geklärt.

Nach zwei weiteren Stunden Vorlesungsnachbereitung und dem Nachlesen meiner Twittertimeline, lasse ich den Abend gegen Mitternacht mit ein paar Folgen M*A*S*H ausklingen. Dass ich die Folgen mitsprechen kann, spricht eher für als gegen die Serie. Während die Vorspannmusik in meinem Zimmer anklingt, wird der Grill vor meinem Fenster wieder aufgebaut.

Hawkeye ist Blogger und Podcaster, der seit einigen Jahren (meistens) rund um Autismus bloggt und podcastet. Was sonst noch in seinem Leben stattfindet, kann man auch auf Twitter lesen.

Wovor ich Angst habe

Wenn man sich mit Autismus und den Medien beschäftigt, kann es mitunter passieren, dass man ganz furchtbaren Bluthochdruck bekommt. Viele Autisten werden nicht müde gegen all diese Fehldarstellungen, misskonstruierten Zusammenhänge und sachlichen Fehler anzuschreiben. Da werden Blogbeiträge geschrieben, Redaktionen angemailt und auch sonst auf den erdenklichsten Wegen versucht, gegen die Windmühlen der Redaktionen anzukämpfen.

Oft wird man dafür nur belächelt. Immer öfter muss man sich dafür rechtfertigen, warum man sich denn die ganze Mühe macht. Sollen die doch alle ihren Mist schreiben. Tut ja niemanden weh. Aktuell hat der Fokus wieder einmal einen Artikel geschrieben, der ja niemandem weh tut. Exakt zu begründen warum man sich darüber aufregt ist schwierig. Sicherlich geht es zum Teil auch einfach um das Prinzip, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn es mag stimmen, dass so ein einzelner Artikel niemandem groß weh tut.

Aber dummerweise ist es nie nur ein einziger Artikel. Es sind viele Artikel, immer wieder. Die immer wieder das gleiche falsche Bild von Autismus vermitteln. Das Bild von geistig behinderten gefährlichen Kriminellen und Amokläufern. Der Schaden jedes einzelnen dieser Artikel mag minimal sein, aber der Schaden den all diese Artikel gemeinsam anrichten ist immens. Durch diese konstante falsche Berichterstellung werden eben die Bilder in die Köpfe transplantiert. Je mehr Artikel, desto mehr festigen sich diese Bilder. Getreu dem Sprichwort des steten Tropfens, der den Stein höhlt.

Genau davor habe ich Angst. Denn das ist schon lange keine Hypothese mehr, sondern bereits jetzt Realität. Jeder der das sehen will, braucht dafür nur die Kommentare unter dem aktuellen Artikel des Focus zu lesen. @pollys_pocket war so nett die besten zusammenzutragen, einfach auf das gewünschte Bild klicken um es zu vergrößern:1

Wer sich die Kommentare nicht anschauen möchte, in der Kurzfassung ist, dass man geistig Behinderten halt keine Verschlusssachen anvertrauen sollte. Gepaart mit etwas Kritik daran dass Autismus ja ohnehin nur so eine Modediagnose ist, die dazu dient das Eltern Boni für ihre Kinder rausschlagen wollen. Dazu wird Autismus fröhlich mit krankhaftem Größenwahn, Selbstüberschätzung und einer Kontrollmanie gleichgesetzt, die letzten Endes zum Untergang der westlichen Welt führen wird.

All das verdeutlicht mir nur eines, der Schaden den diese Artikel anrichten ist kein Hirngespinst, oder eine bloße Angst vor denen die paar Autisten, die sich bloß aufregen wollen Paranoia haben. Das Bild dass all diese „falschen, aber im Grunde harmlosen“ Artikel von Autismus malen ist bereits in den Köpfen der Menschen angekommen. Menschen von denen ich befürchten muss, dass ich in meinem Alltag auf sie stoße, die mich allein aufgrund meiner Diagnose für eine Bedrohung und geistig behindert halten. Diese Vorstellung macht mir eine verdammte Angst. Aber das sollten mir die Klickzahlen der Online-Redaktionen dann doch wert sein.

 

Einen Beleg für die Behauptung der Spion sei Asperger-Autist hat der Focus übrigens in dem Artikel nicht angeführt.

Studie: Lokalisationsgenauigkeit bei Personen mit einer Autismus-Spektrum-Störung

Ein guter Bekannter von mir schreibt grade an einer Psychologie-Bachelorarbeit an der Ruhr-Uni Bochum. Aktuell sucht er für diese Studie Autisten, die in Bochum oder der näheren Umgebung leben und bereit sind an dieser Studie teilzunehmen. Dabei wird es im groben darum gehen, ob es Unterschiede darin gibt wie gut Autisten im Vergleich zu Nicht-Autisten Umgebungsgeräusche lokalisieren können.

Ablauf:

Die Studie wird insgesamt ca. zwei Stunden Zeit in Anspruch nehmen. Innerhalb dieser zwei Stunden können, sofern gewünscht, beziehungsweise benötigt, mehrere Pausen gemacht werden. Stattfinden wird das ganze in einem schalltotem Raum. Das ist ein Raum der speziell so ausgekleidet ist, dass er kein hörbares Echo hat. (Leider wollen sie mich dort keine Podcasts aufnehmen lassen.)

Der Ablauf der Studie hat zwei Teile in denen über im Raum verteilte Lautsprecher jeweils unterschiedliche Geräusche wiedergegeben werden, die dann vom Teilnehmer geortet werden müssen. Jeder dieser beiden Teile dauert ungefähr eine halbe Stunde.

Natürlich wird das ganze Prozedere vor der Durchführung noch einmal gründlich erklärt und die Auswertung der Ergebnisse erfolgt anonym.
Der Aufwand der durch die Studie entsteht wird mit 20€ entschädigt. Falls ihr Interesse habt, der Ansprechpartner für die Studie ist:

Björn Ruschinzik, cand. B.Sc. Psychologie
E-Mail: bjoern.ruschinzik@rub.de

Den Aushang zur Studie könnt ihr hier nachlesen.

Interview: Wir können reden!

Mein Verhältnis zu Medien im Allgemeinen ist ein recht spezielles. Medienkontakte auf Augenhöhe sind selten und Journalisten, unabhängig ihrer Mediengattung, die bereit sind Vorurteile abzubauen, noch seltener. In der letzten Woche hatte ich das Glück, im Rahmen eines Berichts über den Schattenspringer von Fuchskind, mit einem dieser seltenen Journalisten ein Interview zu führen. Ich sprach mit Florian Christner vom Bayernkurier darüber, was es eigentlich mit diesem ominösen Autismus auf sich hat und was an diesen ganzen Vorurteilen dran ist. Das Interview ist am 7. Juni 2014 im Bayernkurier erschienen, aber für alle die den Bayernkurier nicht abonniert haben, darf ich das Interview hier in voller Länge veröffentlichen.
Die (leicht gekürzte) Online-Version des Interviews ist vier Wochen lang auf der Seite des Bayernkuriers zu finden.

Das Interview lesen

“Autismus und auch Asperger”

Dieses Blog hat die Neigung, dass ich darüber mit Menschen in Kontakt komme, Menschen die Fragen haben, Menschen die das Bedürfnis haben, mir Dinge zu erzählen. Auf jeden Fall hat dieser Umstand den Nebeneffekt, dass ich immer wieder Einblicke in das Bild bekomme, das andere Menschen von Autismus haben. Zusätzlich zu meinen eigenen Einblicken, die kommen, da ich mich aus eigener Motivation noch ein bisschen damit beschäftige. Ein Problem, das zunehmend viele Menschen haben, ist es, dass Konzept des autistischen Spektrums zu verstehen. Insbesondere die Formulierung, die auch der Titel dieses Textes wurde, hat es in den letzten Monaten schneller auf Platz 1 der Rangliste geschafft als Modern Talking Ende der 90er.

In diesem Satz schwingt mit, dass Autismus und Asperger zwei grundlegend verschiedene Dinge sind. Häufig kommt in diesem Kontext auch noch eine Einteilung in leichten und schweren Autismus. Seitdem sich der Begriff der “Autismus-Spektrum-Störung” etabliert, erlebe ich zunehmend Menschen, die das für eine weitere Form von Autismus halten. Meistens ist die dann noch leichter als Asperger, also im Grunde nur Erziehungsfehler*. Aber zum Konzept eines “leichten Autismus” habe ich ja schon ein anderes Mal geschrieben.

Dabei ist es gar nicht so unverständlich, dass man da schon mal verwirrt wird. Ein halbwegs modernes Bild von Autismus schafft es erst seit einigen Jahren in die Hörsäle der Universitäten und was man im Internet dazu findet, ist bestenfalls als durchwachsen zu bezeichnen. Fangen wir also zunächst mal mit dem Begriff des Autismus an. Je nachdem mit wem man redet, wird dieser wahlweise synonym für frühkindlichen Autismus/Kanner-Autismus, oder aber als Sammelbegriff für alle Arten von Autismus verwendet. Im Kontext dieses Blogs verwende ich ihn im Sinne eines Sammelbegriffs. Für diesen Sammelbegriff gibt es noch einige weitere Begriffe, die synonym verwendet werden. Der ICD-10 nennt es tiefgreifende Entwicklungsstörungen. Sehr populär ist in diesem Kontext auch der Begriff eines autistischen Spektrums, oder, seitdem dieser Begriff es voraussichtlich in die diagnostischen Handbücher schaffen wird, Autismus-Spektrum-Störung. Wie auch immer man es nun benennt, es ist keine eigenständige Diagnose, sondern lediglich ein Sammelbegriff, unter dem sich die verschiedenen Arten von Autismus zusammenfassen lassen.

Betrachtet man nun das autistische Spektrum, dann finden sich darin eine Reihe von Diagnosen. Die bekanntesten von ihnen sind Frühkindlicher-/Kanner-Autismus, atypischer Autismus und das Asperger-Syndrom. Auch hier gilt, dass diese Diagnosen nicht danach unterschieden werden, wie “schwer” jemand von Autismus betroffen ist. Fest steht, alle diese drei Diagnosen sind Formen von Autismus und wer mit einer davon diagnostiziert wurde, kann sich Autist nennen, sofern man es denn möchte. Denn auch wenn die meisten Leute bei Autismus an die auffälligen Formen denken, sind die vermeintlich unauffälligeren Formen nicht weniger Autismus.

Problematisch ist es, nach diesen Vorstellungen von schwerem und leichtem Autismus innerhalb dieses Spektrums zu unterteilen, denn das geben diese Kriterien nicht her und dafür sind sie nicht gemacht. Da Menschen einen Hang dazu haben in ihrer Psyche recht individuell ausgeprägt zu sein, sagt die Art der Diagnose innerhalb des Spektrums Autismus nichts darüber aus, wie sie im Alltag wirken und was für Probleme sie im Alltag haben.
Der Begriff des autistischen Spektrums stammt vom Begriff des Farbspektrums ab. Bei dem kann man auch nur relativ willkürliche Grenzen setzen, an welcher exakten Stelle nun grün aufhört und blau beginnt. Dann ist die eine Farbe per Definition blau und die andere Farbe genau daneben, bei der vermutlich niemand so wirklich einen genauen Unterschied erkennen könnte, ist grün.

Genau aus diesem Grund macht es gar nicht so viel Sinn, sich an einzelnen Begriffen festzuhalten und Autisten anhand ihrer Diagnose innerhalb des autistischen Spektrums Eigenschaften zuzuschreiben oder gar allgemein den “richtigen” Autismus abzusprechen. Jede Bezeichnung ist nur eine Kategorisierung, die nur wenig darüber aussagt, welche Eigenschaften der Mensch dahinter nun tatsächlich hat.

 

* Siehe dazu

Mützä – Mein Autismus in 500 Worten

Ich hechte gerade vollkommen überfordert durch eine Einkaufsstraße in Hamburg. Werde dabei fast von einem Bus überfahren. Habe ihn schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen. Wie so viele Sachen in solchen Momenten.
Ich bekomme dann nicht mehr richtig mit, wenn mich jemand anspricht, wenn Ampeln rot/grün sind, wenn ich mich verlaufe, wenn ich im falschen Zug sitze, wenn ich in einer Schlange stehe und es weiter geht, etc. …

Für meine Eltern ist so etwas total unverständlich. Vollkommen irrelevant, wie oft ich es versuche zu erklären. Aber sie nehmen es zumindest hin. Das ist für mich schon sehr viel, denn früher hieß es immer nur „Stell dich nicht so an!“. Ich nehme ihnen das nicht übel, denn ich habe es nicht mal selbst verstanden. Ich habe mich nicht verstanden, lediglich in mir ein Problem gesehen.

Das ist auch so ziemlich mein größtes Problem, das mit meinem Autismus zusammenhängt. Klar, Overloads, Kommunikationsprobleme, …, alles nicht einfach. Auch für mich nicht. Aber für mich ist eher die Schwierigkeit, dass ich aufgrund solcher Probleme immer als Problem wahrgenommen wurde und man mir Dinge einredete. Wie z.B. dass ich die Familie zerstöre oder dass ich zu viel Zeit und Geld koste. Teils auch heute noch, aber zum Glück nicht mehr von meinen Eltern.
Ich habe immer noch ziemlich große Selbstbewusstseinsprobleme deswegen. Ich rede mir immer noch selbst ein, dass ich ein Fehler bin und alles nur verbocke. Obwohl ich mittlerweile weiß, dass es nicht so ist.

Ich will nicht den Autismus verfluchen, der hat ja auch den ein oder anderen Vorteil. Ich wünschte bloß, dass mir meine Probleme etwas früher bewusst geworden wären         und ich dementsprechend früher etwas hätte ändern können.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Mützä ist Asperger-Autistin, wenn Sie nicht grade zur Schule geht, strickt und häkelt Sie und twittert darüber hinaus auch noch.

Fuchskind – Mein Autismus in 500 Worten

Es ist keine Marmelade mehr da. Also unsere Marmelade, es gibt nämlich nur eine Sorte, die mein Mitbewohner und ich gerne essen. Morgens gibt es für mich eine Scheibe Brot mit Erdnussbutter und besagtem Fruchtaufstrich, damit der gut Tag anfangen kann, besonders wenn ich aus dem Haus gehen muss. Mein kleines süß/salziges Rettungsboot, das mich durch die reizende Welt da draußen schippert.
Dazu gibt es schwarzen Kaffee aus einer gelben Tasse, das erinnert mich an eine Sonnenblume und die mag ich im Gegensatz zur richtigen Sonne richtig gerne. Wenn die gelbe Tasse gerade im Geschirrspüler ist, darf es auch eine andere Tasse sein. Dann muss aber ein Schuss Sojamilch in den Kaffee.

Ohne Frühstück funktioniert mein Tag nicht. Als würde ich versuchen, aus der Haustür zu gehen, ohne vorher das Bett zu verlassen. Es fehlt das Ritual, das mich in die laute Umgebung entlässt, das mir Sicherheit gibt. Es gibt viele Rituale, die meinen Alltag erleichtern, aber das Frühstück ist mit Abstand das Wichtigste.

Aber zurück zur Marmelade. Mein Mitbewohner mag sie gerne, aber manchmal isst er auch Cornflakes oder einen anderen Aufstrich. Sie ist für ihn nicht ganz so wichtig wie für mich. Normalerweise achten wir immer drauf, dass die wichtigsten Utensilien für unseren Alltag immer vorrätig sind, diesmal hat es aber irgendwie nicht geklappt. Da haben wir den Salat. Und auf den habe ich gerade gar keine Lust, nicht mal auf Obstsalat. Leider gibt es nur ein paar Läden, in denen es unsere Marmelade zu kaufen gibt und die sind nicht um die Ecke. Aber wie soll ich ohne Frühstück hinausgehen, in den entfernten und lauten Supermarkt? Und wenn die Marmelade diesmal gar nicht da ist? Oder zu hoch im Regal, so dass ich nicht herankomme, ich müsste jemanden um Hilfe bitten… Oder wenn…

Mein Mitbewohner schnappt sich seinen Rucksack und geht aus der Tür. Nach einer halben Stunde kommt er lächelnd mit 16 Gläsern unserer Marmelade wieder. Er hätte noch mehr mitgebracht, aber mehr passten einfach nicht in seinen Rucksack, sagt er. Ich setze Kaffee auf und wir frühstücken, während ich schon überlege, wo ich die ganzen Gläser verstaue. Für unser Marmeladenfach im Schrank sind es zu viele, aber ich bekomme das schon hin.

Mein Mitbewohner ist Autist, so wie ich. Er ist auch mein bester Freund. Wir verstehen uns und kennen unsere Macken, Stärken und Schwächen. Ich habe es noch nie so lange mit einem Menschen ausgehalten, schon gar nicht in einer WG. Freundschaften waren für mich immer schwierig, ständig hatte ich das Gefühl nicht zu genügen, egal wie sehr ich mich bemühte. Gleichzeitig war ich aber von der ständigen Präsenz, den Wünschen und Erwartungen der anderen Menschen schnell völlig überfordert. Mit ihnen konnte ich nicht leben, ohne sie fühlte ich mich auf Dauer aber auch zu einsam. Dazu bin ich noch ständig auf Hilfe von Außen angewiesen, um meinen Alltag meistern zu können. Wer hält das schon auf Dauer aus?

Manchmal wird mir bewusst, wie viel Glück ich mit meinem besten Freund habe. Ich glaube, heute Abend schauen wir mal wieder Loriot.

Loriot Comic von Fuchskind


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

„Fuchskind ist eine 31 Jahre alte Asperger Autistin und zeichnet Comics, die sie unter anderem auf ihrer Website veröffentlicht: www.fuchskind.de.
„Schattenspringer“, ihre autobiographische Graphic Novel über das Asperger Syndrom, ist ab 18.03. als Print- und Ebook-Version erhältlich.“