Mein Verhältnis zu Medien im Allgemeinen ist ein recht spezielles. Medienkontakte auf Augenhöhe sind selten und Journalisten, unabhängig ihrer Mediengattung, die bereit sind Vorurteile abzubauen, noch seltener. In der letzten Woche hatte ich das Glück, im Rahmen eines Berichts über den Schattenspringer von Fuchskind, mit einem dieser seltenen Journalisten ein Interview zu führen. Ich sprach mit Florian Christner vom Bayernkurier darüber, was es eigentlich mit diesem ominösen Autismus auf sich hat und was an diesen ganzen Vorurteilen dran ist. Das Interview ist am 7. Juni 2014 im Bayernkurier erschienen, aber für alle die den Bayernkurier nicht abonniert haben, darf ich das Interview hier in voller Länge veröffentlichen.
Die (leicht gekürzte) Online-Version des Interviews ist vier Wochen lang auf der Seite des Bayernkuriers zu finden.
Viele Menschen haben beim Thema Autismus ein bestimmtes Bild von in sich gekehrten Menschen vor Augen, die hochbegabt sind, aber nicht fähig, sich mitzuteilen. Trifft dieses Bild überhaupt zu?
Dieses Bild trifft teilweise zu. Es gibt Autisten, die hochbegabt sind, genauso wie es Autisten gibt, die nicht in der Lage sind, sich mitzuteilen. Das ist aber bei Autismus keineswegs der Normalfall. Autismus gibt es in sehr vielen Abstufungen, das bedeutet es gibt auch sehr viele Autisten, die normal intelligent und sehr wohl in der Lage sind, sich mitzuteilen. Genauso, wie es Hochbegabte gibt, die keine Autisten sind.
Sie schreiben im Vorwort zu dem Comic von Daniela Schreiter, dass es Autismus in vielen unterschiedlichen Formen und Abstufungen gibt. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten, die alle Autisten betreffen. Können Sie diese kurz beschreiben?
Es gibt viele Eigenschaften, die mit Autismus in Verbindung gebracht werden, aber nicht jeder Autist hat jede dieser Eigenschaften und vor allem nicht gleich stark ausgeprägt. Es gibt grob gesagt zwei Oberbereiche von Problemen, die sich bei Autisten finden lassen. Das ist eine ist eine abweichende Reizwahrnehmung, bei der das Gehirn Probleme hat unwichtige Reize von wichtigen zu trennen. Das tut das Gehirn bei den meisten Menschen, ohne dass sie es bemerken. Ein Autist nimmt die Reize meist ungefiltert wahr und muss bewusst das wesentliche rausfiltern um sich darauf zu konzentrieren. Da das wesentlich anstrengender ist, sind Autisten schneller überfordert.
Der andere Bereich ist die soziale Interaktion. Viel der Kommunikation zwischen Menschen läuft auf einer nonverbalen Ebene ab. So kann zum Beispiel die Betonung eines Satzes bewirken, dass genau das Gegenteil von dem gemeint ist, was eigentlich gesagt wurde. Autisten haben oft Probleme, diese nonverbalen Signale zu erkennen und nehmen deshalb oftmals Dinge wörtlich, weil sie die Ironie nicht bemerken. Genau so haben sie meist Probleme, Gefühle bei anderen Menschen zu erkennen, weil diese in der Regel ebenso nonverbal kommuniziert werden.
Was unterscheidet Asperger-Autismus von anderen Formen des Autismus?
Für viele Menschen gilt Asperger-Autismus als leichte Form von Autismus – das ist aber nicht so. Hält man sich an die Definition des Asperger-Syndroms, dann unterscheidet es sich von anderen Formen wie frühkindlichem Autismus nur dadurch, dass die Sprachentwicklung im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus zum normalen Zeitpunkt einsetzt.
Asperger-Autisten haben oft das Gefühl, auf dem falschen Planeten gelandet zu sein, schreibt Daniela Schreiter in ihrem Comic. Geht es Ihnen auch so? Warum ist das so?
Viele Autisten beschreiben dieses Gefühl. Mir selbst geht es selten so, aber ich kann gut nachvollziehen, warum es vielen so geht. Im Schattenspringer-Comic beschreibt Daniela Schreiter das gleich auf den ersten Seiten. Dadurch, dass Autisten durch die nonverbalen Signale ganz viel Kommunikation entgeht und viel menschliches Verhalten durch ungeschriebene Regeln definiert ist, die Autisten, im Gegensatz zu anderen, nicht automatisch und auch nicht vollständig erlernen, wirkt es oft als würden alle anderen Menschen in einer anderen Sprache sprechen und sich vollkommen unlogisch verhalten. Eben von einem anderen Stern kommen. Vermutlich würde das Nicht-Autisten, die in eine große Gruppe Autisten stoßen, ähnlich gehen.
Welche Hürden haben Sie in Ihrem täglichen Leben zu meistern?
Die Hürden, die ein Autist zu meistern hat, sind, je nachdem wo seine konkreten Probleme liegen, unterschiedlich. Bei mir ist es aktuell so, dass ich in meinem normalen Unialltag die Probleme mit der Kommunikation ganz gut im Griff habe. Das klappt, weil ich die Menschen mit denen ich zu tun habe gut kenne und die Situationen bekannt sind. Das bedeutet aber, dass ich bei jedem Satz darüber nachdenken muss, ob die Aussage auch tatsächlich wörtlich gemeint war, oder ob es nun ein Scherz oder Ironie war. Genau so muss ich bei allem was ich sage darauf achten, ob es eine andere Bedeutung hat, als die wortwörtliche. Je mehr Druck und Stress ich habe, desto schlechter gelingt mir das allerdings.
Durch die Konzentration auf die Interaktion bin ich anfälliger dafür, dass mich die Umgebungsreize meiner Umwelt überfordern, weil ich es nicht mehr schaffe alle anderen Dinge auszublenden. Zum Beispiel höre ich in der Mensa neben meinem Gespräch noch jedes andere Gespräch um mich herum, zusätzlich dazu noch die brummende und flackernde Leuchtstoffröhre über meinem Tisch und vieles andere. Da muss mich sehr darauf konzentrieren, nur das aktiv wahrzunehmen, was grade bei mir besprochen wird. Durch die große Konzentration, die ich in vielen Situationen brauche, brauche ich wesentlich länger, um mich nach einem normalen Uni- oder Arbeitstag wieder zu erholen.
Daniela Schreiter schreibt in ihrem Comic, dass viele Menschen zuerst einmal eine starke Berührungsangst haben, wenn sie mit dem Thema „Autismus“ in Kontakt kommen. Erleben Sie das auch so? Wird das mit zunehmender Aufklärung besser?
Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Autismus. Häufig kommen Berührungsängste oder große Unsicherheit, wie man dann mit dem Autisten umgehen soll, vor. Das ist bei Menschen, die sich tatsächlich mit Autismus auskennen, weniger ein Problem.
Das viel größere Problem sind aber die Vorurteile gegenüber Autismus. In den letzten Jahren hören immer mehr Menschen etwas von Autismus, aber was sie hören hat leider oft nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun. Die Vorurteile, dass alle Autisten Mathegenies sind, die vollkommen unfähig sind, Gefühle zu empfinden, halten sich sehr hartnäckig und sind wesentlich schwerer abzubauen als die „Berührungsängste“. Das führt teilweise so weit, dass viele Autisten gesagt bekommen, dass sie gar keine Autisten sind, weil sie diesen Klischees nicht entsprechen. Diese Vorurteile sind auch einer der Gründe, warum die meisten Autisten ihre Diagnose geheim halten.
Asperger-Autisten haben nicht nur mit Problemen zu kämpfen, sie besitzen auch eine ganze Reihe positive Fähigkeiten. Können Sie ein paar davon beschreiben?
Ich bemerke an vielen Stellen, dass ich eine andere Art habe, an Probleme heranzugehen. In der Regel wesentlich pragmatischer als die meisten Menschen mit denen ich zu tun habe. In manchen Situationen ist das eher hinderlich, in anderen Situationen bringt es mir Vorteile. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich sehr gut darin bin, mich in Themen einzuarbeiten und ich mich mit lang anhaltender Konzentration damit beschäftigen kann. Auch wenn das leider nicht bei allen Themen klappt.
Viele Autisten beschreiben darüber hinaus, durch die andere Wahrnehmung einen Blick für Details zu haben, die vielen anderen nicht auffallen, was in einigen Situationen sehr hilfreich sein kann.
Asperger-Autisten haben eine andere Wahrnehmung als neurologisch-typische Menschen. Worauf sollten sogenannte NT’s bei der Kommunikation mit Autisten achten?
Das ist eine schwierige Frage, da man dazu ja zuerst erkennen muss, dass es ein Autist ist, mit dem man spricht. Wenn man das weiß, dann vermutlich weil der Autist es einem sagte,. Dann ist es meistens das sinnvollste, ihn einfach zu fragen, ob er an irgendeiner Stelle Rücksicht wünscht. Das sollte man allerdings nicht zwischen Tür und Angel, sondern in einer potenziell ruhigen und ungestörten Situation tun.
Allgemein kann man sagen, dass man vielen Autisten das Leben angenehmer machen kann, in dem man Ironie oder Sarkasmus vermeidet, oder in Abhängigkeit vom individuellen Autisten, sehr offensichtlich macht. Da viele Autisten Probleme mit Körperkontakt haben, würde es ihnen helfen auf Dinge wie Umarmungen oder Händeschütteln zur Begrüßung, oder allgemein überraschende Berührungen, zu vermeiden.
„Vermutlich würde das Nicht-Autisten, die in eine große Gruppe Autisten stoßen, ähnlich gehen.“
Dazu sollte es eigentlich schon längst Beispiele geben. Wie einzelne Nicht-Autisten, die zu einem Autistentreffen kommen. Ich habe das ein einziges Mal in Wien erlebt; eine Frau bei nem Treffen war nicht autistisch.
Pingback: Froschs Blog: » Im Netz aufgefischt #165
Pingback: Autisten im Interview | Aspies Bielefeld