Category Archives: Postverkehr

Lieber Spiegel-Online,

ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr ihr mich gerade aufregt. Eigentlich hätte ich das hier vor einer Stunde schreiben müssen, aber vermutlich hätte ich beim Versuch die Tastatur durchgebrochen.

Aber gut, fangen wir mal ganz von vorne an. Es gab einen Amoklauf, betroffen sind hauptsächlich Kinder. Meine Gedanken in diesem Moment beschränkten sich auf ein “Oh Scheiße!”, in Anbetracht dessen, was ich so mitbekam, war eure erste Reaktion vermutlich ein “Oh, Klickstrecken!”. Aber gut, so kennen wir es schon von der Bild, und wenn die Leute da nicht drauf stehen würden, würdet ihr es ja nicht machen, bloß seriös geht anders. Innerlich bereitete ich mich bereits darauf vor, die nächsten Tage damit zu verbringen, Schlagzeilen über vereinsamte Killerspielspieler zu lesen.

Doch nein, es tauchte irgendwo in den Untiefen der Schlagzeilen eine Meldung auf, dass ein Verwandter des Amokläufers etwas von Persönlichkeitsstörung, oder vielleicht sogar Autismus, gesagt hat. Damit war dann wohl vorgezogene Bescherung in den Redaktionen. Wo ihr doch schon seit Monaten jede noch so aussagelose Studie durch die Medien schleift, sofern sie nur irgendeine Korrelation zwischen Autismus und Umstand X aufweist, und sie als die neue mögliche Autismusursache feiert. Dass Autismus keine Persönlichkeitsstörung ist, ist ja im Grunde auch nur ein unwichtiger Randfakt.

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Leserbrief: Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist

Vor einiger Zeit hatte die Welt in ihrem Online-Angebot einen Artikel veröffentlicht, der sich mit der steigenden Anzahl der Autismusdiagnosen befasste. In diesem Artikel wurden einige fragwürdige Aussagen getätigt. Aus diesem Grund freue ich mich, dass mir von einer Fachkraft, eine Kopie eines Leserbriefes als Reaktion auf diesen Artikel zur Verfügung gestellt wurde und ich diesen hier veröffentlichen darf.

Betrifft:
„Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist“ von Allen Frances, veröffentlicht in der Online-Ausgabe der „Welt“ am 24.07.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
als langjährig in der Beratung und therapeutischen Unterstützung von Menschen mit Störungen des Autismus-Spektrums und anderen Behinderungen tätiger komme ich nicht umhin, mich zu Ihrem Artikel zu äußern.

Die Zunahme an gestellten Diagnosen aus dem autistischen Spektrum (frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus) in den vergangenen 15 Jahren ist sicherlich ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Autismus insgesamt deutlich mehr ins Interesse der Medien und somit auch der öffentlichen Wahrnehmung getreten ist. Nun aber von einer „Modediagnose“ auszugehen, die unreflektiert und nahezu hürdenlos an Menschen vergeben werde, welche darüber Zugang zu umfangreicher Unterstützung aus öffentlicher Hand erhielten, halte ich für äußerst bedenklich und zu kurz gegriffen.

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Liebe Wunderweib Redaktion

In der Kategorie “Fit & Gesund” auf Ihrer Website findet sich unter der Rubrik “Krankheitsbilder” ein Artikel über Autismus (Vorsicht: der ist mal wieder nicht grad Blutdrucksenkend). Zuallererst ist die Kategorisierung schon durchaus problematisch, da Autismus laut ICD-10 zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gezählt wird. Ebenso kann man Autismus als Behinderung betrachten. Autismus als Krankheit zu bezeichnen ist jedoch falsch.
Der Artikel beginnt mit den Sätzen:

Unter Autismus versteht man die krankhafte Abkehr von der Umwelt. Eine unsichtbare Mauer trennt Menschen, die unter Autismus leiden, von ihrer Umwelt.

Zuallererst bin ich erfreut, dass Sie an dieser Stelle zu einer Bilderserie verlinken in der unter Punkt 7 der Impfmythos als Mythos aufgeklärt wird. Leider bedient dieser Satz dafür einige andere sehr beliebte Klischees, die in dieser Form falsch sind.
Autismus ist ein Spektrum, von dem es viele Formen und Abstufungen gibt. Die hier beschriebene “krankhafte Abkehr von der Umwelt” ist nur ein Extrem des Autismus. Ebenso, das sehr dramatische Bild von der “unsichtbaren Mauer”. An dieser Stelle würde mich interessieren, woher sie diese Information beziehen. Viele Autisten sind durchaus in der Lage mit ihrer Umwelt zu kommunizieren und zu interagieren, Ich selbst bin Autist und keine unsichtbare metaphorische Mauer hinderte mich daran, ihren Artikel zu lesen und ihnen jetzt diese Email zu schreiben. Außerdem halte ich es für etwas vermessen pauschal allen Autisten zu unterstellen sie würden an Autismus leiden. Ob jemand an/unter etwas leidet, sollte er selbst wissen.

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Offener Brief an Nicole Schuster

Sehr geehrte Frau Schuster,

Sie haben mit ihrer offenen medialen Art viel dazu beigetragen, dass die Thematik Autismus und Asperger Syndrom von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wir begrüßen, dass Sie auch auf Ihrer Homepage versuchen mit gängigen Klischees und Vorurteilen über Autismus aufzuräumen. Sie schreiben auf Ihrer Homepage:

„Ich habe als Jugendliche die Diagnose Asperger-Autismus erhalten und setze mich seither für Menschen mit Autismus ein. Gegen die vielen Vorurteile in der Gesellschaft möchte ich ankämpfen. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die offener ist für Menschen, die wie viele Asperger-Autistin, ein bisschen anders sind.“

Ich denke hier gibt es weder Kritik noch wird Ihnen jemand ernsthaft widersprechen. Im Gegenteil: Man muss sich freuen, dass es Autisten gibt die die Stärken Ihrer persönlichen Kommunikationsfähigkeiten nutzen um sich für andere Autisten einzusetzen.

Ein anderes wirklich bedeutendes Zitat von Ihrer Homepage sagt:

„Autismus macht vieles schwerer. Er darf aber nie ein Grund sein, aufzugeben.“

Dem können sicher die meisten Autisten zustimmen.

Nun hat eine gewisse mediale Präsenz und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit auch Nachteile. Man wird schnell selbst zu einem Muster für das wofür man steht und jedes Wort wird umso gewichtiger genommen.

Umso unverständlicher ist es wenn Sie schreiben:

„Als Autistin bezeichne und fühle ich mich nicht mehr. Diagnosen können zwar einem helfen, ein Stück seins Lebenswegs zu bewältigen. Sie sollten aber nie als unabänderliches Schicksal aufgefasst werden.“

Hierzu möchten die Unterzeichner dieses offenen Briefes folgendes anmerken:

1)    Es entsteht der Eindruck, dass Autismus geheilt werden kann. Autismus kann nicht geheilt werden, und selbst wenn dies möglich wäre würden viele Autisten es gar nicht wollen.

2)    Es entsteht des Weiteren der Eindruck, dass man seinen Autismus besiegen bzw. überwinden kann. Auch dies kann fatale Folgen für Autisten haben! Anstelle der von Ihnen angestrebten Offenheit gegenüber Autismus erreichen Sie hier eher den Trend zum Satz „Stell dich nicht so an, Autismus kann man überwinden!“ Es sollte mehr reflektiert damit umgegangen werden, Autismus ist nicht nur von Nachteilen begleitet. Man sollte den Autismus nicht überwinden, sondern damit umgehen lernen.

3)    Sein Leben als Autist zu meistern bedeutet nicht das man sich seinem unabänderlichen Schicksal hingegeben hat! Man kann auch indem man zu seinem Autismus steht, stetig daran arbeiten besser damit umzugehen.

4)    Wenn Menschen die mit Ihrem Autismus gut zurechtkommen diesen verleugnen bzw. in den Hintergrund drängen entsteht ein falsches Bild von Autismus! Wir denken das sie als Vorbild viel mehr erreichen könnten in dem sie sagen „Ich bin Autist, aber schaut, man kann damit Leben“ Meinen Sie nicht, dass eine erfolgreiche Autistin in der Öffentlichkeit mehr für Autismus bewegen und erreichen kann als jemand der nun sein Leben erfolgreich lebt aber die Bezeichnung „Autist“ ablegt? Es geht nicht darum stolz auf den Autismus zu sein, aber zu zeigen das man auch mit Autismus und dem gleichzeitigen offenen Bekenntnis „Ich bin Autist!“ der Gesellschaft zeigen kann: Autismus kann auch etwas positives sein!

Wir würden uns freuen, von ihnen zu hören und wenn sie über die Wirkung dieser Aussagen von ihnen nachdenken würden.

Gezeichnet

Querdenkender, Hawkeye, fotobus (alle Autisten) und alle die diesen Beitrag unterschreiben

Nachtrag: Auch wenn das eventuell an anderer Stelle so interpretiert wurde, kritisieren wir nicht Nicole Schusters Entscheidung, sondern die mögliche Wirkung der Aussage auf andere Menschen.

Wer diesen Brief mit zeichnen möchte kann gerne einen Namen und ggf. einen Link in den Kommentaren hinterlassen.