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Von Chancen und Grenzen der Selbst-Diagnosen

Selbstdiagnostiziert. Ein Wort das nahezu als Garantie dafür taugt, dass Heerscharen von Psychologen und Psychiatern tief einatmen und in Augenrollen verfallen. Menschen maßen sich an, ohne gesicherte Vorkenntnis medizinische Labels zu vergeben. Dabei vergeben sie diese Labels sogar bei sich selbst, was selbst entsprechend ausgebildete Menschen mit Jahren der Erfahrung nicht tun würden, weil es vollkommen unmöglich ist eine ausreichend professionelle Distanz zu sich selbst zu entwickeln. An dieser Stelle könnte dieser Text enden und wir könnten uns alle wieder Katzenvideos oder anderen Dingen zuwenden. Doch so leicht ist es nicht.

Die Geschichte von diagnostischer Abklärung und Autismus war von Anfang an eine zwiespältige. In den frühen Zeiten der Diagnose konnte man deutschlandweit die Anzahl der qualifizierten Diagnostiker an den Fingern seiner Hände abzählen und hatte immer noch einige Finger in Reserve. Dementsprechend hatte überhaupt nur ein Bruchteil der Menschen, bei denen ein Autismus-Verdacht im Raum stand, eine realistische Chance, diesen Verdacht diagnostisch bestätigen zu lassen. Dazu kam, dass auf jeden dieser qualifizierten Diagnostiker, mindestens 20 Diagnostiker kamen, die Autismus nach einem entspannten Plausch und ein paar Teeblättern ausschlossen oder bestätigten. Dabei reichte in der Regel schon der Umstand sprechen zu können um Autismus auszuschließen.
Diese Situation führte zwangsläufig dazu, dass viele Menschen, die sich selbst als Autisten sahen, dies nie bestätigen lassen konnte. Daher setzten sich die frühe Autismus-Communities zu großen Teilen aus diesen „Verdachts-Autisten“ zusammen. Vermutlich würden sie ohne die Offenheit gegenüber Verdachts-Autisten heute nicht existieren.

Mittlerweile gibt es mehr qualifizierte Diagnostiker. Trotzdem sind es immer noch so wenige, dass zwischen dem Anrufen bei einer Diagnosestelle und der ersten Begegnung mit einem Diagnostiker in der Regel mehr als ein Jahr vergeht. Das bedeutet, dass zwischen dem Verdacht und der Gewissheit in der Regel mindestens ein Jahr liegt, in dem derjenige Mensch kein anderes Label hat, als seinen Verdacht auf Autismus. Zusätzlich zur angespannten Fachkräftesituation kommt, dass es Menschen gibt, für die eine offizielle Diagnose ein großes Problem sein kann, wie zum Beispiel Anwärter auf eine Verbeamtung.

Alles in allem war und ist die Integration von Verdachts-Autisten in die Autisten-Communities bis heute unerlässlich und wesentlich. Doch diesen Verdacht als gleichwertige Selbstdiagnose zu betrachten bringt für alle Beteiligten Probleme mit sich. Eines dieser Probleme ist zunächst die Verlässlichkeit von Selbstdiagnosen. Der große Mangel an qualifizierten Diagnostikern liegt nicht daran, dass so wenige sich für diesen Bereich interessieren, sondern daran, das man diese Qualifikation nicht ohne weiteres erlangen kann. Autismus ist keine leicht zu stellende Diagnose. Das liegt im wesentlichen daran, dass die Symptome, die bei Autismus beobachtet werden, auch bei anderen psychischen Besonderheiten auftreten. Dies bedeutet, dass auch zu diesen Störungsbildern Wissen vorliegen muss, um eine Abgrenzung zu ermöglichen. Dazu kommt die Notwendigkeit nach entsprechenden Fortbildungen, in der Anwendung der entsprechenden diagnostischen Verfahren. In dieser Komplexität liegt auch der Grund dafür, dass eine Diagnostik über mehrere Termine und Stunden stattfindet.
Beim Versuch ihn als Diagnose zu betrachten findet der, grundsätzlich wichtige, eigene Verdachts seine Grenzen. So wichtig der Verdacht für die Zeit bis zur Durchführung einer qualifizierten Diagnose ist, so kann er eine Diagnose definitiv nicht ersetzen. Es ist ohne ein entsprechendes Studium und die entsprechenden Weiterbildungen nahezu unmöglich das nötige Wissen zu erlangen um eine qualifizierte Diagnose zu stellen. Und selbst wenn man selbst über Jahre dieses Wissen angesammelt hat, gibt es dennoch gute Gründe, dass niemand sich selbst (offizielle) Diagnosen stellen darf, denn eine Grundobjektivität und eine persönliche Distanz ist für die Beurteilung unerlässlich und kann auch nicht durch den Vorteil kompensiert werden, sich selbst am besten zu kennen.

Dabei birgt die Umdeutung vom Autismus-Verdacht zur dauerhafte Selbstdiagnose eine Reihe von Problemen, sowohl für den Eigen-Diagnostizierten, als auch für alle anderen Autisten.
Für die Einzelperson ist das größte Risiko vermutlich, dass der eigene Zustand kein Autismus ist, sondern etwas anderes, dass im Rahmen der Diagnostik erkannt würde. Viele dieser anderen Diagnosen mit Überschneidungen zu Autismus, können mit den richtigen Werkzeugen gut bewältigt werden. Außerdem kann es gut passieren, dass viele der Lösungen die für Autisten funktionieren, für diese Menschen dann auch nicht funktionieren. Somit hätte man durch die Verdachts-Diagnose zwar eine Community gefunden. Es wäre jedoch eine Community, die keine Lösungen bieten kann, für Probleme, die mit der richtigen Diagnose eigentlich zu bewältigen wären.

Das große Problem für die Autisten-Communities ist ein Anderes. Hier kann es leicht passieren, dass Autisten sich auf Lösungen einlassen und verlassen, die für sie nicht funktionieren können, da ihre Probleme komplett andere Ursachen haben. Genau so droht die Gefahr, dass Probleme die eigentlich in einen komplett anderen Bereich gehören, so umdefiniert werden, dass sie plötzlich Bestandteil des Autismus werden. Durch den Umstand, dass viele Menschen nach wie vor denken, sie müssten alle Symptome zeigen, würde das definitiv Menschen davon abhalten, für sich überhaupt Autismus in betracht zu ziehen. Darüber hinaus wäre es für die Glaubwürdigkeit einer jeden Gemeinschaft ein harter Schlag, wenn eine Person die mit ihnen eng assoziiert wird, nie eine Diagnose hatte und zu irgendeinem Zeitpunkt eine andere Diagnose gestellt bekommt, die alle Autismus-Symptome perfekt erklärt. Beispielsweise entkräften schon heute ABA-Befürworter alle Argumente von autistischen Aktivisten, mit der Behauptung, es seien „Selbstdiagnostizierte Spinner.“

Dies könnte erneut die Stelle sein, an der dieser Text mit der einfachen Schlussfolgerung endet: Aktivismus nur mit Diagnose. Doch das wäre zu einfach, zu kurzfristig und falsch. Communities mit Autisten leben auch von Menschen die mit Verdacht zu ihnen stoßen und sich einbringen. Doch der umgekehrte Schluss, jeden Verdacht wie eine Diagnose zu behandeln löst die Probleme auch nicht. Weder für die Communities, noch für die Menschen mit dem Verdacht. An dieser Stelle kann es somit keine einfachen Schwarz-Weiß-Lösungen geben, egal wie verlockend sie erscheinen. Stattdessen müssen Lösungen gefunden werden, die es Menschen ohne offizielle Diagnose ermöglichen sich zu beteiligen, aber zeitgleich die Risiken für diese Personen und die Communities so begrenzen, dass sowohl die Personen, als auch die Sache an sich keinen Schaden nehmen kann. Diese Lösungen können nur im Austausch entstehen, denn alle einseitigen Lösungen schaffen auf der anderen Seite mindestens genau so viele Probleme, wie sie lösen.

Was bedeutet eigentlich NT?

Eine wesentliche Eigenschaft von Gruppen ist, dass sich mit der Zeit ein eigenes Vokabular bildet, das von Außenstehenden nicht ohne weiteres verstanden werden kann. Ein klassisches Beispiel hierfür sind wissenschaftliche Fachbegriffe, die häufig nicht einmal mehr von Wissenschaftlern aus anderen Fachgebieten verstanden werden.
Im Bereich des Autismus ist dies beispielsweise die Abkürzung NT. Dabei steht NT für Neurotypisch und dient dazu, Menschen zu kategorisieren, die keine neurologische Besonderheit, wie zum Beispiel Autismus, AD(H)S oder Depressionen aufweisen.

Historisch ist dieser Begriff aus einer Parodie der Autism-Rights-Bewegung entstanden, die versucht eine Selbstvertretung von Autisten für Autisten zu sein und sich für bessere Bedingungen in allen Bereichen des Lebens einsetzt.  Er diente den Autisten als Kategorie, in der Nicht-Autisten zusammengefasst werden konnten. Dabei wurde der Begriff der Neurotypischen Störung geprägt und mit Kriterien, ähnlich der Kriterien für eine Autismus-Diagnose, versehen. Aus dieser Parodie erwuchs im Laufe der Zeit ein feststehender Begriff, der von vielen Autisten benutzt wurde, um Nicht-Autisten zu bezeichnen. Dabei geriet der Ursprung in Vergessenheit und die Verwendung wandelte sich zu einer ernstzunehmenden Bezeichnung. Insbesondere, da sie eine Alternative zu dem ziemlich problematischen und doch häufig verwendeten „normale Menschen“ bot.
Dieser Aspekt war es vermutlich, der dafür sorgte, dass diese Bezeichnung auch in anderen Bevölkerungsgruppen zunehmend Verbreitung fand. Insbesondere unter Menschen mit AD(H)S etablierte sich dieser Begriff schnell, aber auch Gruppen mit anderen psychischen Auffälligkeiten gebrauchten ihn zunehmend zur Abgrenzung. Durch seine Verwendung außerhalb des Autismus-Kontexts manifestierte sich notwendigerweise auch ein Bedeutungswandel dieses Begriffs. Neurotypisch war und ist nun nicht mehr eine Bezeichnung für Nicht-Autisten, sondern für Menschen, die frei von jeder psychischen Auffälligkeit waren.

Das Problem mit diesem Bedeutungswechsel hatten nun die Autisten, da ihnen erneut ein Begriff (und eine prägnante Abkürzung) fehlte, mit dem sie Personen ohne Autismus zusammenfassend benennen konnten. Im deutschsprachigen Raum etablierte sich im Verlauf der letzten Jahre zunehmend die Abkürzung NA, für Nicht-Autist. Dabei umfasst die Personengruppe der NA sowohl NT’s, als auch andere Menschen mit psychischen Auffälligkeiten, die jedoch keine Autisten sind.
Jeder NT ist zeitgleich auch ein NA, nicht jeder NA ist jedoch auch zwingend ein NT. Eine Person mit ADHS gehört zum Beispiel zur Gruppe der Nicht-Autisten, nicht jedoch zur Gruppe der Neurotypischen.

tl;dr:
Neurotypisch (NT) bezeichnet alle Menschen, die frei von jeder psychischen Auffälligkeit sind.
Nicht-Autist (NA) bezeichnet alle Menschen die frei von Autismus sind.
Jeder NT ist zeitgleich auch ein NA, nicht jeder NA ist jedoch auch zwingend ein NT.

Wir sind Autismus


Wir sind Autismus-Banner

Heute gibt es keinen langen Blogtext, sondern nur einen Hinweis auf eine heute von uns gestartete Aktion, um einen Gegenpol zu der medialen Übermacht von Autismus Deutschland e. V. zu bieten. Wir können durchaus für uns selbst sprechen, dafür brauchen wir keinen “Selbst”-hilfeverein, in dem Autisten nicht sonderlich erwünscht zu sein scheinen.

Weitere Informationen und wie ihr mitmachen könnt, erfahrt ihr hier.

Therapie

Viele Autisten haben ein Problem mit Therapien. Wenn ich die Aussagen von den Autisten, die sich öffentlich äußern, verallgemeinere, könnte man sagen dass es die Mehrheit ist. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, aber wie Rainer in einem Gespräch mit mir (rf005) anmerkte, dürfte der Hauptgrund dafür negative Erfahrungen mit  Psychologen sein, die so weit gehen, dass man in einigen Fällen schon von Traumatisierung sprechen kann.
Ich brauche kaum zu erklären, dass ich  vollstes Verständnis dafür  habe, wenn Menschen mit diesen Erfahrungen Therapien für sich grundsätzlich ablehnen, sofern sie daraus keine grundsätzliche Haltung konstruieren, dass alle Therapie immer böse ist.

Genau diese Haltung wird aber im Moment wieder zunehmend salonfähig. Auch bei Autisten die keine negativen Erfahrungen im Kontext mit Therapien machten. Dies wird im Regelfall damit begründet, dass man die Autisten ja nur akzeptieren müsste, statt zu versuchen, den Autismus wegzutherapieren.

Menschen die “Therapie ist …” kauften, kauften auch “Alle Autisten sind  …”

Ich kann diese Argumentation selten ohne Zusammenbeißen der Zähne ertragen, sehr zur Freude des Autohändlers meines Zahnarztes. Das Problem, das ich mit dieser Argumentation habe, ist nicht, dass ich sie nicht nachvollziehen kann. Das Problem ist, dass sie per se schon eine Verallgemeinerung ins Absurde darstellt.
Natürlich gibt es Therapien, die das strikte Ziel haben, am Ende eine Armee von unauffälligen Otto-Normal-Bürgern zu schaffen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt am Ende davon ein Mensch raus, der einige Therapie bräuchte, um die Therapie zu verarbeiten, und selbst wenn es am Ende funktioniert, dass der Mensch nach außen hin normal wirkt, dürfte das, was von ihm übrig ist, nicht mehr viel mit dem zu tun haben, was zu Beginn da war. Ich bin der Letzte,  der leugnet, dass es da draußen eine Heerschar von Leuten gibt, die sich daran gemacht haben, Autisten reihenweise zum Blickkontakt, Lächeln und Hand geben zu zwingen, indem sie der Konditionierung einen coolen neuen Namen gegeben haben.
Das ist das Bild, das vorherrscht, wenn man versucht, über Therapie zu diskutieren. Allerdings ohne jede Differenzierung, dass es hierbei lediglich eine Teilmenge des weiten Feldes unterschiedlicher Therapieansätze abdeckt.

Es gibt da nämlich noch andere Herangehensweisen, die ich ganz gerne als  problemorientierte Herangehensweisen bezeichne. Diese Ansätze gehen nicht davon aus, dass Autismus per se etwas ist, das therapiert werden müsste. Genau so wenig stürzen sie sich auf die Symptome. Die Fragestellung hierbei ist eher: An welcher Stelle hat der Mensch eigentlich Probleme, die durch den Autismus bedingt sind und kann man da etwas dran machen?
Wie das konkret aussieht, kommt dann natürlich auf die Probleme an, die im Alltag vorhanden sind. So kann ein soziales oder ein Kommunikationstraining in Einzelfällen zum Beispiel durchaus Sinn machen. Sie werden aber kaum helfen, wenn jemand Probleme damit hat, seinen Tagesablauf zu organisieren.
Überhaupt haben alle Therapien, insbesondere im Autismus-Bereich, die Gemeinsamkeit, dass keine von ihnen der alleinige Weg zur Erlösung ist. Kein seriöser Ansatz ist in der Lage, allen Schwierigkeiten zu begegnen, die Autismus so mitbringen kann.

Die Diskussion, ob eine Therapie Sinn ergibt, und wenn ja welche Therapie, wird fast immer mit ideologischem Beigeschmack geführt. Es gibt die Menschen, die Therapie pauschal als das Einfallstor allen Bösen betrachten, es gibt die Therapeuten die meinen, sie haben DEN Weg gefunden, alles gut zu machen, genau so wie es Leute gibt, die glauben, man könnte und müsste Autismus grundsätzlich therapieren.
Die Lösung liegt wie so oft in der Mitte:

Therapie kann sinnvoll sein, sie muss es aber nicht. Und wenn eine Therapie sinnvoll ist, sollte sie auf den Bereich zugeschnitten sein, in dem das Problem besteht, und nicht auf Basis eines alleinigen Heilsversprechen gewählt werden.

Disclaimer: Ich wurde selbst mehrere Jahre in einer Praxis therapiert, die sich auf Autismus spezialisiert hat und wäre ohne diese Unterstützung aktuell vermutlich nicht in der Lage meine Bachelorarbeit zu schreiben, daher ist eine gewisse Befangenheit nicht vollständig auszuschließen.

Zwischen Stolz und Betroffenheit

Heute ist Autistic Pride Day. Ich möchte an dieser Stelle darauf eingehen, warum ich mich mit diesem Tag nie so recht anfreunden konnte. Dieser Text spiegelt allein meine Sichtweise wieder und diese ist gerne zur Diskussion gestellt.
Die Idee des Autistic-Pride-Day entstand wohl in der Anlehnung an Gay-Pride und den Kampf für Akzeptanz und Gleichberechtigung. Es mag hier wohl einige Übereinstimmungen geben, aber auch sehe ich, dass hier einiges hinkt. Ich denke nicht, dass man Autismus so ohne weiteres mit Schwul/Lesbisch sein vergleichen kann. Zuallererst einmal möchte ich an dieser Stelle behaupten, Schwul oder Lesbisch dürfte von sich aus erst einmal wenig Nachteile bringen. Ich will damit keinesfalls behaupten, dass es einfach ist, in dieser Gesellschaft als schwul geoutet zu sein. Aber solang wir von einer idealen toleranten Gesellschaft ausgehen, birgt es erst einmal keinen Nachteil.
Anders sehe ich das beim Autismus. Hier kann ich nur für mich sprechen, aber ich kann sagen, dass mein Leben in einer perfekten toleranten Gesellschaft durch den Autismus durchaus beeinträchtigt ist. Sei es, dass ich nur zu leeren Zeiten einkaufen kann, oder ich an manchen Tagen nur schwer vor die Tür kann weil das Tageslicht in einer unangenehmen Frequenz scheint.
Deshalb habe ich persönlich damit ein Problem diese Bewegungen so ohne weiteres gleichzusetzen.

Ein anderer Aspekt der mich an Autistic-Pride stört ist das Wort “Pride”. Ich möchte hier ausdrücklich nicht falsch verstanden werden. Autismus ist nichts schlimmes. Autismus ist nichts, das geheilt werden muss. Aber Autismus kann durchaus eine Behinderung sein, wie mein Beispiel oben ja durchaus auch zeigt. Ich sage nicht, dass sie das muss, ich möchte die Entscheidung, ob sein Autismus ihn behindert, jedem selbst überlassen. Das gilt dann aber auch im Umkehrschluss, dass niemand pauschal sagen sollte Autismus sei keine Behinderung.
Alles in allem ist Autismus nichts auf das ich stolz bin. Ich könnte dann ebenso auf meine braunen Haare, oder meine Schuhgröße 48 stolz sein. Ich habe keinerlei Leistung erbracht um Autist zu werden. Hier sehe ich das Problem, ob es wirklich die Wirkung auf Nichtautisten hat, die viele Autisten sich wünschen. Denkt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, so wird es spätestens unangenehm wenn man als Autist Hilfe und Nachteilsausgleiche sucht, denn man ist ja nicht behindert, sondern im Gegenteil mit etwas gesegnet auf das man stolz sein kann. An dieser Stelle kann man sich von seinem Schwerbehindertenausweis und allen Nachteilsausgleichen getrost verabschieden. Denn diese suggerieren ja, dass sie einen Nachteil ausgleichen, der von Autistic-Pride-Anhängern gerne mal geleugnet wird.

Abschließend denke ich, dass die Autistic-Pride-Bewegung mit ihren Forderungen wie man Autismus sehen sollte durchaus in eine Richtung geht, welche nicht verkehrt ist, ich denke mir nur, dass es wichtig ist, den Menschen ein differenziertes Bild von Autismus zu liefern. Autismus ist kaum das, was die meisten Menschen vor Augen haben wenn sie das Wort Behinderung hören. Aber umgekehrt ist Autismus auch nichts, das vollkommen problemfrei ist. Welche Probleme ein Autist hat und als was er sich sehen möchte sollte von niemandem vorgeschrieben werden, auch nicht von anderen Autisten, die im Grunde auch nur für sich sprechen können.

Autismus ist kein Todesurteil und keine nächste Stufe der Evolution, er ist weder gut, noch ist er schlecht.

An dieser Stelle ein Dankeschön an @kwetchen für seine nächtlichen Ratschläge für einige Aspekte dieses Textes und diesen wirklich lesenswerten Link.