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Gastbeitrag zur Aktion Mensch

Gastbeitrag von MrsGreenberry zur Aktion Mensch


Wer sich, wie ich, mit der Interessensvertretung behinderter Menschen in Deutschland beschäftigt, ist Kummer und Leid gewöhnt. Die bekannteste Organisation in diesem Bereich ist die Aktion Mensch – das sind die mit den Losen, sodass man beim nächsten Weihnachtsgeschenk für Onkel Rudi das Gefühl hat, etwas richtig Gutes zu tun und den armen Behinderten zu helfen. Wie bei den meisten Vereinen, die sich die Interessensvertretung behinderter Menschen auf die Fahnen geschrieben haben, ist auch die Aktion Mensch fest in der Hand nichtbehinderter Menschen. Dass das zu anderen Ergebnissen als eine echte Selbstvertretung führt, liegt auf der Hand. Dennoch schafft es auch diese Organisation, mich immer wieder aufs Neue negativ zu überraschen, etwa gestern Nachmittag, als mir dieser Tweet in die Timeline gespült wurde:

Zugegebenermaßen ist gar nicht so klar, auf wen sich hier die „falsche Einstellung“ bezieht. Die GesellschaftTM? Behinderte Menschen? Beide?

Wenn die GesellschaftTM gemeint ist, handelt es sich auf jeden Fall um eine gefährliche Vereinfachung. Ich denke, niemand wird bestreiten, dass behinderte Menschen nicht nur durch ihre Behinderung an sich, sondern auch durch individuelle und strukturelle Diskriminierung (Stichwort etwa Bundesteilhabegesetz) ebenfalls behindert werden. Aber eben nicht ausschließlich. An dieser Stelle kann ich zunächst einmal nur für mich selbst sprechen, aber auch in einer perfekten Gesellschaft würde mich mein Autismus immer noch einschränken. Weit weniger als er es jetzt tut, aber alle Einschränkungen lassen sich schlichtweg nicht durch angepasste Rahmenbedingungen kompensieren. Sommerliche Temperaturen und strahlender Sonnenschein zum Beispiel würden mich wohl immer noch in einer gewissen Regelmäßigkeit in eine Reizüberflutung befördern. Zu behaupten, sämtliche Beeinträchtigungen behinderter Menschen entstünden ausschließlich in Wechselwirkung mit der Gesellschaft, ist meiner Meinung nach ein Wunschdenken, das die Realität (mindestens vieler) behinderter Menschen leugnet.

Wenn mit der „falschen Einstellung“ hingegen (auch) behinderte Menschen gemeint sind – uiuiuiuiui. Ich hoffe doch ganz stark, dass die Aktion Mensch Rollstuhlfahrer*innen nicht erzählt, ihre Behinderung sei nur auf die falsche Einstellung zurückzuführen und wenn sie sich nur wirklich anstrengen würden, könnten sie auch die Treppe nehmen, anstatt immer dreist nach einem Aufzug zu verlangen. Glaube ich aber auch nicht wirklich, denn eine solche Logik betrifft ja in aller Regel nicht Menschen, denen man ihre Behinderung auf den ersten Blick ansieht. Selbst Mitarbeiter*innen von Aktion Mensch ist dann wohl irgendwie klar, dass das so nicht funktioniert. Sehr wohl aber betrifft so eine „Nur deine Einstellung behindert dich!“ Logik – auch bekannt als neoliberales „Du kannst alles schaffen, wenn du nur wirklich willst!“ – Menschen, denen man ihre Behinderung nicht auf den ersten Blick ansieht, und zwar auch von Seiten der Aktion Mensch. Auch an dieser Stelle kann ich wieder nur aus meiner Perspektive als Autistin berichten, es würde mich aber nicht wundern, wenn sich Aktion Mensch auch in Bezug auf andere sogenannte unsichtbare Behinderungen gar nicht mal so knorke verhält. Auf jeden Fall gilt: Aktion Mensch fördert finanziell Projekte, in denen autistische Kinder mit ABA (Applied Behavior Analysis) „gefördert“ werden, einer „Therapie“, in denen sie mithilfe von operanter Konditionierung Verhaltensweisen an – und abtrainiert bekommen, und das zum Teil 30 – 40 Stunden pro Woche. Dabei macht sich niemand Gedanken darüber, warum autistische Kinder manche Verhaltensweisen zeigen oder welchen Stress es auslöst, Verhaltensweisen ersatzlos zu „löschen“ (ja, so nennt sich das bei ABA). Das Thema ist ziemlich komplex und würde in seiner Gesamtheit hier den Rahmen sprengen. Autist*innen weltweit protestieren seit Jahren gegen diese Art der „Behandlung“, die auf genau der „Wenn du dich nur anstrengst, bist du auch nicht autistisch/behindert“ Logik fußt, was Aktion Mensch allerdings herzlich egal ist. Aleksander Knauerhase stand bezüglich des Themas ABA im Austausch mit der Aktion Mensch, die gesamte Chronik des Grauens findet sich auf seinem Blog.

Ich bin mir sicher, Aktion Mensch würde sich, würde man etwa einen Protestbrief gegen diesen Tweet verfassen – auf kritische Replies zu antworten, hat die Aktion Mensch anscheinend nicht nötig – wortreich rechtfertigen. Vermutlich würde sie argumentieren, so habe man das ja alles nicht gemeint, das sei wohl ein Missverständnis und es tue ihnen leid, dass man sich in seinen Gefühlen verletzt gefühlt habe. Ich für meinen Teil bin mir ziemlich sicher, dass das kein Missverständnis war, sondern wieder einmal gezeigt hat, wo die Aktion Mensch ideologisch zu verorten ist und warum die Interessensvertretung von Menschen mit Behinderung durch Menschen ohne Behinderung auch im Jahr 2016 noch immer, vorsichtig ausgedrückt, kein Erfolgsmodell ist.

Energiemanagement

Auch nach 131 Beiträgen und über 6 Jahren schreibe ich immer noch gerne in dieses Blog. Doch in letzter Zeit sind die Beiträge seltener geworden und aus meiner Routine, jeden Morgen die Kommentare zu moderieren, den Spam auszusortieren und die Blogstatistik zu überfliegen, ist zunehmend ein verschämtes Schließen des Browsertabs geworden.

Das liegt nicht daran, dass ich nicht mehr gerne schreibe. Im Gegenteil: Die Liste der Themen, über die ich gerne schreiben will, ist mit jedem Monat ohne Blogtext stetig gewachsen.

An der Zeit liegt es auch nicht. Mit dem Abschluss meines Studiums habe ich mit einem 8-Stunden-Tag auf einmal so viel Freizeit, dass ich gute zwei Monate brauchte, um zu lernen, wie ich damit umgehen soll.

Leider sind Zeit und Motivation nicht das einzige, was gebraucht wird um Dinge geschafft zu bekommen. Zusätzlich braucht es auch Energie und mit dieser Energie ist das bei Autisten so eine Sache. Nehmen wir der Einfachheit halber einmal an, alle Menschen haben einen gleich großen Akku. Dieser steht am Morgen auf 100%. Man steht auf, fährt mit der Bahn zur Arbeit, arbeitet, isst mit den Kollegen zu Mittag, arbeitet noch mehr, fährt mit der Bahn zurück nach Hause, zieht sich um, geht zum Fußballverein mit den Freunden.
Jede dieser Tätigkeiten wirkt sich auf den Akkustand aus.
In der Bahn liest man ein Buch und die Zeit fliegt: 99% Ladezustand. Man arbeitet: 70% Ladezustand, entspanntes Mittagessen mit den Kollegen, die Energiereserven werden aufgefüllt: 75% Ladezustand, man arbeitet weiter: 45% Ladezustand, die Fahrt nach Hause, Rush-Hour: 40% Ladezustand, zum Schluss noch der Fußballverein, und man fällt mit 10% Ladezustand müde ins Bett.

So weit der Normalfall. Für einen Autisten kann sich dieser Tag jedoch ganz anders darstellen:
Man versucht in der Bahn sein Buch zu lesen, mit all den Menschen um einen herum kann man sich aber nur schwer auf den Inhalt konzentrieren: 90% Ladezustand. Man arbeitet: 61% Ladezustand, Mittagessen mit den Kollegen, Smalltalk in der vollen Kantine: 55% Ladezustand, man arbeitet weiter: 25% Ladezustand, die Fahrt nach Hause, Rush-Hour: 15% Ladezustand, zum Schluss noch der Fußballverein, und man fällt mit -20% Ladezustand müde ins Bett.1

Das Problem ist, es gibt keine negativen Akkustände. Irgendwann während des Fußballspiels wäre zwangsläufig der Punkt erreicht, an dem unser hypothetischer Autist nicht mehr könnte und überstürzt das Spielfeld verlassen und nach Hause fliehen müsste. Dabei hatte er genau den gleichen Tag wie sein nichtautistisches Gegenstück. Trotzdem hat er am Ende des Tages nicht das gleiche geschafft. Der Unterschied ist, dass viele Dinge, die für einen Nicht-Autisten selbstverständlich und ohne nachdenken erfolgen (das Lesen in der Bahn, das Mittagessen mit Kollegen), für Autisten ein aktiver Vorgang sind, über den sie nachdenken müssen. Dieses Nachdenken erfordert Konzentration und Energie, so dass die selben Tätigkeiten viel mehr von der Energie des Akkus verbrauchen als bei anderen Menschen.

Die Vorstellung von der Energiereserve ist kein theoretisches Gedankenspiel, sondern ein normaler Bestandteil des Alltags von mir und vielen Autisten, mit denen ich darüber bisher sprach. Wann immer ich Termine mache, achte ich nicht nur darauf, dass ich zu dem Zeitpunkt keine anderen Termine habe, sondern auch darauf, was für Termine ich davor und danach habe und wie viel meines Akkus mich diese Termine kosten werden. Ohne viel darüber nachzudenken, ist die Planung meiner Energiereserven schon vor sehr langer Zeit ein normaler Bestandteil meines Tagesplanung geworden. Genau so habe ich mich daran gewöhnt, Termine zu verschieben, oder abzusagen, die ich gerne wahrnehmen würde, weil absehbar ist, dass ich nicht die Energie übrig haben werde, die ich dafür brauche.

Diese Überlegung basiert auch sehr viel auf Erfahrungswerten; so habe ich das erste Semester dafür gebraucht, zu merken, dass nach einem 12 Stunden-Uni-Tag anschließende 8 Stunden Schlaf einfach nicht reichen, um die Akkus wieder auf 100% zu bekommen. Für den darauffolgenden Tag habe ich dann nur 80% der Energie zur Verfügung, die ich normalerweise gehabt hätte. Genau so ist nicht jeder Termin gleich anstrengend. Während ich nach 8h-Home-Office relativ entspannt meinen Tag fortsetze, darf ich nach 8h-Großraumbüro für mindestens 2h keine weiteren Termine einplanen. Diese Dinge habe ich mit der Zeit gelernt. Wenn ich in neue Situationen komme, habe ich diese Erfahrungswerte nicht. Dann muss ich versuchen zu schätzen, was in der Situation von mir erwartet wird und wie viel Energie mich das vermutlich kosten wird. Sofern es möglich ist, versuche ich in der Regel jedoch kein Risiko einzugehen und plane mir im Anschluss Freizeit ein.

Leider sind alle Überlegungen und Erfahrungswerte kein Garant dafür, dass meine Schätzungen richtig liegen. Nicht alle Ereignisse lassen sich von vorneherein einplanen und wenn ich mit falschen Erwartungen an eine Situation herangehe, kann es schnell passieren, dass meine Planung von einer realistischen Schätzung zu einem Wunschgedanken wird. Dabei hab ich leider keine Akkustandsanzeige, die mir sagt, dass ich nur noch 20% Restenergie habe. Ich merke nur die Auswirkungen davon und habe mit der Zeit gelernt, mein eigenes Verhalten zu beobachten, um zu merken, wann meine Energie zur Neige geht. Während ich am Anfang nur Probleme habe mich zu konzentrieren, bekomme ich mit sinkender Energiemenge Kopfschmerzen, oder werde unruhig, wippe schnell mit dem Fuß, oder entwickle andere Stimming-Verhaltensweisen. Am Ende der Energie habe ich nur noch das Bedürfnis, so schnell wie möglich wegzukommen und allein zu sein. Ohne Rücksicht auf soziale Konventionen.
Ist die Energiemenge einmal so weit unten, ist es nahezu unmöglich, sie schnell wieder aufzufüllen. Praktisch bedeutet das, dass ich nicht nur den nächsten Tag, sondern einige darauffolgende Tage mit weniger Energie auskommen muss, bis die Reserven langsam wieder aufgefüllt sind.

Lange Zeit habe ich nicht bemerkt, wie groß und raumgreifend das Energiemanagement in meinem Leben ist. In der Regel denke ich nicht weiter darüber nach, sondern plane meine Tage einfach so, dass es keine Probleme gibt und denke nicht weiter darüber nach, in wie vielen Situationen ich das eigentlich tue und merke daher nicht, dass ich es in so gut wie jeder Situation, bei jedem Termin, bei jeder Planung mache. Erst als mir auffiel, dass ich auch Dinge absage, die ich gerne mache und die Liste der Dinge, die erledigt werden müssen, nicht mehr kürzer wurde, fing ich an darüber nachzudenken, in welchen Situationen ich über mein Energiemanagement nachdenke und wie viel Raum es tatsächlich in meinem Leben einnimmt.

Dabei sind mir die Auswirkungen erst langsam klar geworden. Denn über die Jahre haben sich bei mir viele Projekte angesammelt, die mir Spaß machen und die ich gerne mache, doch ich merke, dass ich nicht mehr die Energie dafür habe, da es zu viele andere Dinge gibt, die meine Energie aufbrauchen. An Teilen dieser Dinge kann ich nichts ändern; zum Beispiel wird sich Arbeit nicht vermeiden lassen, wenn ich auch weiterhin wohnen und essen möchte, aber an anderen Dingen kann ich etwas ändern. Das bedeutet allerdings, dass ich abwägen muss, welches meiner Projekte ich mehr mag und welches andere Projekt ich zugunsten von beispielsweise diesem Blog oder meinem Podcast aufgebe. Die Entscheidung etwas aufzugeben, was einem am Herzen liegt, obwohl eigentlich genug Zeit dafür wäre, ist keine einfache. Und so habe ich, je mehr ich in der vergangenen Zeit darüber nachdenke zunehmend das Gefühl, dass die Notwendigkeit ständig die eigene Energie im Auge zu behalten eine der großen Einschränkungen meines Autismus ist.

Barrierefreiheit und Autismus

Die Barrierefreiheit ist ein Thema, das in Deutschland wenn überhaupt nur im Rahmen von Baumaßnahmen relevant wird. Eine Rampe hier, ein Behindertenparkplatz dort, im besten Fall noch einige Markierungsstreifen im Boden und der Drops ist gelutscht. Häufig gelingt jedoch selbst die Umsetzung dieser Maßnahmen nur schlecht.

Barrierefreiheit (Symbolbild)
Barrierefreiheit (Symbolbild)

Dabei bleibt diese Herangehensweise nur an der Oberfläche und bemüht sich, die offensichtlichsten und gröbsten Nachteile auszugleichen. Das Bewusstsein dafür, dass Barrieren nichts Physisches sein müssen, fehlt den meisten Menschen. So passiert es sogar, dass die wenigen Anbieter von Informationen in Leichter Sprache, die es gibt, sogar dafür angegriffen werden.

Auch für Autisten ist das Thema Barrierefreiheit wichtig. Natürlich ist es vollkommen unmöglich viele der Barrieren, mit denen Autisten tagtäglich konfrontiert werden, durch strukturelle Maßnahmen wie Bauvorschriften oder Gesetze zu verhindern. Ich würde nicht in einem Land leben wollen, in dem es beispielsweise ein staatliches Verbot von Ironie und Sarkasmus gibt.

Es gibt aber auch Barrieren, die sich durch strukturelle Maßnahmen reduzieren oder ganz aus der Welt schaffen ließen. Allen voran sind hier wohl Kommunikations- und Kontaktwege zu Behörden, Ärzten und anderen Institutionen. Viele Autisten haben das Problem, dass das Telefonieren sie sehr anstrengt und großer Überforderung aussetzt. Schlechte Verbindungsqualität, die Ungewissheit, wann der Gesprächspartner fertig mit dem reden ist, die Tonlage als einzigen Hinweis darauf, wie eine Aussage gemeint war sind dabei einige der Probleme, die das Telefonieren für Autisten sehr erschweren. Dabei sind viele Ziele nur durch telefonieren zu erreichen. Das betrifft häufig harmlose Fälle, wie das Bestellen einer Pizza, aber auch sehr kritische Situationen, wie beispielsweise die Tatsache, dass viele Ärzte nur eine telefonische Terminvereinbarung ermöglichen. Selbst viele auf Autismus spezialisierte Einrichtungen bieten als einzigen Kommunikationsweg eine Telefonnummer an.
Dabei wäre diese Barriere ohne nennenswerten Mehraufwand zu beseitigen.  Das „Wie“ machen dabei die Pizzadienste vor. Ein einfaches Kontaktformular auf die Seite, oder im Zweifel auch nur eine Mailadresse, die zeitnah abgerufen und bearbeitet wird. Effektiv bestünde hier kaum eine Mehrarbeit für die Beteiligten.

Eine andere Barriere können Orte mit vielen Menschen sein. Einkaufszentren, Weihnachtsmärkte, Fußballspiele, etc.. Menschen in großen Gruppen überfordern. Ein Fakt, an dem sich leider nichts ändern lässt. Häufig bedeutet dies für Autisten, dass sie keine Chance haben, Veranstaltungen mit vielen Menschen zu besuchen. Realistisch gesehen besteht keine Chance die Menschenmassen auf einem Weihnachtsmarkt an einem Adventssamstag auf ein angenehmes Maß zu reduzieren, trotzdem gibt es auch hier Wege, die Autisten den Besuch einer solchen Veranstaltung deutlich einfacher machen können. Dies fängt schon bei der Planung an. Keine Veranstaltung funktioniert ohne einen detaillierten Plan, wo sich was befindet. Würden diese Pläne veröffentlicht werden, würde dies ermöglichen, bereits vor dem Besuch genau zu schauen, zu welchen Orten man möchte und durch mehr Planung den Stresslevel zumindest zu reduzieren. Mit etwas mehr Aufwand wäre es verbunden über die Veranstaltung hinweg Ruheorte zu schaffen. Ein Beispiel hierfür bietet die Bahnhofsmission des Hamburger Bahnhofs, die einen Raum der Stille geschaffen hat.

Eine ähnliche Barriere bietet sich dabei insbesondere auch im Bereich der Gastronomie. Während in Restaurants die Hintergrundmusik in der Regel auf ein akzeptables Maß eingestellt wurde, versagen die meisten Veranstaltungsorganisatoren oder Cafe-Besitzer komplett dabei die Musik auf Hintergrundlautstärke zu belassen. Nicht selten wird dies noch ergänzt dadurch, dass Fernseher so über die Anlage verteilt sind, dass man aus jeder Ecke mindestens einen immer im Blick hat. Auch hier wäre es ein leichtes, einen Teil so zu gestalten, dass er keine Fernseher hat und die Musik dort etwas leiser ist. Ein Nachteil würde nicht entstehen, die Gäste, die für Musik und Fernsehen vorbeikommen, würden sich einfach in die anderen Bereiche setzen.

Dabei sind Fernseher nicht das einzige, das Probleme mit sich bringen kann. Leuchtende, blinkende Werbung im öffentlichen Raum ist speziell dazu gebaut, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was die meisten Nicht-Autisten schon als nervig empfinden kann einen Autisten nachhaltig beeinträchtigen. Auch würde ein Supermarkt, der seine Leuchtstoff-Röhren austauscht bevor sie flackern, mich sofort als Stammkunden gewinnen.

Die zuvor geschilderten Aspekte decken insgesamt vermutlich nur einen kleinen Teil der Barrieren ab, mit denen sich die meisten Autisten im Alltag konfrontiert sehen. Eine vollständige Darstellung würde vermutlich sowohl den Rahmen dieses Textes sprengen als auch daran scheitern, dass nicht alle Autisten auch exakt die gleichen Probleme in den gleichen Ausprägungen haben. Die hier genannten Beispiele können aber einen groben Einblick darin ermöglichen, dass Barrierefreiheit nicht allein eine architektonische Maßnahme ist, die mit ein paar Rampen abgefrühstückt werden kann, sondern etwas, das über viele Bereiche hinweg gedacht werden muss. Dabei muss Barrierefreiheit nicht als Kosten- und Aufwandstreiber gedacht werden, sondern häufig lassen sich mit geringem Aufwand und der Bereitschaft, sich auf die Probleme der Mitmenschen einzulassen, bereits sehr große Verbesserungen erzielen.

Von Vulkaniern und Autisten

„Autisten haben keine Gefühle“, „Kalte, gefühllose Autisten“, „Genies, unfähig Gefühle zu empfinden“. So oder so ähnlich liest und hört man immer wieder in Medienberichten aller Art. Auch nach Jahren ist dieses Bild der gefühllosen Autisten nicht aus den Köpfen vieler Menschen zu bekommen. Dabei könnte es von der Realität kaum weiter entfernt sein. Natürlich haben Autisten Gefühle. Ich würde an dieser Stelle sogar so weit gehen, dass sich diese Gefühle nicht von den Gefühlen unterscheiden, die Nicht-Autisten auch haben. Mit all ihren Vor- und Nachteilen. Wie kommt es also, dass sich dieses Bild so hartnäckig hält?

Einer der wahrscheinlichsten Gründe ist wohl in der Historie von Autismus zu sehen. In einer Zeit, als das Bild des Autismus auf nicht-sprechende pflegebedürftige Menschen reduziert war, die augenscheinlich nicht mit ihrer Umwelt interagierten. Hier fand auch das Bild des Lebens in einer eigenen Welt seinen Ursprung. Unter dieser Ausgangssituation und der weit verbreiteten Annahme, dass etwas dass man nicht sieht, auch nicht da ist, war die Schlussfolgerung, dass Autisten keine Gefühle haben unvermeidlich.

Das Bild von Autismus hat sich seitdem gewandelt. Mittlerweile sind sich die meisten Menschen bewusst, dass es auch Autisten gibt, die sprechen können. Nichtsdestotrotz bleibt die Aussage, dass Autisten keine Gefühle hätten, hartnäckig bestehen. Das Bild in den Köpfen hat sich dabei von Menschen, die „in ihrer eigenen Welt gefangen sind“ zu einem Bild von hochintelligenten und rein rational handelnden Vulkaniern1 gewandelt. Einer vermeintlich emotionslosen, hochintelligenten Spezies aus dem Star Trek-Universum. Dabei zeigen Autisten durchaus Gefühle. Die Art mit der sie das tun ist dabei jedoch nicht zwingend die gleiche, wie bei Nicht-Autisten, die ihre Gefühle in der Regel durch Gestik/Mimik, Tonlage oder verbale Kommunikation zum Ausdruck bringen. Genau wie Autisten Probleme damit haben, diese Signale bei anderen Menschen zu interpretieren, senden sie diese Signale nicht, oder zumindest anders, aus. Einige der auffälligsten Merkmale bei vielen Autisten sind ungewöhnliche Betonung in der Sprache und auffällige Mimik. Dies bedeutet, dass für Nicht-Autisten, die herausfinden wollen, wie ein Autist sich fühlt bereits zwei von drei Mechanismen ausfallen. Viele der Signale, an denen man im Regelfall festmachen könnte, wie ein Mensch sich grade fühlt bleiben in der Kommunikation aus.
Der für Nicht-Autisten verbleibende Weg ist die verbale Kommunikation. Dieser Weg ist jedoch der vergleichbar unüblichste. Es gibt nicht viele Situationen, in denen Menschen ausgedehnte Diskussionen über ihr aktuelles Gefühlsleben anstrengen. Und selbst wenn sich eine solche Möglichkeit ergibt, besteht zusätzlich das Problem, dass man seine eigenen Gefühle zunächst verstehen muss. Da diese jedoch nicht immer festen Regeln und Mustern unterliegen kann dies ein großes Hindernis sein. Aber selbst wenn man seine eigenen Gefühle identifiziert und verstanden hat, heißt das nicht, dass man diese auch adäquat verbalisieren kann. Die Sprache in der Emotionen kommuniziert wird ist weit weg davon sauber definiert und einheitlich zu sein, so dass es an vielen Stellen einfach keine Sicherheit dafür gibt, auch das passende Wort für die passende Emotion zu finden.

Dabei zeigen auch Autisten Gefühle. Sie tun es nur anders. So anders, dass es nicht auffällt. In meinem Fall ist meine Bereitschaft jemandem eines meiner Bücher zu leihen, nichts anderes, als ein Ausdruck großen Vertrauens. Genau so, wie ich nur Menschen, die ich wirklich mag, freiwillig in meine Wohnung (und damit meinen Rückzugsraum) lassen würde. Handlungen, bei denen sich die meisten Menschen nicht viel denken, da sie für sie keine besondere Bedeutung haben. Diese Beispiele betreffen jedoch nur mich. Die Mittel Emotionen zu kommunizieren sind so unterschiedlich wie die Autisten selbst und lassen sich nicht allgemeingültig beschreiben. Man kann sie jedoch herausfinden, wenn man sich die Zeit nimmt, einen Autisten kennen lernt und der eigenen Neigung, von sich selbst auf andere zu schließen, aktiv entgegen wirkt. Das mag anstrengend sein, kann sich aber im Umgang mit Autisten sehr lohnen.

Du kannst kein Autist sein …

Hinweis: Dieser Artikel betont die negativen Seiten von Autismus sehr stark. Dies sind jedoch bei weitem nicht die einzigen Aspekte, die Autismus ausmachen.


Du kannst kein Autist sein, du schaffst es ja zu studieren.
Du siehst, dass ich es schaffe zu studieren. Vielleicht siehst du sogar meine relativ guten Noten.
Was du nicht siehst sind die Wochenenden, die ich durcharbeiten muss. Um die Vorlesungen nachzuholen, die ich verpasst habe, weil ich zu überfordert war. Wie ich abends ins Bett falle, nachdem ich mir einen gesamten Tag lang nicht habe anmerken lassen, wie sehr meine Kommilitonen mich gestresst haben. Du siehst auch nicht, wie ich nach einer Woche solcher Tage aufgelöst unter meinem Schreibtisch liege.

Du kannst kein Autist sein, du hast eine Beziehung.
Du siehst, dass ich eine Beziehung habe. Was du nicht siehst ist wie viel Arbeit ich darin investiere, die Beziehung nicht an den Problemen scheitern zu lassen, die mein Autismus mit sich bringt. Du siehst nicht, wie lange ich im Nachhinein darüber nachdenken muss, was ich in einer Situation gesagt habe und wie die Antwort darauf gemeint sein könnte. Du siehst nicht wie anstrengend es für meinen Partner ist, dass ich nicht immer in der Lage zu körperlicher Nähe bin. Du siehst auch nicht, dass ich nicht immer in der Lage bin zu kommunizieren wie ich sollte und auch gerne würde.

Du kannst kein Autist sein, du hast Freunde.
Du siehst, dass ich Freunde habe. Was du nicht siehst ist der Aufwand, den es mich neben der Uni kostet, sie zu behalten. Die Tatsache, dass ich mehrere Kalender führe, um es zu schaffen mich regelmäßig zu melden. Wie viel Gedanken ich darin investiere, ihnen nicht versehentlich vor den Kopf zu stoßen. Wie ich aller Mühe zum Trotz manchmal dennoch scheitere. Du siehst auch nicht. wenn manche sich einfach nie wieder melden, ohne dass ich jemals erfahre warum.

Du kannst kein Autist sein, du bloggst/podcastest ja.
Du siehst, dass ich ein Projekt habe, mit dem ich in der Öffentlichkeit stehe, und demnach kein Autist sein kann. Du hörst eine halbe Stunde lang meine Episode und stellst fest, dass ich vollkommen normal bin. Du hast keine Ahnung von den zwei Tagen, an denen ich im Vorfeld das Gespräch vorbereitet habe. Oder dem weiteren Tag Nachbereitung, den es kostet, bis es so klingt als wäre mir das leicht gefallen, so dass die Leute es sich gerne anhören und im Endeffekt vielleicht ein paar Vorurteile weniger über Autisten haben. Davon profitieren am Ende alle Autisten.

Du kannst kein Autist sein, du leidest ja gar nicht.
Du siehst nicht wie ich leide. Das ist richtig. Unabhängig davon, wie viel ich von mir im Internet teile, liegt die Entscheidung darüber was ich teile einzig und allein bei mir. Und auch wenn ich mich über Autismus äußere, liegt es nicht in meiner Pflicht, dir darzulegen, warum ich leide, damit du entscheiden kannst, ob ich genug leide, um Autist zu sein. Zu diesem Schluss kam bereits eine Person, welche mich im Rahmen einer Diagnostik besser beurteilen konnte als du es im Rahmen meiner verkürzten Tweets, meiner dreifach korrekturgelesenen Blogbeiträge und meiner geschnittenen Podcasts jemals können wirst. Wenn ich entscheiden kann was ich über mich teile, dann sollen das nicht ausschließlich die negativen Aspekte von Autismus sein. Die kann man überall nachlesen. Aber nur weil ich sie dir nicht zeige, heißt das nicht, dass sie nicht da sind. Und nur weil ich für deine Maßstäbe nicht öffentlichkeitswirksam genug leide, heißt das nicht, dass ich keine Probleme habe. Geschweige denn, dass dich das etwas angehen würde.

Die Geburt einer Routine

Warum Routinen für mich sinnvoll sind und mir den den Alltag erleichtern, habe ich vor einiger Zeit bereits in einem anderen Text geschrieben. Darauf, wie diese Routinen entstehen, ging ich damals nicht näher ein, sondern stellte lediglich fest, dass sich diese Routinen einfach so ergaben.
Seitdem ist einige Zeit vergangen und das Thema flammte in meinen Gedanken immer mal wieder auf. Insbesondere dann, wenn ich die Bereiche meiner bestehenden Routinen verließ. Dabei kam ich zunehmend zum Schluss, dass diese Routinen durch mehr als Zufall so entstehen, sondern dass ich tatsächlich viel darüber nachdenke. Dabei ist mir jedoch nicht bewusst, dass ich gerade eine Routine plane.

Die Grundvoraussetzung für eine Routine ist naheliegendenderweise eine neue Situation, in der ich mich vorher noch nicht befand und mit der ich keine direkten Erfahrungen habe. Natürlich mache ich mir, sofern die Situation absehbar war, vorher Gedanken über mögliche Probleme und wie ich sie löse, aber im Vorfeld kann man da nie alle Eventualitäten absehen, so dass ab einem gewissen Punkt in der Planung weitere Planung einfach keinen Sinn ergibt.

In der Situation selbst handle ich dann mit einer Mischung aus meinen vorherigen Planungen (sofern der seltene Fall eintritt, dass diese mal mit der Realität kompatibel sind) und Erfahrungen aus ähnlichen Situationen. Dabei hilft es, dass ich nie ganze Ereignisse durchplane, sondern immer nur Teilsituationen. Häufig klappt das ziemlich gut, so ist es zum Beispiel relativ egal, ob ich meine Reisetasche nun am Ende des Besuchs bei meinen Eltern oder in einem Hotelzimmer packe. Manchmal muss ich jedoch auch leichte Anpassungen vornehmen, die aber unter dem Strich immer noch stressärmer sind, als die Herangehensweise an eine komplexe Begebenheit von Grund auf neu zu planen. Ich puzzle mir also aus den vielen kleinen Routinen eine neue Herangehensweise für eine bis dahin unbekannte Situation zusammen.

War es eine einmalige Ausgangslage, war es das an dieser Stelle. Im Idealfall habe ich das Ganze ohne größere Probleme bewältigt und kann mich wieder anderen Problemen zuwenden. In der Praxis ist so etwas jedoch selten einmalig und ich werde sicherlich noch in vergleichbare Gegebenheiten kommen. Durch diesen Aspekt und eine leicht selbstkritische Grundhaltung, gepaart mit Perfektionismus, ergibt es sich, dass ich im Nachhinein oft, ohne es mir vorzunehmen, über das Geschehene nachdenke. Dabei schaue ich, was nicht so gut klappte und was ich in Zukunft anders machen müsste, damit es besser läuft, wenn ich noch einmal in die Situation komme. Dabei muss nicht zwingend etwas schief gelaufen sein, häufig reicht schon der Umstand, dass etwas hätte besser laufen können, um den Ausgangspunkt für eine solche Überlegung zu liefern.

Komme ich erneut in eine solche oder eine vergleichbare Begebenheit, wende ich meine verbesserten Herangehensweisen darauf an und schaue, wie sie funktionieren. Anschließend suche ich erneut nach Verbesserungen. Auf diese Weise entsteht, je häufiger die Situation vorkommt, immer mehr das, was sich als Routine bezeichnen lässt. Dabei habe ich mich zu keinem Zeitpunkt entschlossen jetzt eine Routine zu planen, geschweige denn dieses Vorgehensschema zu entwickeln. Es hat sich über die Zeit entwickelt, ohne dass ich mir seiner Existenz bewusst war, so wie es auch mit vielen meiner Routinen ist. Jetzt stelle ich in der Rückschau fest, dass es mir über Jahre gute Dienste geleistet hat, indem es den Stress in vielen Situationen wesentlich abgemildert hat und ich sehr dankbar dafür bin.

Von anderen Overloads

Es gibt Tage, an denen prasselt die gesamte Umwelt so lange erbarmungslos auf die eigene Wahrnehmung ein, bis sämtliche Kompensationsmechanismen und Tricks an irgendeinem Punkt versagen und man keine andere Wahl mehr hat, als sich schleunigst eine ruhige Ecke zu suchen und dem Overload1 seinen Lauf zu lassen.

So oder so ähnlich ist die klassische Entstehung eines Overloads. Doch dann gibt es noch die wesentlich seltenere Variante, die quasi unbemerkt kommt und deren Entstehungsgeschichte Tage oder sogar Wochen vorher beginnt.So zum Beispiel Klausurenphasen eines Studiums und ihre Vorbereitung. In diesen Phasen gibt es kein einprasseln von Reizen oder keine direkte einzelne Situation, die die Reizfilterung ausschaltet und einen dringenden Rückzug erfordert. Es gibt nur Tage mit sehr viel konzentrierter Arbeit und Treffen von Lerngruppen, an deren Ende viel zu wenig Freizeit steht. Nicht angenehm, aber auch nichts, was einen Overload auslöst.
Problematisch wird es dadurch, dass so eine Klausurenphase dazu neigt, dass eine ganze Reihe dieser Tage aufeinander folgt, ohne dass es dazwischen Tage gibt, an denen man Schlaf aufholen könnte oder Dinge tun kann, die weniger Konzentration erfordern. Man macht einfach weiter und hat auch gar nicht die Zeit darüber nachzudenken, wie es einem gerade eigentlich geht.

Das funktioniert nicht ewig. Jeder dieser Tage, an denen man mehr Energie aufwendet als man gewinnt, geht auf Kosten von Reserven. Je nach der persönlichen Belastungsgrenze sind diese Reserven an irgendeinem Zeitpunkt aufgebraucht. Dass dieser Zeitpunkt erreicht ist, merke ich nur schleichend. Beispielsweise daran, dass ich egal wie sehr ich es versuche nicht schaffe, den Sinn von Texten die ich grade lese aufzunehmen. Oder daran, dass mich selbst Kleinigkeiten, die mich sonst nicht einmal ansatzweise stressen würden, wahnsinnig auf die Palme bringen. Oft braucht es sehr viele dieser Kleinigkeiten bis ich erkenne, dass ich grade scheinbar grundlos in einen Overload rutsche, und dann irgendetwas dagegen unternehmen kann, damit es nicht noch schlimmer wird.

Häufig passiert dies an Tagen, an denen gerade weniger los ist. Wenn ich Glück habe, sind das die Tage, an denen die Stressphase ohnehin endet und ich habe einige Tage Zeit, die Energiereserven wieder aufzufüllen. Habe ich weniger Glück, bleibt an dieser Stelle nur schnellstmöglich eine Ruhepause einzulegen, um die Energie soweit auffüllen zu können, dass ich irgendwie bis zum Ende der Phase weitermachen kann.

Das Phänomen, dass Autisten Dinge tun, die sie eigentlich nicht schaffen sollten, ist dabei kein seltenes. Gerade Autisten die „funktionaler“ erscheinen und denen man ihren Autismus nicht unbedingt anmerkt, sind in der Lage in Situationen, die an ihre Grenzen gehen, weiterzumachen. Dabei verschwinden der Stress und die Überforderung jedoch nicht. Sie werden nur aufgeschoben, bis an irgendeinem Zeitpunkt, an dem kein Auslöser erkennbar ist, der Overload, oder im Extremfall der Meltdown, eintritt.

Ein Tag in meinem Leben

Der Text, der unter dieser Einleitung steht ist für ein Projekt des Blogs dasfotobus entstanden, bei dem möglichst viele Autisten einen normalen Tag in ihrem Leben beschreiben sollen. Die Posts die bereits veröffentlicht wurden könnten unterschiedlicher nicht sein. Wer mitmachen möchte findet alle Informationen die er dazu braucht hier.

Der Text im Orginal auf dasfotobus.


Nach reiflicher Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass die Uhr es ernst meint und es tatsächlich erst fünf Uhr morgens ist. Erfahrungsgemäß ist das nicht die beste Zeit, um wieder einschlafen zu können. Ich verlasse also das Bett, um aus meinem Schaukelstuhl heraus die Liste der Mails abzuarbeiten, die sich in der letzten Woche im Postfach des Blogs angesammelt hat, und dabei eine Menge Kaffee zu konsumieren. Währenddessen werden vor meinem Fenster die Asche und die Gäste der gestrigen Grillparty zusammengefegt. Die nächsten anderthalb Stunden sind geprägt von Empfehlungen für Diagnostiker und dem Ausräumen von Missverständnissen zu meinen Texten.

Gemeinsam mit meinem MP3-Player und meiner Sonnenbrille bin ich auf dem Weg in die 9-Uhr-Vorlesung. Leute, bei denen ich schwöre, sie noch nie zuvor gesehen zu haben, grüßen mich. Ich grüße zurück. Als mir die ersten bekannten Gesichter begegnen, nehme ich die Kopfhörer heraus und ersetze meinen Standard-Gesichtsausdruck durch so etwas Ähnliches wie ein Lächeln, um mir die Frage zu ersparen, warum ich so mies drauf bin.

Zusammen mit einigen Kommilitonen bin ich auf dem Weg, den überfüllten Seminarraum gegen die überfüllte Mensa einzutauschen. Während irgendein Kommilitone von seinem Partywochenende erzählt, verarbeite ich noch die Aussicht auf eine gerade angekündigte mündliche Prüfung, die aber “nur ganz kurz und ganz entspannt sein wird”. Nachdem ich noch eine halbe Stunde unter einer brummenden Lampe in der Mensa verbrachte, komme ich zu dem Entschluss, vor der nächsten Vorlesung besser noch eine Weile den Kopf auf einer Tischplatte abzulegen. Dazu Beethoven und es bestehen realistische Chancen, dass ich nach der nächsten Vorlesung mehr als meinen eigenen Namen weiß. Die Frage, wie egal es mir sein sollte, wie das auf meine Kommilitonen wirkt, habe ich bis heute nicht abschließend für mich geklärt.

Nach zwei weiteren Stunden Vorlesungsnachbereitung und dem Nachlesen meiner Twittertimeline, lasse ich den Abend gegen Mitternacht mit ein paar Folgen M*A*S*H ausklingen. Dass ich die Folgen mitsprechen kann, spricht eher für als gegen die Serie. Während die Vorspannmusik in meinem Zimmer anklingt, wird der Grill vor meinem Fenster wieder aufgebaut.

Hawkeye ist Blogger und Podcaster, der seit einigen Jahren (meistens) rund um Autismus bloggt und podcastet. Was sonst noch in seinem Leben stattfindet, kann man auch auf Twitter lesen.