Literatur rund um Autismus ist ein Dauerproblem, vor dem jeder, der versucht hat eine Literaturliste zu erstellen, schon gestanden hat.
Es ist schwer, Bücher über Autismus zu finden, die wirklich aktuell sind und nicht nur einen kleinen Ausschnitt des Spektrums betrachten, aber so tun als wäre es das ganze.
Noch schwerer ist es Literatur für Autisten zu finden. Es gibt nur sehr wenige Bücher die speziell für Autisten geschrieben wurden, und dann leiden diese oft an den typischen Symptomen von Selbsthilfebüchern: Sie haben den einzig wahren Weg für die Lösung aller Probleme gefunden. Dazu kommt noch eine gewisse “Alles ist möglich wenn du nur genug willst”-Mentalität, die diesen Büchern oftmals einen Wert deutlich unterhalb der Druckkosten beschert.
Aus diesem Grund lese ich recht wenig Bücher über Autismus und für Autisten. Ich suche den Austausch mit anderen Autisten, lese Blogs und gelegentlich auch Foren. Nun ergab es sich, dass Lasse, mit dem ich seit längerem in der Selbsthilfearbeit zu tun habe, ein Buch schrieb was mich neugierig machte.
Lasse von Dingens – Das Chaos da draußen
Aufgrund meiner oben geschilderten Erfahrungen mit Literatur war ich etwas skeptisch bevor ich begann das Buch zu lesen.
Der Autor ist Asperger-Autist, diagnostiziert wurde er mit 32. In diesem Buch sammelte er seine und andere Erfahrungen aus einem Leben mit Autismus. Das Ergebnis ist eine umfangreiche Sammlung von Situationen in denen man als Autist in Probleme geraten kann und Lösungsansätze und Tipps, wie man diese bewältigen könnte. Er gibt Hinweise, worauf es wichtig sein kann zu achten, z.B. bei Vorstellungsgesprächen, oder am Arbeitsplatz.
Dieses Buch soll nicht als Anleitung zum “Nichtautistwerden” verstanden werden. Hier soll kein Druck im Sinne von “Zwang zur Veränderung” erzeugt werden. Jede Veränderung ist nur dann möglich, wenn man selber zu dem inneren Entschluss gelangt ist, diese Änderung auch wirklich selber zu wollen.
(…)
Seine eigenen Möglichkeiten zu nutzen, um sich einfacher in der Welt der Nichtautisten zurecht zu finden, ist noch lange kein “Verrat seiner selbst”, oder ein “Verbiegen zum Wohle der anderen”. Vielmehr ist es als eine zusätzliche Qualifikation zu sehen, sich in zwei unterschiedlichen Welten zu bewegen. Die wenigsten Nichtautisten können dies, da ihnen eine Welt weniger zur Verfügung steht.
Was dieses Buch meiner Meinung nach sehr auszeichnet, ist die Tatsache, dass der Autor gar nicht versucht, eine “Gebrauchsanleitung” für ein Leben mit Autismus zu schreiben, wohl weil ihm klar ist, dass es so etwas nicht geben kann. Anders als viele Bücher, die wie oben erwähnt eine Universallösung verkaufen, betrachtet der Autor die Möglichkeiten die sich ergeben, gibt Hinweise dazu, aber sagt nicht, welche Lösung die richtige ist, weil es keine richtige Lösung gibt.
Das fordert auf der anderen Seite aber auch einiges Nachdenken vom Leser. Es ist nicht immer möglich hier einen kompletten “Fahrplan” aus einem Kapitel zu ziehen, der einen durch die entsprechenden Situationen und Knackpunkte führt. Hier muss der Leser selbst reflektieren und sich einen eigenen Weg erarbeiten. Wobei ich persönlich die Erfahrung gemacht habe, dass ich auf selbst ausgearbeiteten Wegen immer weiter kam, als mit bereits fertig von anderen präsentierten.
Man muss dieses Buch nicht in einem Stück durchlesen. Die Art in der es geschrieben wurde ermöglicht ebenso, es als Nachschlagewerk für einzelne Situationen zu benutzen. Die einzelnen Kapitel sind losgelöst voneinander geschrieben und wo Bezüge zu anderen Kapiteln hergestellt wurden, sind diese direkt mit angegeben.
Alles in allem ist dieses Buch eine nützliche Sammlung von Hinweisen und guten Ratschlägen, einige der Ratschläge in diesem Buch wende ich, teilweise ohne drüber nachzudenken, selbst schon länger an und mache damit ziemlich gute Erfahrungen. Ich fand viele Dinge, über die ich so in der Form bisher noch nicht nachgedacht habe, sodass ich dieses Buch für Menschen, die selbst das Bedürfnis haben, mit ihrem Autismus umgehen zu lernen nur empfehlen kann.
Das Chaos da draußen ist bei Books on Demand erschienen, hat in der Printausgabe 196 Seiten und ist für 14,99€ zu haben. Außerdem ist es für 11,99 als eBook bei den Buchhändlern des Vertrauens erhältlich.
Empfehlung angekommen. Dein Text und Inhalt wie immer klar, eindeutig und hilfreich.
Beste Grüße!
Für mich ist es beunruhigend, dass ich mich immer häufiger in Deinen Beschreibungen wiederfinde. Eigentlich suche ich den sozialen Kontakt, aber wenn er zustandekommt, wird alles rasch kompliziert und ich will wieder zurück in die Einsamkeit. Paradox.
Ein technischer Hinweis an den Autor: Auf Amazon ist es für den Verkauf des E-Books wichtig, in den thematisch passenden Kategorien gelistet zu sein. Die Käufer meines Schilddrüsen-Ratgebers kommen fast alle über Amazon, und dort vermutlich über das Blättern in interessanten Kategorien (bei mir Ratgeber Gesundheit und so weiter). Vielleicht kann BoD das nachholen?
Zumindest an englischsprachiger Fachliteratur mangelt es nicht. Eine umfassende Bibliographie befindet sich in Adam Feinsteins „A History Of Autism“, auf die ich in einem kurzen Artikel dazu (http://beingapart.blogsport.eu/2012/03/adam-feinsteina-history-of-autism-conversations-with-the-pioneers/) hingewiesen habe.
Englischsprachige „Selbsthilfeliteratur“ gibt es viel bei Jessica Kingsley Publishers (http://www.jkp.com/)
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