Hawkeye – a blessing, and a curse

Ich hatte mich überwunden ein Interview zu geben, als ich auf die Frage stieß, was Autismus für mich ist beziehungsweise für mich bedeutet. Die vorherigen Fragen waren allesamt nicht neu für mich gewesen und ich hatte sie mit einer gewissen Routine beantwortet. Diese hier nicht.

Was ist Autismus für mich? Ich hab mittlerweile schon häufig gesagt ich sei Autist, aber darüber, was es ganz privat für mich ist und was es für mich bedeutet, hatte ich noch nie nachgedacht. Wohl auch durch meine verhältnismäßig frühe Diagnose blieb der große Schock “Oh mein Gott, es ist Autismus” aus. Natürlich merke ich schon etwas davon, wenn ich volle 10 Minuten erfolgreich an einem Kommilitonen vorbei rede oder wenn ich nach 9 Stunden FH nicht mehr in der Lage bin, noch irgendetwas außer unförmigen Flecken wahrzunehmen. Aber war das schon alles? Ich prokrastinierte die letzte Frage, aber unterbewusst blieb sie hängen.

Irgendwann später kam mir das Monk-Zitat “It’s a blessing, and a curse” in den Sinn. Der Gedanke hatte etwas. (Erspart uns bitte alle die Monk-Autismus-Debatte, es geht mir lediglich um diesen Gedanken). Ich denke nicht nur über meinen Autismus und seine Auswirklungen nach, wenn es schlecht läuft. Inzwischen saß ich in meinem Schaukelstuhl und ignorierte das Mittagessen, welches vor meinem Rechner stand. Meine Gedanken hatten sich verselbstständigt.

Ich merkte, wie viel ich eigentlich immer mal wieder im Alltag darüber nachdachte. Ich mache die meisten Dinge sehr bewusst und denke viel darüber nach, wie ich sie mache. Da sind auf der einen Seite Mimik und Körpersprache, weil ich es anders nicht kann, aber auch ganz normale Alltagsdinge wie Abwaschen oder Putzen. Das kann manchmal hinderlich sein, weil es lange dauert oder ich zu für Außenstehende abwegig scheinenden Wegen komme, aber manchmal kann es auch nützlich sein, Dinge bewusst anzugehen. Auf diese Weise hat man die Fähigkeit parat, wenn man sie mal braucht. Ich merke nicht immer, wie viel ich eigentlich darüber nachdenke, aber ich merke vor allem, wenn mir die Kapazität fehlt darüber nachzudenken.
Ein Beispiel hierfür ergab sich im Vorfeld des Interviews, wir wollten uns auf einem S- Bahnhof treffen, hatten aber keine weiteren Erkennungszeichen ausgemacht. Irgendwie musste ich herausfinden, wer die beiden waren. Dafür das sie mich ansprechen, bin ich gemeinhin zu unauffällig. Also achtete ich darauf, wer der Leute auf dem Bahnhof vom Alter her passte und aussah, als suchte er jemanden.  Solche Dinge und wo sie herkommen wurden mir immer mal wieder im Alltag bewusst.

Unterm Strich ist Autismus für mich eine Mischung aus Defiziten und Fähigkeiten, nicht einmal ich kann sagen, was gerade was ist. Das macht ihn mit aus. Autismus ist eines von vielen Dingen, die mich ausmachen, mal zum Guten, mal zum Schlechten. Er ist immer da, aber niemals allentscheidend.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

2 thoughts on “Hawkeye – a blessing, and a curse”

  1. labbimix

    Dass dieses bewusste Tun bei Autisten so gut wie bei allem erfolgt, habe ich erst vor kurzem gelernt. Es war für mich als Nicht-Autist eine sehr wichtige Information, denn das erklärt für mich auch, warum Tätigkeiten, die für mich entspannend sind, für einen Autisten nicht unbedingt genauso entspannend sind. Danke, dass Du das für alle lesbar deutlich gemacht hast.

  2. trebnitzer

    Sehr interessanter BlogPost zum Thema. Meine ‚Erkenntnisse‘ zu Autismus entstammen Filmen wie ‚Rainman‘ oder ‚Das Mercury Puzzle‘ – also recht einseitigen und klischeehaften Darstellungen.

    Im Vergleich zur medialen Effekthascherei, in denen Autisten als geniale Freaks ohne echte Beziehung zur Außenwelt dargestellt werden, wirken deine Beschreibungen des Alltags angenehm unaufgeregt und authentisch. Danke dafür und danke auch für ein wenig Aufklärung und diesen faszinierenden Einblick.

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