Von der richtigen Kritik, oder wie bringe ich die Leute dazu mir zuzuhören

Wer sich ein bisschen mit Autismus auseinandersetzt und ansonsten auch regelmäßig sich mal aktuelle Zeitungsartikel zu Gemüte führt wird feststellen, dass das Adjektiv “autistisch” immer mal wieder gerne verwendet wird, um politische Gegner oder ihre Positionen herabzusetzen, so wirft man Merkel gerne mal “politischen Autismus” vor. So etwas ist nicht nett und auch mir als Autist wird da jedes mal anders bei, wenn ich feststelle, dass meine Diagnose scheinbar zur Beleidigung verkommt. Das ganze ist aber alles andere als ein neues Phänomenen mit vielerlei Krankheiten, Behinderungen und Beeinträchtigungen. So ist zum Beispiel “Spasti” schon lange in den Sprachgebrauch vieler Menschen übergegangen, wenn man jemanden beleidigen möchte.

Doch darauf möchte ich an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen. Es gibt noch andere Situationen, in denen der Begriff Autismus verwendet wird. Um die Charaktereigenschaften eines Menschen zu umschreiben, der besonders in sich gekehrt ist. Auch dies kommt häufiger vor, es ist aber ein himmelweiter Unterschied zu dem oben beschriebenen.
Man sollte differenzieren, ob man den Begriff des Autismus so einsetzt, um das gegenüber zu diskreditieren, oder ob man den Begriff des Autismus benutzt, um einen Zustand zu beschreiben. Während im ersten Fall keine besondere Phantasie vonnöten sein sollte um dahinter zu kommen, dass man grad einer Menge Autisten vor den Kopf gestoßen hat, nicht unbedingt aber wenn man den Begriff verwendet hat um einen Zustand der Introvertiertheit zu  beschreiben.

Die Frage die sich in solchen Situationen stellt, ist wie gehe ich damit um. Eine Möglichkeit, die immer wieder gerne favorisiert wird, ist “immer druff” und erst mal davon ausgehen, dass das Ganze in voller Absicht geschah. Ich kann sicherlich verstehen, dass man nach einigen Jahren keinen Bock mehr hat und auch die Nerven vor lauter Falschverwendung des Wortes an diesem Punkt relativ dünn sind. Von daher habe ich durchaus Verständnis dafür, dass, wenn der Begriff Autismus benutzt wird um einen Gegner herabzusetzen, man da schon einmal ein wenig aus der Fassung gerät. Auch mir geht das so.
Das sehe ich allerdings nicht so, wenn Autismus als wertfreie Eigenschaft verwendet wird. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass man viel mehr erreicht, wenn man versucht das Gegenüber aufzuklären und ihm erklärt, warum das jetzt grade irgendwie nicht ganz so toll war das Wort zu verwenden. Auf diese Weise haben sich bei mir schon einige Diskussionen und auf jeden Fall eine Menge Verständnis ergeben. In den meisten Fällen steckt dahinter einfach nur Unwissenheit, die man beseitigen kann, wenn das Gegenüber bereit ist einem zuzuhören, was es wesentlich häufiger ist, wenn man ihm vorher keine böse Absicht unterstellt hat.
Sollte das Gegenüber dann das Ganze doch absichtlich und in vollem Wissen getan haben, so kann man immer noch wütend werden.
Für mich ist dies auch eine Sache von gegenseitiger Toleranz, wenn ich von anderen erwarte, dass sie über meine Fehler und Macken hinwegsehen, oder einfach erklären was schief ging, so muss ich auch zeitgleich von mir selbst Nachsicht für die Fehler der anderen erwarten und erklären statt verurteilen.
Autismus ist längst nicht so bekannt wie es sollte, dessen muss man sich bewusst sein, wenn man mit anderen redet. Immer. Das wird man auch nicht ändern, wenn man die Leute durch eine aggressive Haltung davon abschreckt sich mit Autismus zu beschäftigen.

6 thoughts on “Von der richtigen Kritik, oder wie bringe ich die Leute dazu mir zuzuhören”

  1. AS+

    Wie sollen wir das bloß differenziert angehen? Die Mainstream-Medien sind ja immer so gestrickt, dass sich das Publikum immer nur auf einen Gedanken gleichzeitig konzentrieren kann.

    Wenn man jetzt aber erstmal ein Bewusstsein dafür wecken will, wie Leute denken, fühlen und handeln, die mental völlig anders sind als der Großteil des Publikums, dann verliert man letzteres zu 90% durch schieres Umschalten / Weiterblättern.

    So ein ähnliches Problem habe ich letztens mit Bezug zu Homosexualität gesehen: Eine Aufzählung von Engstirnigkeiten, die von nicht Betroffenen / nicht-Angehörigen ständig geäußert werden (z.B. „schwul“ als Beleidigung gemeint). Grundtenor des Videos: Es nervt!

    Vlt. bräuchte man ein ähnliches Video (bei YouTube o.ä.) für das Autismus-Thema. Sowas wie „Als Autist werde ich häufig mit unfähigen Politikern verglichen. Es nervt!“ 😉

    1. Hawkeye Post Author

      Wer ist wir?
      Was ich persönlich, in diesem Blogbeitrag, erst einmal meinte ist, dass die Leute mehr zuhören, wenn man die Personen nicht gleich angreift, wenn sies einfach nur nicht besser wissen. Das bezog sich jetzt mehr auf den Umgang von Autisten, bzw. Leuten die damit zu tun haben, mit falschen oder unpassenden Aussagen, als auf den Umgang der Medien mit dem Thema Autismus.
      Übrigens gibt es durchaus dute Dokumentationen zum Autismus. Es ist nicht so, das es ein Ding der unmöglichkeit wäre.

  2. netwolff

    Moin moin,

    ich halte deinen Ansatz für den sinnvollsten – wenn das Ziel ist, aufzuklären und Verständnis zu wecken.
    Ein freundliches „Entschuldigung, ich bin Autist und was genau meinen Sie denn, wenn Sie sagen, dass die Person sich autistisch verhält?“ wird mit Sicherheit zu einem guten Gespräch führen.
    Ich kann es allerdings auch sehr gut verstehen, wenn es Tage gibt, an denen so viel Geduld einfach nicht da ist – die hat jeder Mensch mal.

    Was die diskreditierende Nutzung angeht – da hilft auch nur direktes Ansprechen, wenn möglich. Auch hier ist Freundlichkeit notwendig, denn sonst ist umgehend der nächste Stempel gesetzt. Du weißt ja, meine Variante kommt aus der non-violent-communication und würde vermutlich so etwas sein wie:
    „Entschuldigung, als Sie sagten, die führe ihre Politik autistisch hatte ich das Gefühl, sie meinten dies abwertend. Das hat mich persönlich sehr getroffen, da ich selber Autist bin und ich sehr gerne als gleichwertiger Mensch anerkannt werden möchte und nicht als wandelnde Beleidigung. Ich bitte Sie, mir Ihre Ansicht zu erklären, jetzt, wo Sie meine Worte gehört haben.“
    Ich wette, das gibt mindestens Blicke, die Gold wert sind.

    LG
    netwolff

    1. quergedachtes

      Moin,

      Du nun wieder 🙂
      Der Text war übrigens nicht von mir, spiegelt aber genau das wieder was ich auch denke und versuche zu praktizieren.
      Natürlich nervt so manch ein falscher Bezug manchmal schon tierisch, aber etwas erreichen kann man nur mit Aufklärung. Wer zubeisst, ich nenne das ja immer so schön einen Beißreflex, wird nichts erreichen. Im Gegenteil: Letztendlich bestätigt er damit genau die Vorurteile die andere haben.

      Dein Vorschlag ist mir ein wenig zu non-violent 😀 Zumindest für mich klingt er zu kleinmachend und zu schüchtern. Man kann da ruhig „robuster“ auftreten, man sollte nur die Form wahren können 🙂

      Grüße

      Querdenkender

  3. duweisstschonwer

    Dieser Artikel spricht mir schon aus der Seele.
    Jeder fordert die Gleichberechtigung.
    Aber bei machen Menschen iast das sehr einseitig gemeint.
    Da ist dann das Motto: Ich bin anders, also nehmt doch bitte Rücksicht auf mich. Aber im Gegenzug zieh ich mein Ding durch ohne nach rechts und links zu schauen.
    Damit habe ich ganz große Probleme.
    Zum Glück habe ich meinen Kindern (davon zwei mit Autismus) dieses Denken nicht mit auf den Weg gegeben. Sie gehen mit ihrer Behinderung so um, dass nicht jeder den roten Teppich für sie ausrollen muss.
    Leider gibt es auch Andersdenkende, die leider dann ein schlechtes Bild auf alle Anderen werfen.So gibt es dann keine Aufklärung statt sondern nur eine Missstimmung und somit ist das Thema Integration gleich beendet.
    Also – ein bisschen mehr Verständnis auf beiden Seiten, und es geht uns allen besser!

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