Tag Archives: Mein Autismus in 500 Worten

Fee – Autismus heißt für mich, oft sprachlos zu sein

Autismus heißt für mich, oft sprachlos zu sein. Ich habe Worte für Alltägliches, aber keine Worte für meine Gedanken. Das ist manchmal schlimm. Ich würde gerne schreiben – einen Blog oder ein Buch, wie so viele andere es tun, aber meine Gedanken sind oft zu weit weg für Worte. Ich würde auch gerne mehr über die Dinge in meinem Kopf reden, aber es ist schwierig. Ich kann natürlich ein wenig schreiben, tu es ja gerade, aber es ist so anstrengend, dass ich es meistens lasse. Genauso mit dem Reden. Früher habe ich noch Gedichte geschrieben. Da habe ich Worte wie Farben benutzt und damit gemalt (die reine Bedeutung war nebensächlich, eher eine Komposition aus Klängen oder ein Gemälde aus Wortbildern), aber auch das ist mir inzwischen abhanden gekommen.

Autismus heißt für mich ebenfalls massive Probleme mit der exekutiven Funktion. Damit ich Dinge selbstständig tun kann, muss ich sie viele hunderte, tausende Male getan haben, bis sie derart Routine sind, dass sie nicht mehr in zu viele Details zerfallen, die mich gnadenlos überfordern. Das kann so etwas einfaches wie Zähneputzen sein. Es fällt mir leichter zu reagieren, als zu agieren.

Letztendlich bin ich indirekt durch meinen Autismus auch häufig extrem erschöpft. Ich bin so reizoffen, dass mir alles schnell zu viel wird, besonders Geräusche und Lichter und Menschenmassen. Stress kann ich nicht gut aushalten.

Autismus heißt für mich aber auch, jemand zu sein, der sich über Kleinigkeiten wie ein Kind freuen kann, und ich glaube, mein Autismus und meine Andersartigkeit – und die jahrelange Auseinandersetzung damit – lässt mich die Welt heute mit viel Offenheit,Verständnis und Freundlichkeit betrachten.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Fee, 39 Jahre, wurde mit Anfang 20 als Asperger-Autistin mit zusätzlichem ADS diagnostiziert.
Sie liebt Hunde und die Natur und kann hier erreicht werden.

Systemsurfer – Interaktion.exe

Das, was mich bis zuletzt daran zweifeln ließ, ob ich denn wirklich Aspergerautist sei, war die bis heute geläufige Annahme, Autisten hätten ein Problem, Emotionen des Gegenübers wahrzunehmen. Doch die Wahrheit ist das Gegenteil, zumindest für mich: Die Gefühle der Anderen, des Films, den ich schaue, der Musik, die ich höre, drohen mich ständig zu überwältigen. Bin ich unachtsam und habe den „Schalter“ im Kopf nicht umgelegt, bin ich ihnen wehrlos ausgeliefert. Meine einzig verfügbare Reaktion ist dann: unkontrolliertes Weinen. Das irritiert meine Umwelt und ist — in vielen Situationen — unprofessionell; ist der Schalter jedoch umgelegt, wirke ich kalt und distanziert. Dilemma.

Wut und Traurigkeit in der Mimik der Anderen kann ich nicht unterscheiden. Alles, was ich spüre, ist eine fast greifbare Emotionenwand. Ich sage immer: Ich „schmecke“ den Raum. Dass ich mit Gesichtern ohne den Raumgeschmack nichts anfangen kann, ist mir erst bei meiner Diagnose bewusst geworden. Ich kann mit geschlossenen Augen einen Raum betreten und weiß, wie die Stimmung ist, weiß, ob ich den Schalter umlegen muss. Das alles schmecke ich am Gaumen, ganz körperlich, mit meiner Zunge. Am Irritierendsten ist ein Raum voller lachender Gesichter, der aber ganz anders schmeckt. Das passiert häufiger als man denkt; die Menschen sind trauriger als man annehmen könnte.

Man hat mir schon oft den fehlenden Blick für’s Große und Ganze vorgeworfen, besonders im Arbeitsumfeld. Das ominöse Konzept des Multitaskings geht vollkommen an mir vorbei: Ich kann stets nur eine Sache, und NUR eine Sache, die aber dann verdammt gut. Das reicht einem Chef aber fast grundsätzlich nicht. Lenkt man mich ab, habe ich das Spiel schon verloren. Arbeitsanweisungen sind grundsätzlich mangelhaft formuliert und lassen mich oft handlungsunfähig zurück. Anweisungen zwischen den Zeilen nehme ich nicht wahr.

Mein Blick für’s Detail hat nicht Wenige fast zum Wahnsinn getrieben. Die Welt liegt zerpflückt vor mir, und ich sehe mir jedes Stückchen genau an, ringe so lange mit mir, bis ich jedes einzelne beschreiben kann, Worte gefunden habe. Meine Sprache ist bildgewaltig — manchmal zu anstrengend für die Anderen. Das ist zwar eine meiner Stärken, und davon habe ich einige — doch leider kann man damit in dieser leistungs- und profitgeleiteten Welt nicht viel anfangen. Ich sage oft Dinge, die „man nicht sagt“, spreche Dinge an, die nicht angesprochen werden dürfen — und merke es nicht. Ich bin der große Irritator, der, permanent die Welt um sich herum berechnend, inzwischen in der Lage ist, ganz unauffällig zu erscheinen. Die Rechenprozesse auf allen Kanälen bekommt meine Umwelt nur noch selten mit. Das ist wie Multi-Threading im Programmieren, nur eben im echten Leben. Aber wie das mit menschengemachten Programmen so ist: ihre Codes haben Bugs.

Und dann läuft Interaktion.exe in einer Situation plötzlich nicht mehr.
Absturz.
Bluescreen.
Neustart.
Kompensieren, irgendwie.

DAS merken die Menschen: wenn ich plötzlich nicht mehr funktioniere und nur noch schaue, schaukelnd ins Leere starre, die Sprache weg ist. Das merken sie. Dass ich den Code seit 37 Jahren mühsam selbst schreibe, teste, verbessere und gleichzeitig vielleicht der empfindsamste Mensch bin, den sie kennen — das wissen sie nicht.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Systemsurfer ist im Alter von 33 Jahren diagnostiziert worden, hat ein Studium mehrfach abgebrochen und keine Berufsausbildung, liebt aber Philosophie und Literatur. Systemsurfer twittert, schreibt Kurzgeschichten und versucht sich auch an einer Webseite.