Die Barrierefreiheit ist ein Thema, das in Deutschland wenn überhaupt nur im Rahmen von Baumaßnahmen relevant wird. Eine Rampe hier, ein Behindertenparkplatz dort, im besten Fall noch einige Markierungsstreifen im Boden und der Drops ist gelutscht. Häufig gelingt jedoch selbst die Umsetzung dieser Maßnahmen nur schlecht.
Barrierefreiheit (Symbolbild)
Dabei bleibt diese Herangehensweise nur an der Oberfläche und bemüht sich, die offensichtlichsten und gröbsten Nachteile auszugleichen. Das Bewusstsein dafür, dass Barrieren nichts Physisches sein müssen, fehlt den meisten Menschen. So passiert es sogar, dass die wenigen Anbieter von Informationen in Leichter Sprache, die es gibt, sogar dafür angegriffen werden.
Auch für Autisten ist das Thema Barrierefreiheit wichtig. Natürlich ist es vollkommen unmöglich viele der Barrieren, mit denen Autisten tagtäglich konfrontiert werden, durch strukturelle Maßnahmen wie Bauvorschriften oder Gesetze zu verhindern. Ich würde nicht in einem Land leben wollen, in dem es beispielsweise ein staatliches Verbot von Ironie und Sarkasmus gibt.
Es gibt aber auch Barrieren, die sich durch strukturelle Maßnahmen reduzieren oder ganz aus der Welt schaffen ließen. Allen voran sind hier wohl Kommunikations- und Kontaktwege zu Behörden, Ärzten und anderen Institutionen. Viele Autisten haben das Problem, dass das Telefonieren sie sehr anstrengt und großer Überforderung aussetzt. Schlechte Verbindungsqualität, die Ungewissheit, wann der Gesprächspartner fertig mit dem reden ist, die Tonlage als einzigen Hinweis darauf, wie eine Aussage gemeint war sind dabei einige der Probleme, die das Telefonieren für Autisten sehr erschweren. Dabei sind viele Ziele nur durch telefonieren zu erreichen. Das betrifft häufig harmlose Fälle, wie das Bestellen einer Pizza, aber auch sehr kritische Situationen, wie beispielsweise die Tatsache, dass viele Ärzte nur eine telefonische Terminvereinbarung ermöglichen. Selbst viele auf Autismus spezialisierte Einrichtungen bieten als einzigen Kommunikationsweg eine Telefonnummer an.
Dabei wäre diese Barriere ohne nennenswerten Mehraufwand zu beseitigen. Das „Wie“ machen dabei die Pizzadienste vor. Ein einfaches Kontaktformular auf die Seite, oder im Zweifel auch nur eine Mailadresse, die zeitnah abgerufen und bearbeitet wird. Effektiv bestünde hier kaum eine Mehrarbeit für die Beteiligten.
Eine andere Barriere können Orte mit vielen Menschen sein. Einkaufszentren, Weihnachtsmärkte, Fußballspiele, etc.. Menschen in großen Gruppen überfordern. Ein Fakt, an dem sich leider nichts ändern lässt. Häufig bedeutet dies für Autisten, dass sie keine Chance haben, Veranstaltungen mit vielen Menschen zu besuchen. Realistisch gesehen besteht keine Chance die Menschenmassen auf einem Weihnachtsmarkt an einem Adventssamstag auf ein angenehmes Maß zu reduzieren, trotzdem gibt es auch hier Wege, die Autisten den Besuch einer solchen Veranstaltung deutlich einfacher machen können. Dies fängt schon bei der Planung an. Keine Veranstaltung funktioniert ohne einen detaillierten Plan, wo sich was befindet. Würden diese Pläne veröffentlicht werden, würde dies ermöglichen, bereits vor dem Besuch genau zu schauen, zu welchen Orten man möchte und durch mehr Planung den Stresslevel zumindest zu reduzieren. Mit etwas mehr Aufwand wäre es verbunden über die Veranstaltung hinweg Ruheorte zu schaffen. Ein Beispiel hierfür bietet die Bahnhofsmission des Hamburger Bahnhofs, die einen Raum der Stille geschaffen hat.
Eine ähnliche Barriere bietet sich dabei insbesondere auch im Bereich der Gastronomie. Während in Restaurants die Hintergrundmusik in der Regel auf ein akzeptables Maß eingestellt wurde, versagen die meisten Veranstaltungsorganisatoren oder Cafe-Besitzer komplett dabei die Musik auf Hintergrundlautstärke zu belassen. Nicht selten wird dies noch ergänzt dadurch, dass Fernseher so über die Anlage verteilt sind, dass man aus jeder Ecke mindestens einen immer im Blick hat. Auch hier wäre es ein leichtes, einen Teil so zu gestalten, dass er keine Fernseher hat und die Musik dort etwas leiser ist. Ein Nachteil würde nicht entstehen, die Gäste, die für Musik und Fernsehen vorbeikommen, würden sich einfach in die anderen Bereiche setzen.
Dabei sind Fernseher nicht das einzige, das Probleme mit sich bringen kann. Leuchtende, blinkende Werbung im öffentlichen Raum ist speziell dazu gebaut, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was die meisten Nicht-Autisten schon als nervig empfinden kann einen Autisten nachhaltig beeinträchtigen. Auch würde ein Supermarkt, der seine Leuchtstoff-Röhren austauscht bevor sie flackern, mich sofort als Stammkunden gewinnen.
Die zuvor geschilderten Aspekte decken insgesamt vermutlich nur einen kleinen Teil der Barrieren ab, mit denen sich die meisten Autisten im Alltag konfrontiert sehen. Eine vollständige Darstellung würde vermutlich sowohl den Rahmen dieses Textes sprengen als auch daran scheitern, dass nicht alle Autisten auch exakt die gleichen Probleme in den gleichen Ausprägungen haben. Die hier genannten Beispiele können aber einen groben Einblick darin ermöglichen, dass Barrierefreiheit nicht allein eine architektonische Maßnahme ist, die mit ein paar Rampen abgefrühstückt werden kann, sondern etwas, das über viele Bereiche hinweg gedacht werden muss. Dabei muss Barrierefreiheit nicht als Kosten- und Aufwandstreiber gedacht werden, sondern häufig lassen sich mit geringem Aufwand und der Bereitschaft, sich auf die Probleme der Mitmenschen einzulassen, bereits sehr große Verbesserungen erzielen.