sr4as – Was bleibt einem übrig, als das Beste daraus zu machen?

Was war

Anfang 30 wurde bei mir Asperger diagnostiziert. Mal lapidar und kurz erzählt: das Leben davor war geprägt von Schwierigkeiten mit Menschen in Kontakt zu treten, andere zu verstehen, Freunde zu finden, in Gruppen zurechtzukommen. Mein einseitiges Interesse begann mit ca. 8 Jahren, und hat sich bis heute nicht geändert. Freunde und Verwandte haben massenhaft Sprüche wie „er war schon immer eine Person für sich“.

Es ist schon der Hammer, dass mein Hirn mir bauartbedingt ein soziales Verhalten aufzwingt, welches oft inkompatibel ist mit der Norm in der Gesellschaft. Endgültig akzeptiert hatte ich die Diagnose, als selbst meine Mutter zugab, dass sie relativ früh merkte, ich sei anders als andere Kinder.

Das Leben war schwierig, voller Zweifel, Einsamkeit, mal gab ich anderen die Schuld, mal mir selbst, mal den Umständen, mal gab ich alle Hoffnung auf, nur um wieder aufzustehen und weiter zu machen.

Autismus nimmt einem viele Dinge. Gleichzeitig weiß ich auch, dass ich anderen vieles genommen habe. Allen voran meinen Eltern. Ich glaube, Eltern leiden am meisten, wenn ihnen das Kind keine Liebesbezeugung gibt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich sie zuletzt umarmt habe. Auch „neue“ Familienmitglieder haben Schwierigkeiten. Meine Mutter wies mich explizit daraufhin hin, der Schwägerin das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.

Was ist

Geändert hat sich nach der Diagnose nichts. Das Allein sein macht mir zu schaffen. Andererseits: zu viel Zusammensein lässt mich am dritten Tag unerträglich werden. Ich lebe Undercover und meide Diskussionen über Privates.

Das Leben wäre schöner ohne Asperger. Für mich, die Familie, einen Lebenspartner, die Freunde. Aber die Dinge sind, wie sie sind.

Was wird

Mein Spezialinteresse ist mein Lebensinhalt. Es ist nebenbei auch sehr gefragt in der Gesellschaft, was mir ein äußerst angenehmes Leben beschert. Meine Fähigkeiten hatten mir schon einen Führungsposten in einem Konzern eingebracht, eventuell wäre eine Karriere möglich gewesen. Die träge Art, in der Konzerne zu leben pflegen, verträgt sich aber nicht mit meiner Besessenheit in diesem Thema.

Als theoretischer Menschenfreund, will ich meinen positiven Beitrag in der Gesellschaft leisten. Ich habe eine Firma gegründet, die ich langsam etabliere und aufbaue. Wieso sollte ich Erfolg haben? Viele Gründer scheitern, selbst wenn sie nicht mit den Defiziten von Asperger geschlagen sind. Vielleicht habe ich Erfolg, weil ich gerade durch meine Zurückgezogenheit und Besessenheit in jedem Problem weiter kommen kann als andere (und zumindest von meinem Wissen weiter gekommen bin, wenn man den Wertungen meiner früheren Vorgesetzten und Kunden trauen darf). Vielleicht, weil die Defizite von Asperger belanglos sind, wenn die Kacke am Dampfen ist und die Kunden dringend die Lösung für ein Problem brauchen.

Die Gesellschaft ist eine amorphe und heterogene Struktur, mit vielen kleinen unterschiedlichen Stellen, in die man vielleicht reinpasst. Mein Ziel ist meine Stelle zu finden, meine Arbeit zu verrichten, und meinem Leben und meinen SI so einen Sinn zu geben.

Zuletzt…

Asperger ist für mich der Frieden, den ich mit der Gesellschaft und dem Leben geschlossen habe. Niemand trifft eine Schuld, niemand hat sich falsch verhalten. Es ist gut.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

sr4as ist Mitte 30, lebt im Süden Deutschlands und twittert unter selbigem Synonym.