Viele Autisten haben ein Problem mit Therapien. Wenn ich die Aussagen von den Autisten, die sich öffentlich äußern, verallgemeinere, könnte man sagen dass es die Mehrheit ist. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, aber wie Rainer in einem Gespräch mit mir (rf005) anmerkte, dürfte der Hauptgrund dafür negative Erfahrungen mit Psychologen sein, die so weit gehen, dass man in einigen Fällen schon von Traumatisierung sprechen kann.
Ich brauche kaum zu erklären, dass ich vollstes Verständnis dafür habe, wenn Menschen mit diesen Erfahrungen Therapien für sich grundsätzlich ablehnen, sofern sie daraus keine grundsätzliche Haltung konstruieren, dass alle Therapie immer böse ist.
Genau diese Haltung wird aber im Moment wieder zunehmend salonfähig. Auch bei Autisten die keine negativen Erfahrungen im Kontext mit Therapien machten. Dies wird im Regelfall damit begründet, dass man die Autisten ja nur akzeptieren müsste, statt zu versuchen, den Autismus wegzutherapieren.
Menschen die “Therapie ist …” kauften, kauften auch “Alle Autisten sind …”
Ich kann diese Argumentation selten ohne Zusammenbeißen der Zähne ertragen, sehr zur Freude des Autohändlers meines Zahnarztes. Das Problem, das ich mit dieser Argumentation habe, ist nicht, dass ich sie nicht nachvollziehen kann. Das Problem ist, dass sie per se schon eine Verallgemeinerung ins Absurde darstellt.
Natürlich gibt es Therapien, die das strikte Ziel haben, am Ende eine Armee von unauffälligen Otto-Normal-Bürgern zu schaffen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt am Ende davon ein Mensch raus, der einige Therapie bräuchte, um die Therapie zu verarbeiten, und selbst wenn es am Ende funktioniert, dass der Mensch nach außen hin normal wirkt, dürfte das, was von ihm übrig ist, nicht mehr viel mit dem zu tun haben, was zu Beginn da war. Ich bin der Letzte, der leugnet, dass es da draußen eine Heerschar von Leuten gibt, die sich daran gemacht haben, Autisten reihenweise zum Blickkontakt, Lächeln und Hand geben zu zwingen, indem sie der Konditionierung einen coolen neuen Namen gegeben haben.
Das ist das Bild, das vorherrscht, wenn man versucht, über Therapie zu diskutieren. Allerdings ohne jede Differenzierung, dass es hierbei lediglich eine Teilmenge des weiten Feldes unterschiedlicher Therapieansätze abdeckt.
Es gibt da nämlich noch andere Herangehensweisen, die ich ganz gerne als problemorientierte Herangehensweisen bezeichne. Diese Ansätze gehen nicht davon aus, dass Autismus per se etwas ist, das therapiert werden müsste. Genau so wenig stürzen sie sich auf die Symptome. Die Fragestellung hierbei ist eher: An welcher Stelle hat der Mensch eigentlich Probleme, die durch den Autismus bedingt sind und kann man da etwas dran machen?
Wie das konkret aussieht, kommt dann natürlich auf die Probleme an, die im Alltag vorhanden sind. So kann ein soziales oder ein Kommunikationstraining in Einzelfällen zum Beispiel durchaus Sinn machen. Sie werden aber kaum helfen, wenn jemand Probleme damit hat, seinen Tagesablauf zu organisieren.
Überhaupt haben alle Therapien, insbesondere im Autismus-Bereich, die Gemeinsamkeit, dass keine von ihnen der alleinige Weg zur Erlösung ist. Kein seriöser Ansatz ist in der Lage, allen Schwierigkeiten zu begegnen, die Autismus so mitbringen kann.
Die Diskussion, ob eine Therapie Sinn ergibt, und wenn ja welche Therapie, wird fast immer mit ideologischem Beigeschmack geführt. Es gibt die Menschen, die Therapie pauschal als das Einfallstor allen Bösen betrachten, es gibt die Therapeuten die meinen, sie haben DEN Weg gefunden, alles gut zu machen, genau so wie es Leute gibt, die glauben, man könnte und müsste Autismus grundsätzlich therapieren.
Die Lösung liegt wie so oft in der Mitte:
Therapie kann sinnvoll sein, sie muss es aber nicht. Und wenn eine Therapie sinnvoll ist, sollte sie auf den Bereich zugeschnitten sein, in dem das Problem besteht, und nicht auf Basis eines alleinigen Heilsversprechen gewählt werden.
Disclaimer: Ich wurde selbst mehrere Jahre in einer Praxis therapiert, die sich auf Autismus spezialisiert hat und wäre ohne diese Unterstützung aktuell vermutlich nicht in der Lage meine Bachelorarbeit zu schreiben, daher ist eine gewisse Befangenheit nicht vollständig auszuschließen.
Hey Hawk!
We immer ein guter Artikel von Dir!
Wagst du dich demnächst an Kollateral-Effekte und / oder Medikamente? Ggf. als Meinungsbild von betroffenen Autisten?
Gruß
Splitterraum
Ich denke nicht, bei Medikamenten habe ich keinerlei Erfahrung mit, da ich Sie nach Kräften vermeide. Das könnte ich dann nur über Wiedergabe von Fremderfahrungen machen, und dann überlasse ich das liebeer gleich Bloggern, die da aus erster Hand berichten können.
Ich habe eine stärkenorientierte Therapie gemacht.
Motto meiner Therapeutin war: An den Schwächen können wir jahrzehntelang arbeiten. Die bekommen wir nicht weg und es kostet nur Kraft. Aber wir können schauen, wie wir die Stärken fördern.
Und das hilft. Sehr.
Danke für diesen Artikel……
Therapie sollte sich grundsätzlich an den Bedürfnissen orientieren. Dazu ist in erster Linie Vertrauensaufbau notwendig. Ein vernünftiger Therapeut kann dann auch gute Dinge „anschieben“. 🙂
Gruß Anita
(Mutter von 4 Kindern, davon 2 Autsiten, bei den anderen wird „man“ sich nicht einig.)
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