Dieser Tweet ziert seit einigen Wochen die Wand über meinem Schreibtisch. Von einigen Menschen wurde ich daraufhin gefragt, warum denn, da würde doch das totale Klischee von Autismus breitgetreten. Andere fragten mich, warum denn, das hätte ja mal überhaupt nichts mit Autismus zu tun. An dieser Stelle möchte ich erklären, warum ich diesen Tweet sehr passend finde.
Wie ich an einigen Stellen schon erklärt habe, merkt man mir meinen Autismus nicht an.
“Aber Moment, müssten deine Kommilitonen nicht merken, wenn du durch den Vorlesungssaal läufst und Stifte gerade rückst?”
Natürlich würden sie das merken, deshalb mach ich das ja auch nicht. Die Liste der autistischen Verhaltensweisen, die gut erkennbar sind, ist lang. Sei es das Sortieren und Anordnen von Gegenständen, das Flattern mit den Händen oder das Wippen mit dem Oberkörper. Aber das tun Autisten nicht zwingend immer und nicht 24 Stunden am Tag. Bei mir ist es, wie bei vielen anderen Autisten die ich kenne, so, dass viele der autistischen Verhaltensweisen nur dann in den Vordergrund treten, wenn ich einen relativ hohen Stresspegel habe.
”Aber wenn du dir aussuchen kannst, wann du solche Sachen machst, warum machst du sie dann überhaupt?”
Sich selbst zurückzuhalten ist dummerweise nicht immer einfach und kostet einiges an Kraft. Nehmen wir zum Beispiel Hildegard. Es fällt ihr sichtlich schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren und nicht weiter auf die Nudel zu reagieren. Ich brauche dazu keine Nudel, manchmal reicht schon ein weißer Faden auf einem schwarzen Pulli, um diesen Effekt zu erzielen, so dass es mich unheimlich viel Konzentration kostet, dem Gespräch weiter zu folgen.
Ein anderer Punkt ist die Sache mit den Umgebungsreizen. Bekanntermaßen sind Autisten schneller als andere Menschen von zu vielen Reizen in ihrer Umgebung überfordert. Dennoch bin ich unter Umständen dazu in der Lage, mich einer Situation, die eigentlich überfordernd ist, länger auszusetzen. Aber, auch wenn ich (meistens) zum Beispiel in der Lage bin, in einer vollen Bar einen Abend zu verbringen, ohne dass man gegen Ende mit dem Finger auf mich zeigt und tuschelt, brauche ich mit Sicherheit den nächsten Tag Ruhe, um zu regenerieren. Dazu bloggte ich hier schon einmal.
Hier liegt auch das Problem, Asperger als leichte Form oder Vorstufe des Autismus zu bezeichnen. Es ist nicht zwingend leichter, es ist nur bis zu einem gewissen Punkt besser möglich, nach außen hin unaufällig zu wirken.
…was ich nie verstehen werde ist, wie bei meinem Aspi Sohn (12, oft) sooo schnell ein Tilt mit Tränen kommt, und nach kurzer Zeit auch wieder ‚Normalität‘.
Ich habe immer Amgst, dass ihn das für sein ganzes Leben traumatisiert, wenn ich ihn so oft zum Weinen bringe.
Du bist kein Arzt oder Sachverständiger, ich weiß, aber wie verhält man sich da deiner Meinung nach am besten?
Zu deinen Texten: Das beste, was du machen kannst, ist durch deine Erfahrung ein wenig die Brücke zum Verständnis zwischen Aspis und Ntis sein.
Und genau dafür sorgst du mit deinen Texten. Und das sehr gut.
Gruss
Sp
Ist jetzt ein bisschen schwer darauf allgemein zu antworten. Ich kann da nur aus meiner Erfahrung gehen. Wenn ich an das Alter zurückdenke brauchte es bei mir nicht so viel, das bei mir Tränen flossen. Da reichte im Grunde schon „nur“ Überforderung oder eine Situuation mit der ich nicht umgehen konnte. Da sollte man beobachten in welchen Situationen es dazu kommt. (Je nach Kind, kann(!) im Nachhinein(!) darüber reden auch schon mal Erkenntisgewinn bringen.)
Wie man damit umgeht ist eine Frage die sich so garnicht beantworten lässt. Sicherlich sollte man schauen, das man ihn beruhigt, aber wie man das am besten macht ist eben das. Einige Autisten beruhigt man am besten wenn man sie komplett in Ruhe lässt, bei anderen kann es auch durchaus helfen sie in den Arm zu nehmen. Da gibt es leider kein Patentrezept das immer funktioniert.
Wie du schon sagtest bin ich kein Arzt oder ähnliches, wenn ihr irgendwie Unterstützung bekommt, zB, in Form von Therapie wäre es gut das da anzusprechen. Grade wenn du sagst das du Angst hast dein Kind zu traumatisieren solltest du dir Hilfe holen wenn du noch keine hast.
Ich finde diesen Artikel sehr gut und den Tweet sehr passend. Mir hilft es, wenn ich meine Welt um mich ordne, wenn ich überfordert bin, weil es mir das subjektive Gefühl gibt, dass ich die Situation im Griff habe, obwohl es nur ein sehr kleiner Ausschnitt ist. Die Welt an sich ist ein unkontrollierbares Chaos, ständig drohen mir Versagen, Verlusst und Beschämung. Wenn das Chaos am grössten ist, man Schulden hat, einem der Verlusst der Wohnung droht, man mit seiner Arbeit in einer Krise ist, man aber vor Überforderung passiv wird, weil man das Gefühl hat keinen Einfluss auf sein eigenes Leben zu haben, dann kann einen die Störung von Ritualen und Routinen schon zu einem Wutausbruch bringen – der Einfluss den man auf sein eigenes Leben hat ist sehr Gering. Nichtautisten reden sich vielleicht erfolgreicher ein, sie hätten viel Einfluss oder gar die ganze Kontrolle über ihr Leben. Ich sehe auch ein, das es nicht so ist und deshalb ist mir der Sift in einer Betimmten Lage zum Blatt auch sehr wichtig. Wenn etwas außer Kontrolle gerät, was ich sonst kontrollieren kann, ist die Wucht der Emotion in ihrer Intensität genauso gross,quasi Pars pro Toto, wie die Ursache des Ganzen – Bedrohung, Verlusst, Beschämung und Versagen. Die gesammte Bedrohung der Existenz liegt in einem Stift, der vermeintlichen Ordnung. Das Gefühl unterscheidet nicht zwischen Teil und Ganzem, das Gefühl ist absolut. Autismus ist, dassman es selbst nicht „steuern“ kann, meistens, mit welcher Wucht einen einen die Frustration erwischt – sie ist nicht abhängig vom Anlass, sondern von der Ursprungsempfindlichkeit, dem Grad der Ermüdung, dem Energieniveau sozusagen.
Danke! Dieses Zitat ist einfach absolut total treffend.
Ich habe diesen Blog gerade durch die Verlinkung des Postings in einem anderen Blog gefunden und ich muss sagen, dass mir die Beiträge hier Mut machen. Mein Bruder ist ein schlimmer Asperger. (Teilweise so schlimm, dass selbst ich ihn manchmal am Liebsten einfach nur an die Wand klatschen oder in einem schalldichten Raum ohne Handyempfang einsperren würde.) Bei mir wollte noch niemand die Diagnose eindeutig stellen. „Autistische Züge hat jeder Mensch.“ Vielleicht, aber es gibt schon einen Unterschied zwischen autistischen Zügen und handfesten Problemen, welche man nicht einfach so mit einem „schwierigen Charakter“ abtun kann. Mal gucken was sie sie demnächst einfallen lassen. Momentan ist es ADHS, welche eigentlich nur ein „schwieriger Charakter“ ist.
Lieben Gruß!
„Hier liegt auch das Problem, Asperger als leichte Form oder Vorstufe des Autismus zu bezeichnen. Es ist nicht zwingend leichter, es ist nur bis zu einem gewissen Punkt besser möglich, nach außen hin unaufällig zu wirken.“
Perfekt formuliert!
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