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Leserbrief: Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist

Vor einiger Zeit hatte die Welt in ihrem Online-Angebot einen Artikel veröffentlicht, der sich mit der steigenden Anzahl der Autismusdiagnosen befasste. In diesem Artikel wurden einige fragwürdige Aussagen getätigt. Aus diesem Grund freue ich mich, dass mir von einer Fachkraft, eine Kopie eines Leserbriefes als Reaktion auf diesen Artikel zur Verfügung gestellt wurde und ich diesen hier veröffentlichen darf.

Betrifft:
„Wie Autismus zur Modediagnose geworden ist“ von Allen Frances, veröffentlicht in der Online-Ausgabe der „Welt“ am 24.07.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
als langjährig in der Beratung und therapeutischen Unterstützung von Menschen mit Störungen des Autismus-Spektrums und anderen Behinderungen tätiger komme ich nicht umhin, mich zu Ihrem Artikel zu äußern.

Die Zunahme an gestellten Diagnosen aus dem autistischen Spektrum (frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus) in den vergangenen 15 Jahren ist sicherlich ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Autismus insgesamt deutlich mehr ins Interesse der Medien und somit auch der öffentlichen Wahrnehmung getreten ist. Nun aber von einer „Modediagnose“ auszugehen, die unreflektiert und nahezu hürdenlos an Menschen vergeben werde, welche darüber Zugang zu umfangreicher Unterstützung aus öffentlicher Hand erhielten, halte ich für äußerst bedenklich und zu kurz gegriffen.

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Von der richtigen Kritik, oder wie bringe ich die Leute dazu mir zuzuhören

Wer sich ein bisschen mit Autismus auseinandersetzt und ansonsten auch regelmäßig sich mal aktuelle Zeitungsartikel zu Gemüte führt wird feststellen, dass das Adjektiv “autistisch” immer mal wieder gerne verwendet wird, um politische Gegner oder ihre Positionen herabzusetzen, so wirft man Merkel gerne mal “politischen Autismus” vor. So etwas ist nicht nett und auch mir als Autist wird da jedes mal anders bei, wenn ich feststelle, dass meine Diagnose scheinbar zur Beleidigung verkommt. Das ganze ist aber alles andere als ein neues Phänomenen mit vielerlei Krankheiten, Behinderungen und Beeinträchtigungen. So ist zum Beispiel “Spasti” schon lange in den Sprachgebrauch vieler Menschen übergegangen, wenn man jemanden beleidigen möchte.

Doch darauf möchte ich an dieser Stelle gar nicht weiter eingehen. Es gibt noch andere Situationen, in denen der Begriff Autismus verwendet wird. Um die Charaktereigenschaften eines Menschen zu umschreiben, der besonders in sich gekehrt ist. Auch dies kommt häufiger vor, es ist aber ein himmelweiter Unterschied zu dem oben beschriebenen.
Man sollte differenzieren, ob man den Begriff des Autismus so einsetzt, um das gegenüber zu diskreditieren, oder ob man den Begriff des Autismus benutzt, um einen Zustand zu beschreiben. Während im ersten Fall keine besondere Phantasie vonnöten sein sollte um dahinter zu kommen, dass man grad einer Menge Autisten vor den Kopf gestoßen hat, nicht unbedingt aber wenn man den Begriff verwendet hat um einen Zustand der Introvertiertheit zu  beschreiben.

Die Frage die sich in solchen Situationen stellt, ist wie gehe ich damit um. Eine Möglichkeit, die immer wieder gerne favorisiert wird, ist “immer druff” und erst mal davon ausgehen, dass das Ganze in voller Absicht geschah. Ich kann sicherlich verstehen, dass man nach einigen Jahren keinen Bock mehr hat und auch die Nerven vor lauter Falschverwendung des Wortes an diesem Punkt relativ dünn sind. Von daher habe ich durchaus Verständnis dafür, dass, wenn der Begriff Autismus benutzt wird um einen Gegner herabzusetzen, man da schon einmal ein wenig aus der Fassung gerät. Auch mir geht das so.
Das sehe ich allerdings nicht so, wenn Autismus als wertfreie Eigenschaft verwendet wird. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass man viel mehr erreicht, wenn man versucht das Gegenüber aufzuklären und ihm erklärt, warum das jetzt grade irgendwie nicht ganz so toll war das Wort zu verwenden. Auf diese Weise haben sich bei mir schon einige Diskussionen und auf jeden Fall eine Menge Verständnis ergeben. In den meisten Fällen steckt dahinter einfach nur Unwissenheit, die man beseitigen kann, wenn das Gegenüber bereit ist einem zuzuhören, was es wesentlich häufiger ist, wenn man ihm vorher keine böse Absicht unterstellt hat.
Sollte das Gegenüber dann das Ganze doch absichtlich und in vollem Wissen getan haben, so kann man immer noch wütend werden.
Für mich ist dies auch eine Sache von gegenseitiger Toleranz, wenn ich von anderen erwarte, dass sie über meine Fehler und Macken hinwegsehen, oder einfach erklären was schief ging, so muss ich auch zeitgleich von mir selbst Nachsicht für die Fehler der anderen erwarten und erklären statt verurteilen.
Autismus ist längst nicht so bekannt wie es sollte, dessen muss man sich bewusst sein, wenn man mit anderen redet. Immer. Das wird man auch nicht ändern, wenn man die Leute durch eine aggressive Haltung davon abschreckt sich mit Autismus zu beschäftigen.