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Grenzwertbetrachtung

Ich könnte an dieser Stelle mit meiner Bildung angeben und mir hochtrabende Zitate über das Überschreiten des Rubikon zusammengooglen. Ich kann aber auch einfach so einen Text über die eigenen Grenzen zu schreiben.

Jeder Mensch hat Grenzen, aber nicht jeder Mensch ist sich dieser Grenzen auch bewusst. Bis ich mir meiner Grenzen wirklich bewusst wurde, verging nach meiner Diagnose noch einige Zeit. Und noch länger, bis ich in der Lage war, meine Grenzen auch zu berücksichtigen. Das bekamen in meiner Jugend vermutlich am meisten meine Eltern zu spüren, wenn ich über den Tag so viel Energie in Schule und Ehrenamt aufgewendet hatte, das nicht mehr genug Konzentration dafür übrig war, mit ihnen einigermaßen klarzukommen. Im Nachhinein kann ich sagen, dass vermutlich die Schule allein ausgereicht hätte, um mich auszulasten. Das wurde auch nur bedingt besser, nachdem ich zu lernen begann, mehr Rücksicht auf meine eigenen Bedürfnisse zu nehmen. Zwar hatte ich in der Schule die Möglichkeit, mir eine ruhige Ecke zu suchen, aber die Schule an sich stellt genügend Anforderungen, denen man nicht entgehen kann. Zumindest nicht, wenn man in irgendeiner Weise an  einigermaßen erträglichen Noten interessiert ist. So oft, wie ich mit Eltern schon diskutierte, warum ihre Kinder ausflippen wenn sie nach Hause kommen, obwohl es in der Schule doch ging, scheint die Schule allein schon in der Lage zu sein, die Grenzen von vielen Autisten zu überschreiten.

Nun lernte ich irgendwann, dass ich Grenzen habe und es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, auf diese dann auch mal Rücksicht zu nehmen. Noch dazu lernte ich irgendwann auch “Nein” zu sagen und nicht immer jedem ohne Rücksicht auf eigene Verluste zu helfen. Ich lernte meine Kräfte so aufzuteilen, dass ich damit über den Tag komme und der Streit wurde weniger. An dieser Stelle könnte ich den Blogpost schließen, aber irgendwie bin ich nicht in der Stimmung für künstliche Happy Ends. Das Problem ist, dass diese Grenzen keine harten Mauern mit Stacheldraht davor sind. Vielmehr sind es mehrere Grenzen, die unterschiedlich  schwer zu überwinden sind. Aber keine dieser Grenzübertritte bleibt folgenlos.

Überwindung fängt schon an, wenn ich die Wohlfühlgrenze überschreite. Das kann  mitunter durch  ganz unterschiedliche Situationen geschehen, wie zum Beispiel das Einkaufen in einem überfüllten Supermarkt. Unter idealen Bedingungen, mit Sonnenbrille, guten Kopfhörern und einem geringen Anteil an Interaktionsbedürftigen Kunden oder Angestellten, brauche ich danach knapp 2h Ruhe um wieder einigermaßen auf das gleiche Level an Leistungsfähigkeit zurück zu kommen, welches ich vor dem Supermarktbesuch hatte. Unter schlechteren Bedingungen kann es mitunter  passieren, dass ich den Rest des Tages nicht mehr viel Konstruktives schaffe und man an solchen Tagen auch nicht viel Sozialkompetenz erwarten sollte.

Größere Grenzübertritte bezahle ich in der Regel mit höheren Regenerationszeiten und Zeiten, in denen die soziale Interaktion nicht auf dem Level funktioniert, dass ich mir über die Jahre erarbeitet habe. Mitunter kann es passieren, dass ich schon in der Situation selbst nicht mehr vollständig angepasst und vor  allem angemessen interagiere. So passieren mir zum Beispiel bei Gruppenarbeiten, die sich über mehrere Tage hinziehen, mit steigender Zeit häufiger Mal Patzer, die mir unter normalen Bedingungen nicht passiert wären.

Das Überschreiten der persönlichen Grenzen funktioniert so lange, wie ich zwischen diesen Situationen ausreichende Erholungsphasen zugestanden bekomme. Kritisch ist es, wenn Termine so nah beieinander liegen, dass dazwischen keine Zeit bleibt, um wieder runter zu  kommen. Passiert das zu oft, sinkt meine Konzentration und damit meine  Sozialkompetenz kontinuierlich. Die Zeit, die ich brauche um mich wieder zu  erholen, potenziert sich von fehlender Erholung zu fehlender Erholung immer mehr, bis ich irgendwann außerhalb der Situationen, in denen ich irgendwie funktionieren muss, nur noch ohne nennenswerte Aktivität vor mich hin existiere. In so einer Situation helfen auch komplett freie Tage nur insoweit, als dass sie verhindern, dass es noch schlimmer um meine Kraftreserven steht und ich somit  noch ein bisschen länger durchhalte.

Aktuell befinde ich mich am Ende einer solchen Phase, die durch mein Studium bedingt war und mehrere Monate anhielt. Es brauchte einige freie Wochen und einige Tage am Strand, damit ich überhaupt wieder in der Lage war, diesen Text zu tippen und ich habe die Befürchtung, bis ich wieder so belastbar bin  wie vor dieser Phase, wird es mehr Zeit brauchen, als die vor mir liegenden Semesterferien bieten. Und während ich das hier schreibe, erklärt irgendwer ungefragt Autisten, dass sie sich ja nur mal zusammenreißen und über ihren Schatten springen müssen.

Therapie

Viele Autisten haben ein Problem mit Therapien. Wenn ich die Aussagen von den Autisten, die sich öffentlich äußern, verallgemeinere, könnte man sagen dass es die Mehrheit ist. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, aber wie Rainer in einem Gespräch mit mir (rf005) anmerkte, dürfte der Hauptgrund dafür negative Erfahrungen mit  Psychologen sein, die so weit gehen, dass man in einigen Fällen schon von Traumatisierung sprechen kann.
Ich brauche kaum zu erklären, dass ich  vollstes Verständnis dafür  habe, wenn Menschen mit diesen Erfahrungen Therapien für sich grundsätzlich ablehnen, sofern sie daraus keine grundsätzliche Haltung konstruieren, dass alle Therapie immer böse ist.

Genau diese Haltung wird aber im Moment wieder zunehmend salonfähig. Auch bei Autisten die keine negativen Erfahrungen im Kontext mit Therapien machten. Dies wird im Regelfall damit begründet, dass man die Autisten ja nur akzeptieren müsste, statt zu versuchen, den Autismus wegzutherapieren.

Menschen die “Therapie ist …” kauften, kauften auch “Alle Autisten sind  …”

Ich kann diese Argumentation selten ohne Zusammenbeißen der Zähne ertragen, sehr zur Freude des Autohändlers meines Zahnarztes. Das Problem, das ich mit dieser Argumentation habe, ist nicht, dass ich sie nicht nachvollziehen kann. Das Problem ist, dass sie per se schon eine Verallgemeinerung ins Absurde darstellt.
Natürlich gibt es Therapien, die das strikte Ziel haben, am Ende eine Armee von unauffälligen Otto-Normal-Bürgern zu schaffen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt am Ende davon ein Mensch raus, der einige Therapie bräuchte, um die Therapie zu verarbeiten, und selbst wenn es am Ende funktioniert, dass der Mensch nach außen hin normal wirkt, dürfte das, was von ihm übrig ist, nicht mehr viel mit dem zu tun haben, was zu Beginn da war. Ich bin der Letzte,  der leugnet, dass es da draußen eine Heerschar von Leuten gibt, die sich daran gemacht haben, Autisten reihenweise zum Blickkontakt, Lächeln und Hand geben zu zwingen, indem sie der Konditionierung einen coolen neuen Namen gegeben haben.
Das ist das Bild, das vorherrscht, wenn man versucht, über Therapie zu diskutieren. Allerdings ohne jede Differenzierung, dass es hierbei lediglich eine Teilmenge des weiten Feldes unterschiedlicher Therapieansätze abdeckt.

Es gibt da nämlich noch andere Herangehensweisen, die ich ganz gerne als  problemorientierte Herangehensweisen bezeichne. Diese Ansätze gehen nicht davon aus, dass Autismus per se etwas ist, das therapiert werden müsste. Genau so wenig stürzen sie sich auf die Symptome. Die Fragestellung hierbei ist eher: An welcher Stelle hat der Mensch eigentlich Probleme, die durch den Autismus bedingt sind und kann man da etwas dran machen?
Wie das konkret aussieht, kommt dann natürlich auf die Probleme an, die im Alltag vorhanden sind. So kann ein soziales oder ein Kommunikationstraining in Einzelfällen zum Beispiel durchaus Sinn machen. Sie werden aber kaum helfen, wenn jemand Probleme damit hat, seinen Tagesablauf zu organisieren.
Überhaupt haben alle Therapien, insbesondere im Autismus-Bereich, die Gemeinsamkeit, dass keine von ihnen der alleinige Weg zur Erlösung ist. Kein seriöser Ansatz ist in der Lage, allen Schwierigkeiten zu begegnen, die Autismus so mitbringen kann.

Die Diskussion, ob eine Therapie Sinn ergibt, und wenn ja welche Therapie, wird fast immer mit ideologischem Beigeschmack geführt. Es gibt die Menschen, die Therapie pauschal als das Einfallstor allen Bösen betrachten, es gibt die Therapeuten die meinen, sie haben DEN Weg gefunden, alles gut zu machen, genau so wie es Leute gibt, die glauben, man könnte und müsste Autismus grundsätzlich therapieren.
Die Lösung liegt wie so oft in der Mitte:

Therapie kann sinnvoll sein, sie muss es aber nicht. Und wenn eine Therapie sinnvoll ist, sollte sie auf den Bereich zugeschnitten sein, in dem das Problem besteht, und nicht auf Basis eines alleinigen Heilsversprechen gewählt werden.

Disclaimer: Ich wurde selbst mehrere Jahre in einer Praxis therapiert, die sich auf Autismus spezialisiert hat und wäre ohne diese Unterstützung aktuell vermutlich nicht in der Lage meine Bachelorarbeit zu schreiben, daher ist eine gewisse Befangenheit nicht vollständig auszuschließen.

Bedeutungwandel

Ich könnte mich jetzt über die Zeit aufregen, die beim fröhlichen Griff in die Buzzword-Schublade mal wieder Autismus rauszog. Bringt aber nichts. Auch wenn der Begriff „sexueller Autismus“ so unbeschreiblich ist, dass man sich über Seiten damit auseinander setzen könnte.

Autismus ist im Mainstream angekommen. Schon seit einiger Zeit stößt man beim Lesen immer öfter auf den Begriff. Würde das bedeuten, dass mehr aufgeklärt wird und dass die ganzen Vorurteile endlich abgebaut werden, würde ich jetzt nicht diese Zeilen tippen, sondern Konfetti-werfend über den Wohnheimflur hüpfen.

Leider hat der Autismusbegriff im Mainstream relativ wenig mit Autismus zu tun, sondern ist eine Metapher. Je nach Lust und Laune des Autors, eine Metapher für alles, das gerade nicht seinen Vorstellungen entspricht, wie Sozialverhalten und zwischenmenschliche Interaktion auszusehen haben. Zu den Gründen, warum der Autor das womöglich tut, will ich mich gar nicht auslassen.

Wenn man die Autoren in solchen Situationen fragt, hat man gute Chancen erklärt zu bekommen, dass gar nicht die Störung gemeint sei, sondern dass es lediglich ein Ausdruck für die Ich-Bezogenheit sei. Schließlich komme das Wort ja vom griechischen Begriff für "selbst".

Manchmal schwappt in solchen Aussagen auch gleich noch der Vorwurf mit, man solle sich doch nicht zwanghaft angegriffen fühlen.

Das Problem, das ich habe, ist nicht, dass ich mich angegriffen fühle.

Mir ist durchaus klar, dass der Urheber des Textes nicht den ICD zu Rate zog, als er anfing von Autismus zu schreiben, sondern, dass er ihn ganz natürlich als Metapher für irgend etwas nahm.

Ich kann das aber auch doof finden, ohne mich angegriffen zu fühlen. Ich denke nämlich nicht, dass der Leser, der sich rein zufällig nicht mit Autismus auskennt, diesen Schritt der Differenzierung zwischen medizinischem Autismus und metaphorischem Autismus macht. Warum denn auch? Autisten sind doch diese immer etwas komischen Menschen, die ihre eigene Welt nur verlassen, um Amok zu laufen [Anm. d. Red.: Der Autor verwendet hier sowohl das Stilmittel der Übertreibung, als auch eine sehr große Portion Notwehr-Sarkasmus]. Es besteht also überhaupt kein Grund da irgendwie zu differenzieren.

Durch das Verwenden dieser Metapher, so nah sie evtl. auch an der ursprünglichen Wortbedeutung liegen mag, wird die ohnehin schon negative Konotation* des Wortes "Autismus" einbetoniert, denn von der ursprünglichen Bedeutung ist im alltäglichen Sprachgebrauch nichts mehr übrig. Es gibt im Duden keine zwei Einträge, für die medizinische und die metaphorische Definition, sondern eine einzige und die ist im Kontext der Medizin und Psychologie eingeordnet.

Das ist der Kontext in dem dieser Begriff verstanden wird und sollte daher auch der einzige Kontext sein, in dem er verwendet wird.

So bleibt mir zum Schluss nichts anderes als mich der Feststellung von die ennomane anzuschließen:

Sie können (…) dazu beitragen, das Leben von Autisten angenehmer zu gestalten, indem Sie das Wort nur in seiner korrekten Bedeutung verwenden. Ganz nebenbei werden Ihre Texte klarer und verständlicher.

Routinen

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„The same procedure as last year?“

„The same procedure as every year.“

Dinner for One(1963)

 

Routinen sind ein klassisches und oft genanntes Autismussymptom. Viele Autisten haben sie, manche benannten sogar Bücher nach ihnen. Sie können gewisse Handlungs- oder Gesprächsabläufe umfassen und zeigen sich im allgemeinen auf sehr unterschiedliche Weisen. Für Außenstehende sind sie jedoch nicht immer logisch und nachvollziehbar. Ich werde öfter gefragt, warum diese Routinen für Autisten so wichtig sind und ob es wirklich so schlimm ist, wenn mal etwas nicht so klappt. Hier der Versuch einer Erklärung auf Grundlage meiner Erfahrungen und der Gespräche mit anderen Autisten:

  • Aufstehen.
  • Im Halbschlaf das Smartphone neben mir greifen, nachschauen ob irgendjemand etwas von mir wollte und ob spontan irgendwelche Vorlesungen ausfallen, so dass ich nicht aufstehen muss.
  • Auf dem Weg ins Bad die Kaffeemaschine anwerfen.
  • Auf dem Rückweg den Kaffee mitnehmen und im weiteren Verlauf trinken.
  • Kontrollieren, ob alles in der Tasche ist, was ich über den Tag brauchen werde.
  • MP3-Player, Smartphone, Portemonnaie und Schlüssel auf die Hosentaschen verteilen, alles noch einmal durchgehen, ob es auch wirklich da ist.
  • Tür hinter sich abschließen, Schlüssel in die rechte Jackentasche stecken.

So gestaltet sich ein üblicher Morgen eines Uni/Arbeitstags bei mir. Hinter diesem Ablauf steckt keine konkrete Planung. Er ergab sich so.  Sogar, ohne dass mir bewusst war, dass ich den Morgen immer in dieser Reihenfolge verbringe, bis ich für diesen Text anfing darüber nachzudenken, welche Routinen ich in meinem Alltag so habe. Dieser Ablauf wuchs mit der Zeit.

Routinen haben etwas Beruhigendes und Entspannendes. Die meisten Situationen, in denen ich im Alltag bin, zeichnen sich dadurch aus, dass ich auf Dinge achten und mich auf Dinge konzentrieren muss, die andere ohne nachzudenken tun oder die sie nicht mal bewusst wahrnehmen. Viele Sachen, die implizit klar sind, muss ich mir erst bewusst schlussfolgern. Gibt es in einer entsprechenden Situation schon eine Routine heißt das, dass ich über einige Teile der Situation nicht mehr nachdenken muss. Auf diese Weise kann ich viele Situationen eher bewältigen, die ich sonst nicht so ohne weiteres bewältigen könnte, da sie zu komplex sind.
So bin ich zum Beispiel durch die reine Existenz der beschriebenen Morgenroutine in Lage, mich gedanklich auf den kommenden Tag und die an mich gestellten Anforderungen vorzubereiten, weil ich mir keine Gedanken darüber machen muss, was ich grade mache. Auf diese Weise starte ich entspannter in den Tag.

Ein weiterer Aspekt von Routinen ist die Sicherheit, die sie bieten. Ich habe einen Weg, den ich kenne, auf dem ich das gewünschte Ziel erreichen kann, und der, insofern die Routine erprobt und bewährt ist, mich davor schützt, dass Dinge schief laufen. Das bringt mir in der Praxis oft viel mehr, als einen neueren, und für Außenstehende besseren, Weg auszuprobieren.
An meinem konkreten Beispiel stellt zum Beispiel das Kontrollieren meines Rucksacks und meiner Hosentasche sicher, dass ich nichts vergessen hab. Außerdem bietet diese Routine eine Möglichkeit zu kontrollieren, ob ich meine Zimmertür abgeschlossen habe. Ist der Schlüssel nicht in der rechten Jackentasche, muss ich noch einmal zurück gehen. Die Tage an denen ich noch einmal auf halber Strecke zurück zum Wohnheim lief, um zu kontrollieren, hat sich seitdem auf ein Minimum reduziert, und der Hausmeister schaut mich auch seltener an, als ob ich geisteskrank wäre.

Das alles funktioniert so lange, wie mich niemand in meiner Routine stört. Diese Störung kann je nach Situation und Routine unterschiedlich aussehen. Meine Morgenroutine ist verhältnismäßig unempfindlich gegen Störungen. Ich habe zum Beispiel morgens meist genügend Zeitpuffer, dass auch mal ein Mitbewohner vor mir im Bad sein kann. Kritisch wird es an den Stellen, an denen mehrere Störereignisse zusammenkommen, wie zum Beispiel ein Verschlafen und ein Mitbewohner. Bei anderen Routinen reichen auch durchaus schon einzelne Störereignisse von außen, um mich aus dem Konzept zu bringen.
Wenn das geschieht, merke ich die Auswirkungen recht schnell. Ich muss wieder über Dinge nachdenken, die vorher automatisiert abliefen, ich brauche dafür mehr Konzentration, die mir dann an anderer Stelle fehlt. Dazu kommt die Unsicherheit. Durch die Störung oder sogar den Wegfall meiner Routine, habe ich den den sicheren Weg zum Ziel verloren. Metaphorisch gesprochen fehlt mir die bewährte Karte durchs Minenfeld und ich probiere bei jedem Stein, auf den ich trete, aus, ob er nun explodiert und mir fehlt jede Gewissheit, ob ich das andere Ziel erreichen kann.

All das hier Beschriebene kann in unterschiedlichen Abstufungen stattfinden. Wie bei beinahe allem spielt auch hier der Stresspegel mit hinein, wie sehr mich eine Störung betrifft und wie gut ich sie noch ausgleichen kann. Insgesamt sehe ich meine Routinen jedoch nicht als ein Symptom von Autismus, sondern viel mehr als eines von vielen Hilfsmitteln, das mir dabei hilft, mit meinem Autismus besser umzugehen.

Mitgefühl

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Autisten sind nicht in der Lage, Mitgefühl gegenüber anderen zu empfinden.

Auch wenn man bei Erklärungen zu den häufigen Vorurteilen wohl irgendwann eine gewisse Routine entwickelt, gibt es einige weit verbreitete Ansichten, bei denen Erklärungen und Diskussionen niemals entspannt sein werden.
Dieser Satz und seine diversen Variationen ist eine davon.

Natürlich sind Autisten in der Lage, Mitgefühl zu empfinden.

Ich sehe zwei große Ursachen dafür, dass sich diese Ansicht so hartnäckig hält. Auf die erste Ursache brauche ich an dieser Stelle nicht detailliert einzugehen, da mir Mela in einem anderen Artikel zuvor kam.
Um es kurz zu fassen: Das Mitfühlen ist nicht das Problem. Das Problem ist es zu erkennen, dass es da etwas zum Mitfühlen gibt. Wenn man diesen Schritt gemacht hat, liegt der nächste Schritt darin, das Gefühl überhaupt zu erkennen, auf das reagiert werden soll.
Wenn ich diese beiden Schritte zu einem irgendwie befriedigenden Ergebnis gebracht habe, klappt das mit der Empathie meist recht gut. Das bedeutet aber in den meisten Fällen, dass ich mich bewusst damit beschäftigt habe. Außerdem brauche ich eine Erfahrung, die ich zumindest grob auf die andere Situation übertragen kann. Die Fälle, in denen ich nicht nachdenken muss, sind meist die Fälle, in denen ich das Geschilderte eins zu eins erlebt habe. Dann kann dazu auf Anhieb die passende Emotion abgerufen werden. Wenn ich auf der anderen Seite für eine Situation keine Grundlage hab, bin ich nicht in der Lage, mich in diesen Menschen hineinzuversetzen. In so einem Fall habe ich aus den diversen Jahren, die ich mich gezielt mit meinen Mitmenschen auseinandersetze, für viele Situationen theoretisches Wissen, wie diese sich in einer entsprechenden Situationen wohl fühlen, aufgebaut.
Eine weitere Sichtweise darauf, wie das Mitfühlen bei ihr funktioniert, beschreibt fotobus in ihrem Blogbeitrag, der sich ebenfalls mit diesem Phänomen befasst.

Ein anderes Problem, zu dem ich eher selten Informationen finde, das ich aber in diesem Kontext für wichtig halte, ist die Diskrepanz zwischen dem Empfinden eines Gefühls und dem Darstellen dieses Gefühls nach außen hin. Die Annahme, dass etwas nicht existiert, lediglich weil es nicht wahrgenommen wird, ist unter vielen Menschen weit verbreitet.

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Angriff der Killerautisten

Mit einem Timing, das nicht besser hätte sein können, waren Wendelherz und ich gestern eingeladen worden, gemeinsam mit @ennomane und @astefanowitsch einen Podcast aufzunehmen.

Ausgehend vom Spiegel-Artikel sprechen wir über diverse Themen rund um Autismus, versuchen so etwas wie einen Überblick zu geben und erzählen dazu aus unserer Perspektive.
Irgendwann dazwischen demontiert @astefanowitsch noch die „Entschuldigung“, die der Spiegel mittlerweile veröffentlicht hat, sehr ausgbiebig.

Das Ganze kann man hier anhören:

Themen und Köpfe 2: Angriff der Killerautisten

 

[Edit: Formulierungen glatt gebügelt]

Überlebenspaket

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(Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Fuchskind.de)

 

Für die Wahl meiner Jacken gibt es nach “passen” und “nicht hässlich” ein drittes Ausschlusskriterium: Stauraum.

Das war eigentlich schon immer so, ich hatte immer ein festes Repertoire an Dingen, die ich dabei hatte, was sich, außer einem hinzuadoptiertem Smartphone, nie geändert hat. Irgendwann fand ich dann diesen Cartoon und fand mich darin so sehr wieder, dass ich anfing darüber nachzudenken und mich mit anderen Autisten unterhielt. Es stellte sich heraus, dass ich gar nicht mal so allein damit war und das viele Autisten so ihre Gegenstände haben, mit denen sie so durch den Alltag kommen und die sie immer dabei haben. Was ich nun hier machen möchte ist eine kleine Sammlung von den Dingen, die ich von mir oder von Unterhaltungen mit anderen Autisten so kenne und wie sie helfen. Sie erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit und auch nicht alles was hier steht wird auch allen helfen. Vermutlich haben sogar einige der hier geschilderten Dinge das Potenzial andere wahnsinnig zu machen.  Wer also am Ende der Meinung ist, ich hätte hier etwas vergessen, was ihm wunderbar hilft und was eventuell sogar noch anderen helfen kann, darf dies gerne in den Kommentaren nachtragen.

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Extremismus

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Schließen Sie für einen kurzen Moment Ihre Augen und stellen Sie sich ein autistisches Kind vor.

 

 

Vermutlich hatten Sie gerade ein alleine auf dem Boden sitzendes, schweigendes Kind vor Augen, das in ein Spielzeug vertieft da sitzt.

Wenn nicht hatten Sie vermutlich Berührungspunkte mit Autismus, die über die Flyer von Elternorganisationen und Fernsehdokus mit Coldplay-Musikuntermalung hinaus gehen. Herzlichen Glückwunsch dazu! Vermutlich müssen Sie diesen Text nicht weiter lesen, dürfen es aber gerne, oder Sie backen mir ein paar Kekse.
Wenn Sie zu den Menschen gehören, die ein ähnliches oder gleiches Bild wie beschrieben vor Augen hatten, könnte es vermutlich nicht schaden weiterzulesen. Natürlich dürfen Sie mir trotzdem Kekse backen.

Direkt vorweg, ich will hier gar nicht erst anfangen, mich zu den Ursachen dieses weiter verbreiteten Bildes auszulassen. Damit ließen sich vermutlich ganze Bücher füllen. Es geht mir lediglich darum, zu schildern wie Autismus aussehen kann.

Wie bereits an anderen Stellen erwähnt, ist Autismus ein Spektrum, dies bezieht sich nicht nur auf die Probleme, die Menschen mit Autismus haben, sondern auch darauf, wie die Wirkung, die autistische Menschen nach außen hin haben, ist.
Am einen Ende dieses Spektrums steht der introvertierte, nicht-, bis wenig-redende Autist, der am liebsten seinen Kram für sich macht. Dieses Bild kennen wir. Betrachtet man nun einmal das andere Ende dieses Spektrums, so findet man dort ein Bild, was man gemeinhin nicht mit Autismus assoziieren würde.
Wir würden einen autistischen Menschen sehen, der sehr viel redet und sehr viel von sich mitteilt, Gespräche an sich reißt und das Bedürfnis hat, immer im Mittelpunkt der Situation zu sein. Continue reading »