Sophia – Mein Autismus in 500 Worten

Schon früh habe ich gemerkt, dass ich irgendwie anders bin als andere. Dieses Gefühl des Andersseins, des Sich-fremd-Fühlens zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Mal stärker, mal weniger stark, aber doch irgendwie immer vorhanden. Im Laufe der Jahre und auch mit therapeutischer Hilfe lernte ich zwar, wie soziale Interaktion funktioniert und inzwischen kann ich sogar von mir aus Kontakte zu anderen Menschen knüpfen. Doch so richtig „zu Hause“ fühle ich mich selbst in dem Freundeskreis, in welchem ich seit zwei Jahren festes Mitglied bin, noch immer nicht. Vielleicht auch, weil es sich für mich noch immer seltsam anfühlt, überhaupt so etwas wie Freunde zu haben. Für mich ist das nicht selbstverständlich, sondern ein Luxus. Es ist nicht so, dass ich vorher nie Freundschaften gehabt hätte, aber es war immer mit großen Mühen verbunden, diese aufrecht zu erhalten und so verliefen sie alle -mal nach kurzer, mal nach längerer Zeit- im Sand. Insofern bedeutet der Freundeskreis, in welchem ich zurzeit integriert bin, ein großes Glück für mich, auch wenn ich mich dort, wie gesagt, immer noch etwas fremd fühle.

Im Herbst fange ich an zu studieren, darauf freue ich mich, habe aber auch Angst. Einerseits bedeutet das Studium wieder mehr Struktur, klar definierte Aufgaben und allgemein ein strukturierter Tagesablauf. Im Moment befinde ich mich in diesem „Schwebezustand“ zwischen Abitur und Studium und die fehlende Tagesstruktur macht mir zu schaffen. Außerdem kann ich im Studium meine Stärken sehr gut einbringen: Autismus wird in den meisten Fällen über Defizite definiert, es gibt aber auch Dinge, die Autisten (häufig) besonders gut können. So habe ich beispielsweise ein sehr gutes Gedächtnis und kann Texte schnell und detailliert erfassen, was im Studium sicherlich von Vorteil sein wird.

Andererseits ist eine Universität natürlich viel größer als eine Schule, dort arbeiten sehr viel mehr Menschen, was mehr Lärm und somit Stress für mich bedeutet. Ich bin sehr geräuschempfindlich, immer, wenn ich unterwegs bin, und sei es auch nur ein Einkauf, brauche ich danach einige Zeit, in der ich alleine in meinem Zimmer bin, die Augen geschlossen habe und einfach nur die Stille genieße. Gerade auch, wenn zu der Reizüberflutung auch noch die Anstrengung durch eine längere soziale Interaktion hinzukommt, bin ich beim Nachhausekommen häufig kaum noch in der Lage zu sprechen und brauche diese Pausen. Vermutlich verbringe ich also überdurchschnittlich viel Zeit alleine in meinem Zimmer, das finde ich aber in Ordnung, da es einen notwendigen Ausgleich für mich darstellt.

Ich glaube, dass es im Leben genau darum geht: Einen Ausgleich zu finden zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen, die das Leben nunmal stellt und die jeder erfüllen muss, damit eine Gesellschaft funktioniert.

Ich glaube, wenn man genau diesen Ausgleich schafft, kann man glücklich werden, egal ob mit oder ohne Autismus.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du auf dieser Seite.

Sophie ist Asperger-Autistin und 18 Jahre alt. Wenn Sie nicht grade Gastbeiträge für mich schreibt, beginnt diesen Herbst mit ihrem Studium.