Von Medien und Schadensbegrenzung

Wenn ich so durch den autistischen Teil meines Feedreaders scrolle, komme ich in letzter Zeit zunehmend zu dem Schluss, dass blutdrucksenkende Mittel Hochkonjunktur feiern. Ich kann es nur allzu gut verstehen. Ich selbst meide es mittlerweile, Artikel zu lesen, die meine Timeline im Rahmen einer Mischung aus Verzweiflung und Wut in meine Richtung schleudert und in letzter Zeit entsteht der Eindruck, dass es nur viel schlimmer statt besser wird.

Die erste Reaktion bei den meisten Menschen, die wieder einen katastrophalen Artikel gelesen haben, der wahlweise die alten Vorurteile zu Autismus aufwärmt oder das Wort „autistisch” verwendet, um die aktuelle Politik der Bundesregierung oder den Diktatorenclan in Nordkorea zu beschreiben[1], dürfte wohl Wut sein. Je nachdem wie lange man dieses Phänomenen beobachtet wohl auch Resignation. Ich beobachte die Reaktionen auf solche Artikel, seit des Spiegel-Online-Artikels mit wachsendem Interesse. Eine wachsende Gruppe von Autisten reagiert auf diese Artikel, schreibt Blogtexte darüber und versucht die Autoren davon abzubringen, den Begriff des Autismus so darzustellen und zu verwenden wie sie es bisher tun. Wenn die Autoren darauf reagieren gibt es meist zwei Formen der Reaktion. Zum einen mal mehr und mal weniger glaubhafte Formen der Entschuldigungen, zum anderen die Erklärung, dass man den Begriff Autismus in seiner ursprünglichen Bedeutung, der Ich-Bezogenheit, und nicht als Krankheitsbegriff verwendet.

Ich habe mit diesem Argument ein Problem. Ich kann es nachvollziehen. Wie ich schon öfter ausgeführt habe, gibt es die Diagnose „Autismus” in einer Form, die über nicht-sprechende pflegebedürftige Menschen hinaus, geht noch nicht so lange. Der Ursprung des Wortes Autismus kommt vom griechischem αυτός, das „Selbst” bedeutet[2]. Das heißt, wenn diese Menschen die Wörter „Autist” oder „autistisch” verwenden und den ursprünglichen Wortsinn meinen, ist es rein fachlich wohl kein wirklicher Fehler.

So grundsätzlich nachvollziehbar ich diese Argumentation auch finde, birgt sie nur ein Problem. Die wenigsten, beziehungsweise überhaupt keine Autoren, machen in ihren Texten Fußnoten zur Verwendung dieser Wörter, in denen sie erklären wie diese gemeint sind. Die Worte stehen ohne weitere Erläuterungen da. Auf die Gefahr hin einige Leser zu unterschätzen, behaupte ich an dieser Stelle einfach mal, dass die Kenntnisse des Griechischen im allgemeinen doch recht  rudimentär sind. Das bedeutet, die meisten Menschen die den Text lesen haben fürs Erste wohl Assoziationen an die Bedeutung der Wörter, die das Störungsbild beschreibt.

Sprache ist nichts Fixes und Wortbedeutungen ändern sich. So kann es mal passieren, dass Autoren ohne es bewusst zu wollen den nordkoreanischen Diktatorenclan ad hoc diagnostizieren und mich und andere Autisten damit in eine Schublade stecken, die ihnen unter Umständen gar nicht so gefällt.
Ich unterstelle diesen Menschen keine Absicht darin – meiner Meinung nach fehlt ihnen einfach nur das Problembewusstsein. Das Ergebnis ist das gleiche, aber die essentielle Frage, die mich beschäftigt, ist: Wie kann man damit umgehen.

Der eigenen Wut durch Blogbeiträge Luft zu machen hilft in erster Linie einem selbst. Sofern die Urheber der entsprechenden Texte sie überhaupt lesen, dürfte bei ihnen jedoch eher der Gedankengang „Das meinte ich doch gar nicht, warum fühlen die sich jetzt grundlos angegriffen” ablaufen.
Ich denke, wenn wir langfristig möchten, dass der Umgang mit der Sprache in diesem Kontext ein anderer wird, sollten wir unsere Wut und unsere Resignation überwinden und davon weg kommen, einzelne Beispiele auseinanderzunehmen und an den Pranger zu stellen, allein schon im Sinne unserer Blutdrucks. In Anlehnung an Hanlons Razor sollten wir davon ausgehen, dass diese Formulierungen aus mangelndem Problembewusstsein und einer alten Wortbedeutung entstanden sind, nicht aus Boshaftigkeit. Bieten wir den Autoren den Dialog an, versuchen wir ihnen zu erklären, worin das Problem dieser Aussagen für uns liegt, und gehen wir weg von Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Sicherlich werden auch hierbei die Erfolge ihre Grenzen haben, aber ich sehe keine andere Möglichkeit um Verständnis für unser Problem zu schaffen.

[1] Zeit 08/2012, Ihr könnt uns mal, S.1
[2] http://de.wiktionary.org/wiki/%CE%B1%E1%BD%90%CF%84%CF%8C%CF%82


Dieser Blogpost ist ein Beitrag zu den Blogger-Themen-Tagen 2013. Das komplette Programm ist hier zu finden.

5 thoughts on “Von Medien und Schadensbegrenzung”

  1. Kristin

    Ich habe einen sehr niedrigen Blutdruck und von daher regen mich vermeintlich gut gemeinte Artikel aus der Medienwelt nicht so schnell auf. Denke, eine Bewegung aus unserem Zirkel ist auf jeden Fall hilfreicher als nichts zu tun.

    1. h4wkey3 Post Author

      Sicherlich ist sie das. Diese Bewegung war lange überfällig. Die Frage die ich mir hier stellte war halt, wie man diese Bewegung so gestalten kann, dass der Erfolg auch maximal wird und uns die Menschen zuhören.

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