Brln – Was bedeutet mein Autismus für mich?

Die Gewissheit, mich im autistischen Spektrum zu befinden, habe ich seit Januar diesen Jahres. Und es ist gut, diese Gewissheit zu haben. Das Wort Autismus gibt mir endlich eine Erklärung dafür, warum ich zu Teilen so bin, wie ich bin und warum ich mich häufig sehr fern von den Menschen um mich herum fühlte und fühle. Das Wort erklärt, warum ich immer wieder stolper und immer wieder stolpern werde. Dieses Wissen beruhigt, denn auf die Frage „Was ist bloß los mit mir?“ habe ich endlich eine Antwort. Und über diesen Umgang mit meiner Diagnose möchte ich schreiben, unabhängig davon, welche Schwierigkeiten mir mein Autismus Tag für Tag bereitet.

Ich habe durch die Diagnose „Autismus“ die Möglichkeit bekommen, mit mir sanfter umzugehen. Ich muss mich nicht dazu zwingen, mich in Situationen zu begeben, in denen ich wahrscheinlich eh nur scheitern würde. Doch natürlich hoffe ich auch, dass ich weiterhin genügend Ehrgeiz und Mut besitze, Neues zu wagen, nur halt mit dem nötigen Quäntchen Rücksicht auf mich selbst. Ich weiß, was gut für mich ist. Ich weiß, was schlecht für mich ist. Unter anderem durch die Diagnose ist mein Selbstwertgefühl in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Ich sehe, was ich trotz persönlicher Hindernisse alles geschafft habe und wie gut ich mich heutzutage in meiner Umwelt zurechtfinde im Gegensatz zu früher.

Ich könnte an dieser Stelle gefühlt tausende Beispiele für den Einfluss meines Autismus auf meinen Alltag geben. Ich werde mich auf das Folgende beschränken: Nach einem Jahr als Gastschülerin in den USA war ich längere Zeit ehrenamtlich für die Vor- und Nachbereitung von Gastschülern tätig. An der Arbeit gefiel mir, unter offenen Menschen zu sein. Mein eigenes Vorbereitungsseminar fühlte sich damals wie eine Offenbarung an, da dort intensiv über Theorien des menschlichen Miteinanders reflektiert wurde. Mein Teamerdasein war hingegen von Mittelmäßigkeit geprägt. Nach Seminaren war ich häufig emotional komplett ausgelaugt, von Selbstzweifeln aufgefressen. So sehr ich mich auch bemühte, den Draht zu meinen Seminarteilnehmern konnte ich nur selten finden. Ich hatte das Gefühl, ihnen nicht das geben zu können, was sie brauchten. Brach jemand in Tränen aus, so konnte ich das emotional nicht nachvollziehen, geschweige denn die Person in den Arm nehmen. Die Herzlichkeit, die die anderen Teamer ausstrahlten, vermisste ich bei mir. Dabei würde ich so gerne selber diese Herzlichkeit ausstrahlen können. Doch wirklich wohlfühlen tue ich mich nun mal in meiner kühlen, analytischen Sachlichkeit.

Die Erkenntnis, für etwas nicht geeignet zu sein, das man doch so gerne tut, schmerzt. Die Erkenntnis, warum ich immer wieder an meine Grenzen gestoßen bin, heilt nun ein wenig diese Wunde. Neben autistischen Defiziten wie geringe Empathiefähigkeit gibt es auch Kompetenzen. Und diese ergründe ich gerade. Mein Ziel ist es, ein zufriedene(re)s Leben zu leben. Sich selbst zu kennen ist dafür ein guter Anfang. In meiner ganz persönlichen Deutung steht „Autismus“ deshalb für Selbsterkenntnis. Schwere Zeiten liegen hinter mir. Schwere Zeiten werden kommen. Doch ich fühle mich zum jetzigen Zeitpunkt gestärkt für meinen Weg durch die Unwegbarkeiten meines Lebens.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

Brln lebt am Wasser, ist 25 Jahre alt, weiblich und stolpert noch durchs Studium. Sie fühlt sich selber der Gruppe eher extrovertierer Autisten zugehörig, redet häufig viel zu viel und hat sich früher über jede 3 in Sport auf dem Schulzeugnis gefreut.

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