Wetter – Out of Space

Ich sage, ich höre dich schlecht, wenn ich anderen Menschen auf den Mund und nicht in die Augen schaue. Ich sage, ich hatte Migräne, wenn ich einen Overload hatte. Ich sage, da ist wer an der Tür, wenn ich keine Konzentration für ein Telefongespräch habe. Ich sage, es ist nicht mein Tag heute, obwohl ich immer schon nach einer Stunde ermüdet bin, auf Kneipentreffen. Ich behaupte, ich sei kurzsichtig, wenn ich jemanden nicht erkannt habe. Ich beteuere, dass ich viele Freunde habe. Ich sage, ich hätte einen Stein im Schuh, wenn ich hüpfen mag, stecke meine Hand in meine Umhängetasche, wenn ich mit den Fingern schnipse und tue so, als suche ich etwas. Ich suche nichts, ich verstecke.

„Wo ist sie, die Seele?“ Gibt es nicht nur Menschen mit Gehirnen und Nervensystemen? „Versteckt sie sich, die Seele? Sie ist ja so behindert.“

Versteckt wird er, mein Autismus, von mir. Er trennt mich von den anderen Menschen, von einem Teil von mir selbst, von der Welt.

Er ist geheim, aber nicht unsichtbar. Nenne ihn Schüchternheit, trockener Humor, Pokerface, Überheblichkeit, Hilfsbereitschaft, Loyalität, Unnahbarkeit, Ehrlichkeit, Genauigkeit, Naivität, Besserwisserei, Verzetteln, Langsamkeit, Absolutes Wissen, wenn du ihn siehst, meinen Autismus.

Ich möchte, dass es anderen Menschen gut geht und auch gut geht mit mir, wenn sie in meiner Gegenwart sind. Ich möchte in ihrer Gegenwart sein, mit anderen Menschen zusammenarbeiten, Ziele erreichen, richtig erfolgreich sein. Sie sollen mich annehmen, meine Fähigkeiten sehen, mich schätzen. Mich sehen.

Es sind die käfernden Wassertropfen, die auf dem Zweig am Wegrand hocken, die ich mit meinen Händen abstreife, von diesem kleinen Bäumchen, die ich durch meine Finger rinnen lasse, die nicht meine Seele sind, aber das, was man mir heute anbietet, wenn ein Sonnenstrahl noch darauf fällt.

Mein Autismus und ich, WIR sind out of Space.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Mein Autismus in 500 Worten“.

Alle Beiträge dieser Reihe kannst du hier nachlesen. Nähere Informationen zu dieser Reihe und dazu wie du dich beteiligen kannst findest du in diesem Artikel.

Wetter ist 29 Jahre alt und lebt in Berlin

4 thoughts on “Wetter – Out of Space”

  1. brln

    „Er ist geheim, aber nicht unsichtbar.“
    Ich glaube, dieser Satz wird mich nun eine Weile begleiten. Manchmal frage ich mich, ob mich Menschen nicht doch durchschauen. Dann wiederum frage ich mich, ob man es sich nicht genau mit dieser Frage noch schwerer macht sich wohlzufühlen unter Menschen.

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