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Bei Tchibo gibt es jede Woche eine neue Welt.
Wenn das stimmt, dann hätte ich mir die doch sicher schon bestellt.Leg dich in die Badewanne – Rainald Grebe
Das Vorurteil, Autisten würden in ihrer eigenen Welt leben, hält sich in den Köpfen mancher Menschen ungefähr so hartnäckig, wie die Behauptung, die Amerikaner seien nie auf de Mond gelandet.
Es gibt eigentlich kaum einen Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel, in dem dieses Vorurteil nicht zu finden ist. Meistens sogar innerhalb der ersten fünf Sätze.
Um es kurz zu machen, viel dran ist an der Sache nicht. Wenn ich in einer eigenen Welt leben würde, so wären die Leute, die das behaupten, die ersten die aus ihr rausfliegen würden.
Ich lebe in keiner anderen Welt als der Rest der Menschheit. Auch wenn das vielleicht manchmal nicht mal das Schlechteste wäre. Was anders ist als bei den meisten Menschen, ist meine Wahrnehmung dieser Welt. Ob zum Besseren oder Schlechteren, hängt von der Situation ab in der ich bin.
Die Frage ist, wie kommt es, dass dieses Vorurteil sich so hartnäckig hält. Die Ursprünge dieser Aussage liegen bisher im Dunkeln. Es bleibt also nur zu spekulieren. Es gibt allerdings einige Erklärungen, die naheliegender sind. Ursprünglich könnte diese Behauptung noch aus einer Zeit kommen, in der Autisten in den Augen der meisten Menschen nichtsprechende, geistig behinderte Menschen waren, die in irgendwelchen Ecken saßen und leicht wippend ein und den selben Satz wiederholten.
Eine andere mögliche Erklärung wurde mir zugetragen, als ich diesen Text zum Korrekturlesen gab. Es wurde der Gedanke aufgeworfen, dass diese Metapher vielleicht auch von manchen Menschen als Sinnbild verwendet werden könnte, um damit die andere Wahrnehmung zu beschreiben, die Autisten haben und die für Außenstehende schwer nachzuvollziehen ist.
Wahrscheinlich gibt es noch eine Reihe anderer möglicher Erklärungen. Die Ursache für diesen hartnäckigen Ausspruch wird irgendwo in der Mitte zwischen allen davon liegen. So nachvollziehbar die Ursachen dafür auch sein mögen, dieser Ausspruch bleibt problematisch, weil das Bild, das durch ihn entsteht, wenn man es losgelöst von seinen möglichen Ursprüngen versteht, in den seltensten Fällen etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat.
Eigentlich ist das nicht so schwer zu erklären, warum sich nicht-Autisten so schwer in die Wahrrnehmung eines Autisten hineinversetzen können.
Stell dir mal eine Farbe vor, die außerhalb des menschlichen Wahrnehmungs-Spektrum liegt. Das können vermutlich die wenigsten (kann das überhaupt jemand?). Das ist beim Autismus vielleicht nicht so extrem wie mein Holzhammer Beispiel, aber es ist eben echt schwer aus der eigenen Realitäts-Blase auszubrechen.
Ich denke, das Problem ist weniger, zu verstehen, wie die Metapher der „eigenen Welt“ entstanden ist. Wie Daniel schon ganz richtig sagt, ist es für jeden Menschen nur sehr begrenzt möglich, sich vorzustellen, wie etwas ist, das den eigenen Erlebnishintergrund verlässt. Somit können sich Menschen im Autismus-Spektrum wohl nur begrenzt vorstellen, wie es ohne Autismus wäre, und Menschen außerhalb des Spektrums ebenso begrenzt, wie es mit Autismus wäre.
Schwieriger sind m.E. die Implikationen, die die „eigene Welt“-Metapher, ob im Einzelfall nun gewollt oder nicht, mit sich bringt:
Zum einen klingt das, als wenn sich jemand bewusst nicht auf die „normale“ Welt einlässt. Das macht es dann wieder leichter, den Betroffenen eine alleinige Verantwortung dafür zuzuschreiben, dass sie sich „aus ihrer Welt herauszubewegen“ haben. Überhaupt endet das leider schnell bei der Frage nach einer „richtigen“ und einer „falschen“ Welt – nicht sehr förderlich für ein gutes Miteinander…
Das andere Extrem ist die Idee, man müsse Menschen mit Autismus „aus ihrer isolierten Welt herausholen“. Das muss dann gar nicht böse gemeint sein, ist aber eine i.d.R. wenig glückliche Vorstellung (übrigens insbesondere auch aus meiner Sicht als Therapeut).
Als Konsequenz würde ich persönlich daher vorschlagen, in diesem sensiblen Bereich auf Metaphern zu verzichten. Als Beschreibung scheint mir geeigneter, von einer unterschiedlichen Wahrnehmung zu sprechen. Das spart ungewollte Implikationen, beschreibt ohne einseitige Verantwortungszuschreibung, dass es für Betroffene und Nicht-Betroffene schwierig sein, einander zu verstehen und lässt vielleicht auch genug offenen Raum, um die bunten Facetten, die das autistische Spektrum bietet, in ihrer Vielfalt erfassen zu können.
Ich bin selbst bin ich kein Autist, und ich kenne das nur, weil meine Freundin Asperger hat. Zumindest bei ihr geht es in erster Linie darum zu lernen, wie sie mit der Welt umgehen kann. An der Art wie sie die Welt wahrnimmt ändert sich damit nichts, sondern nur wie sie mit ihrer Wahrnehmung umgeht. In gewisser Weise holt man sie ja dann doch aus ihrer eigenen Welt 😀
Man könnte es vielleicht als Integration in die Gesellschaft umschreiben und dabei versuchen die Tretmine „normal“ zu umschiffen 😀
Für mich ist das mit der „eigenen Welt“ eigentlich auch nur eine Umschreibung für „andere Wahrnehmung“ und geht OK, finde ich.